BGH urteilt für die Kunst- und Filmfreiheit – Grundsatzentscheidung zum Bildnisschutz bei der Verfilmung zeithistorischer Stoffe

Der Erfolg von Raue für das Filmproduktionsunternehmen ndF: Berlin und den WDR vor den Hamburger Instanzgerichten im Streit um den Spielfilm „Die Auserwählten“ wurde nunmehr vom BGH bestätigt.

Der von ndF: Berlin im Auftrag des WDR produzierte Spielfilm thematisiert den Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule. In dem Film ist ein ehemaliger Schüler, der an der Schule über mehrere Jahre sexuell missbraucht wurde, als Vorbild für die zentrale Schülerfigur erkennbar. Der Schüler hatte in der Vergangenheit selbst das Missbrauchsgeschehen und seine Opferrolle vielfach öffentlich geschildert – unter anderem durch die Mitwirkung an Presseveröffentlichungen, an einem Dokumentarfilm sowie der Herausgabe eines autobiographischen Buches. Im Jahr 2012 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, wobei er anlässlich der Preisverleihung sein bis dato verwendetes Pseudonym ablegte. Eine Mitwirkung an dem Spielfilm „Die Auserwählten“ lehnte der ehemalige Schüler indes ab. Durch den Film sah er sich in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte auf Unterlassung der entsprechenden Szenen.

Raue konnte die gegen ndF: Berlin und den WDR erhobene Unterlassungsklage des Schülers vor dem LG Hamburg und dem OLG Hamburg erfolgreich abwehren. Die Instanzgerichte urteilten, dass wegen der Selbstöffnung die Persönlichkeitsrechte des Klägers nicht schwerwiegend verletzt worden seien (Raue berichtete hier).

Der BGH hat nun diese Entscheidungen bestätigt. Der Kläger sei durch die Filmszenen weder in seinem Recht am eigenen Bild noch in seinem Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt.

Der 6. Senat stellt in Abstimmung mit dem 1. Zivilsenat fest, dass die Filmszenen schon kein Bildnis im Sinne des § 22 Satz 1 KUG darstellen und folgt damit der von Raue vor den Instanzgerichten vertretenen Rechtsauffassung Eine als solche erkennbare bloße Darstellung einer realen Person durch einen Schauspieler in einem Spielfilm sei kein Bildnis dieser Person, auch dann nicht, wenn es, wie hier, Ähnlichkeiten zwischen dem Schauspieler und dem Urbild gebe. Dieser Schutz stehe nur dem Schauspieler zu, der sich selbst spiele und als er selbst erkennbar bleibe. Etwas anderes gelte, wenn der täuschend echte Eindruck erweckt werde, es handele sich um die dargestellte Person selbst, etwa beim Einsatz eines Doppelgängers. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.

Auch bei der Abwägung zwischen der Kunst- und Filmfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Klägers überwiege die Kunstfreiheit. Zwar sei der Kläger von dem Film wegen der in der besonderen Intensität der visuellen Darstellung liegenden suggestiven Kraft eines Spielfilms besonders betroffen. Allerdings wiege diese Betroffenheit mit Blick auf die vom Kläger in der Vergangenheit praktizierte Selbstöffnung nicht so schwer, dass die zugunsten des ndF: Berlin und des WDR streitende Kunst- und Filmfreiheit zurücktreten müsse. ndF: Berlin und der WDR wurden vor dem BGH durch RA am BGH Dr. von Plehwe vertreten Die Pressemitteilung des BGH vom 18. Mai 2021 finden Sie hier.

(19. Mai 2021)