EuGH: HOAI-Mindestsätze weiterhin anwendbar auf „Altfälle“

Mit Urteil vom 4. Juli 2019 hatte der EuGH entschieden, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen die Bestimmungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Der Verordnungsgeber hat das zum Anlass genommen, die HOAI zu novellieren und dabei insbesondere die (verbindlichen) Mindest- und Höchstsätze zu streichen und durch den (unverbindlichen) sog. Basissatz zu ersetzen.

Die neue Fassung der HOAI gilt aber nur für nach dem 1. Januar 2021 geschlossene Verträge. Deshalb stellte sich die Frage, ob die verbindlichen Höchst- und Mindestsätze für „Altfälle“ (also vor dem 1. Januar 2021 geschlossene Verträge) weiterhin anzuwenden sind. Das war zwischen den Oberlandesgerichten und im juristischen Schrifttum lebhaft umstritten, vgl. unsere Stellungnahme dazu hier.

Diesem Streit hat der EuGH nun mit seinem heute veröffentlichten Urteil in der Rechtssache C‑261/20 ein Ende gesetzt und entschieden, dass die Mindest- und Höchstsätze trotz des Verstoßes gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie weiterhin anwendbar sind. Für Verträge, die vor dem 1. Januar 2021 geschlossen wurden, gelten die Mindest- und Höchstsätze der HOAI deshalb weiterhin unverändert. Der EuGH begründet diese Entscheidung geradezu schulmäßig (und ganz zutreffend) mit dem eingeschränkten Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie. Denn diese bindet (wie jede EU-Richtlinie) ausschließlich die Mitgliedsstaaten, entfaltet im Verhältnis der Privaten untereinander hingegen keine Wirkung. Private können sich deshalb anderen Privaten gegenüber nicht auf den Verstoß gegen eine Richtlinie berufen, ihr Rechtsverhältnis wird davon nicht berührt. Gleiches gilt für die öffentliche Hand, wenn sie als Bauherr agiert. Kurzum: Bei vor dem 1. Januar 2021 geschlossenen Verträgen können Architekten weiterhin eine sogenannte Aufstockungsklage erheben, wenn das vertraglich vereinbarte Honorar den Mindestsatz unterschreitet.

Besonders liegt es im Verhältnis der Privaten zum Mitgliedsstaat. Hier können die Privaten sich unter gewissen Voraussetzungen (die der EuGH für gegeben hält) auf den Schutz einer EU-Richtlinie berufen. Ein Privater, der durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht geschädigt wird, kann deshalb von dem Mitgliedsstaat ggf. auch Ersatz für diesen Schaden verlangen. Bauherren, die in Zukunft auf Zahlung des Mindestsatzes in Anspruch genommen werden, sollten entsprechende Ansprüche deshalb genau prüfen; dasselbe gilt für Architekten, denen eine Überschreitung des Höchstsatzes entgegengehalten wird.

(18. Januar 2022)