EuGH: HOAI-Mindestsätze EU-rechtswidrig

Seit ein paar Stunden ist es heraus: Der EuGH hat mit seiner heute verkündeten Entscheidung festgestellt, dass die Bundesrepublik gegen EU-Recht verstoßen habe, weil sie mit der HOAI verbindliche Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen vorschreibt. Die preisrechtlichen Regelungen der HOAI verstoßen danach gegen die Dienstleistungsrichtlinie der EU. Der Gerichtshof ist damit den Schlussanträgen des Generalanwalts gefolgt, was allgemein erwartet wurde. Das Vertragsverletzungsverfahren hatte die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik in Gang gesetzt. Gestützt wird die Verurteilung der Bundesrepublik im Wesentlichen darauf, dass es keinen kausalen, rechtfertigenden Zusammenhang zwischen dem Preisrecht und dem Ziel gebe, mit den Mindestsätzen der HOAI die Planungsqualität zu sichern. Die Höchstsätze werden ebenfalls aufgehoben. Die Entscheidung konnte auch nicht dadurch abgewendet werden, dass die HOAI ja ausdrücklich nur für Leistungen gelten will, die von Architekten und Ingenieuren mit Sitz im Inland erbracht werden – eigentlich fehlte also der sogenannte Gemeinschaftsbezug. Darüber ist der EuGH – wie auch schon in anderen Entscheidungen – hinweggegangen. Auch die Unterstützung der Bundesrepublik durch Ungarn, das jetzt noch die eigenen Kosten tragen muss, hat nicht geholfen.

Die Feststellung des EuGH wirkt zunächst nur für die Bundesrepublik. Sie hat vor allem keine (etwa rechtsgestaltende) Wirkung für bestehende Verträge; auch Vereinbarungen, die wie üblich auf die HOAI Bezug nehmen (mit Honorarzone, -satz, Zuschlägen, Leistungsbewertungen etc.), bleiben wirksam und können selbstverständlich auch weiter durchgesetzt werden. Fraglich ist allein, ob die Mindestsatzregelung der HOAI von heute an noch gilt, wenn entweder eine geringere Vergütung vereinbart wurde oder wenn eine Vereinbarung ganz fehlt. Man muss unterscheiden: Fehlt eine Vereinbarung, galt bisher der Mindestsatz der HOAI als vereinbart („unwiderleglich vermutet“, steht in § 7 Abs. 5 HOAI). Diese Vorschrift ist in der Entscheidung des EuGH nicht genannt (Rz. 8). Das spricht dafür, dass sie weiterhin gilt. In allen Fällen, in denen eine Vereinbarung fehlt, ändert sich daher mithin wohl nichts. Übrigens: Zu demselben Ergebnis käme man regelmäßig auch, wenn nach dem Werkvertragsrecht die übliche Vergütung geschuldet wäre (§ 632 Abs. 2 BGB). Aber was gilt, wenn eine Vergütung vereinbart wurde, die die Mindestsätze unterschreitet? Hier sind viele Einzelheiten noch nicht geklärt: Zunächst bleibt es unverändert dabei, dass die HOAI weiterhin geltendes Recht ist: Das Urteil ist eine Feststellung gegenüber dem Mitgliedsstaat, mehr nicht. Die Bundesregierung hat die Verpflichtung, die notwendigen Änderungen zu erlassen, um dem Unionsrecht zu entsprechen, unmittelbar, ohne Schonfrist, aber bis zur Aufhebung der beanstandeten Regelungen sind diese noch in Kraft. Aber ist der Mindestsatz in solchen Fällen jetzt noch gerichtlich durchsetzbar? Grundsätzlich gilt für alle staatlichen Organe des verurteilten Mitgliedsstaates, also auch die Gerichte, dass sie nach der Entscheidung des EuGH die HOAI nicht weiter anwenden dürfen. Die deutschen Gerichte sind sich allerdings nicht einig darin, ob sie die Mindestsatzregelungen noch weiter anwenden müssen bzw. dürfen, wenn es um Sachverhalte aus der Vergangenheit geht; es wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des EuGH nur in die Zukunft gerichtet sei (OLG Naumburg, NJW-RR 2017, 1231; KG, IBR 218, 690). Besonders pikant ist es, wenn die Bundesrepublik auch schon während der Vertragsverletzungsverfahrens, in dem sie die HOAI verteidigt hat, in Zivilprozessen den Standpunkt einnahm, als Auftraggeber dürfe die durchaus unter Mindestsätzen vergüten. Diese Frage hat allgemein – nicht nur in anhängigen Rechtsstreitigkeiten mit der öffentlichen Hand – natürlich erhebliche Bedeutung; man darf erwarten, dass der EuGH selbst zu dieser Frage im Zuge des noch bei ihm anhängigen Vorabentscheidungsverfahren etwas sagt; dieses Verfahren geht auf eine Vorlage des Landgerichts Dresden (6 O 1751/15) zurück, das für die Anwendbarkeit der HOAI auf einen schon geschlossenen Vertrag angefragt hatte, wie das Unionsrecht auszulegen sei.

Was die Bundesregierung jetzt unternimmt, ist offen. Auf eine kleine Anfrage der FDP hat sie im Juni 2019 geantwortet, sie wolle die HOAI als unverzichtbares Instrument zur Sicherung von Bauqualität und Baukultur und Voraussetzung für einen fairen Leistungswettbewerb erhalten. Der EuGH weist in seiner Entscheidung den Weg zu „weniger einschneidenden Maßnahmen“, z.B., „Kunden Preisorientierungen für die verschiedenen von der HOAI genannten Kategorien von Leistungen zur Verfügung zu stellen“. Als „übliche Vergütung“ wird die HOAI sicher weiterhin einen hilfreichen und benötigten Maßstab bieten.

(4. Juli 2019)