Verschärfung des Kartellrechts nach dem Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle

Das Kartellrecht soll effektiver werden, es soll digitale Märkte und Marktplätze besser adressieren und Märkte, die dem Wettbewerb nicht ausreichend Raum geben, neu ordnen können. Das Bundeswirtschaftsministerium hat seinen Referentenentwurf vom 15. September 2022 vorgelegt, der ganz im Zeichen dieser Herausforderungen steht.

I.            Marktstruktureingriff im Anschluss an Sektoruntersuchungen

Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamts – eingeführt bereits im Jahr 2005 – zeigen auf, in welchen Märkten aus welchen Gründen der Wettbewerb nicht funktioniert. Treten bei einer solchen Untersuchung Verstöße gegen das Kartellverbot oder Marktmachtmissbrauch zutage, kann im Anschluss ein entsprechendes Verfahren gegen die daran beteiligten Unternehmen eingeleitet werden. Hat das Marktversagen allerdings rein strukturelle Gründe, denen kein Kartellrechtsverstoß zugrunde liegt – so z. B. in Märkten mit wenigen Anbietern und gleichzeitig hohen Marktzutrittshürden –, ist das Bundeskartellamt derzeit machtlos. Der Gesetzgeber hat sich bisher auf die Selbstreinigungskräfte des Wettbewerbs verlassen, etwa den fehlenden Innovationsdruck in wettbewerbsschwachen Märkten und Substitutionswettbewerb durch neue Angebote.

Das Bundeswirtschaftsministerium möchte dem Bundeskartellamt nur die Möglichkeit eröffnen, auch ohne Kartellrechtsverstöße verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen gegenüber den Marktteilnehmern innerhalb von 18 Monaten nach Abschluss einer Sektoruntersuchung anzuordnen. Dazu gehören u. a. die Zugangsgewährung für Dritte zu den eigenen Daten, Lieferverpflichtungen und einzuräumende Nutzungsrechte, die organisatorische Trennungen von Geschäftsbereichen sowie vertragsgestaltende Vorgaben. Außerdem können Unternehmen zur Anmeldung von Zusammenschlüssen in betroffenen Märkten verpflichtet werden, selbst wenn die allgemein gültigen Umsatzschwellenwerte nicht erreicht werden.

Sollten diese Abhilfemaßnahmen nach der Erwartung des Bundeskartellamts nicht zum Ziel führen, sieht der Referentenentwurf schließlich die Möglichkeit der Entflechtungen vor, sofern hierdurch die Beseitigung oder erhebliche Verringerung einer erheblichen andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs erwartet werden kann.

Obwohl die vorgesehenen Eingriffe erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen haben können, verhält sich der Referentenentwurf nicht zum Rechtsschutz. Das hat u. a. zur Folge, dass Rechtsmittel gegen eine der vorgenannten Maßnahmen keine aufschiebende Wirkung haben. Berücksichtigt man, dass es keines vorausgehenden Fehlverhaltens der Unternehmen bedarf, stellt sich die Frage nach der Verfassungskonformität. Denn der Berufs- und Eigentumsfreiheit wird nach dem Entwurf bisher nur im Rahmen der kartellbehördlichen Abwägung Rechnung getragen.

II.          Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen

Der Referentenentwurf erleichtert zudem die Möglichkeit der behördlichen Abschöpfung kartellrechtswidrig erlangter Gewinne, sollten diese nicht bereits durch ein Bußgeld, Schadenersatzleistungen oder anderweitig abgeschöpft worden sein. Dazu wird ein wirtschaftlicher Vorteil von mindestens einem Prozent der Umsätze gesetzlich vermutet, die im Inland im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erlangt worden sind. Diese Vermutung kann nur durch den Nachweis widerlegt werden, dass das am Verstoß beteiligte Unternehmen im Zeitraum des Verstoßes überhaupt keinen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat. Außerdem kann die Kartellbehörde in gleicher Weise wie die Gerichte in Kartellschadensersatzprozessen auch einen höheren Mehrerlös nach freier Überzeugung schätzen. Eine Obergrenze ist bei zehn Prozent des Gesamtumsatzes der Unternehmensgruppe gezogen.

Nimmt man die außerordentlichen Schwierigkeiten in den Blick, einen kartellbedingten Mehrerlös in einer gerichtlich nicht zu beanstandenden Weise zu ermitteln, ist die Festlegung eines Mindestvorteils uneingeschränkt zu begrüßen. Sie dürfte die in der Praxis kaum relevante Mehrerlösabschöpfung als Bestandteil eines Bußgelds – für die es keine entsprechende Neuregelung gibt – endgültig überflüssig machen. Lediglich die Begrenzung der Verteidigung auf den Vortrag, gar keinen Gewinn in entsprechender Höhe gemacht zu haben, erscheint mangels hinreichenden Bezugs zu den ursächlichen Kartellrechtsverstößen fraglich. Nicht nur hinsichtlich der damit entfallenden, verfassungsrechtlich bedenklichen Entkopplung der Abschöpfung von den wirtschaftlichen Vorteilen aus dem Kartellrechtsverstoß. Auch in praktischer Hinsicht könnte dieser Ansatz dazu führen, dass die bisher über die Quantifizierung von Mehrerlösen geführten langwierigen Auseinandersetzungen zukünftig noch umfangreicher über Gewinne und insbesondere gewinnreduzierte Kosten im Konzern geführt werden.

Auch wenn der Referentenentwurf auf die entsprechende Festlegung eines Mindestschadens Kartellgeschädigter verzichtet, leistet er der privaten Kartellrechtsdurchsetzung Vorschub. Denn die Anrechnung bereits geleisteter Schadensersatzzahlungen setzt einen Anreiz, Kartellgeschädigte vorzugsweise vor Abschluss eines Vorteilsabschöpfungsverfahrens zu entschädigen, um eine Doppelbelastung zu vermeiden.

III.         Effektivierung Digital Markets Act

Schließlich führt der Referentenentwurf eine Ermächtigung des Bundeskartellamts ein, eigene Untersuchungen durchzuführen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Unternehmen gegen den Digital Markets Act verstoßen haben. Die Durchsetzung des Digital Markets Act obliegt zwar weiterhin allein der Europäische Kommission. Das Bundeskartellamt kann und soll die Ergebnisse seiner Untersuchungen allerdings an die Europäische Kommission berichten und so einen eigenen Beitrag zu bestreitbaren und fairen Märkten im digitalen Sektor leisten. Es wird im Zweifel auch im Vorfeld von der Europäischen Kommission auf mögliche Verstöße in Deutschland hingewiesen werden.

Der angekündigte Tiger (vgl. Neues Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“?) kommt nun doch etwas zahmer daher. Die Grundprobleme, mit denen jede Entflechtungsentscheidung umgehen muss, bleiben indes bestehen. Weist ein Markt Wettbewerbsdefizite auf, die auf ein marktbeherrschendes Oligopol zurückzuführen sind, muss zwischen den Oligopolmitgliedern eine Auswahl des zu entflechtenden Unternehmens getroffen werden. Wahrscheinlich würden jedoch gerade in derartigen Fallkonstellationen Abhilfemaßnahmen, die alle Oligopolmitglieder adressieren, die Voraussetzung für eine Entflechtung entfallen lassen. Damit bliebe die Entflechtung nur noch eine Drohung für Monopolisten, denen anders als mit ihrer Zerschlagung nicht beizukommen ist.

(21. Oktober 2022)