Neues Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“?

Der Versuch, den Bürgern eine finanzielle Erleichterung über einen Tankrabatt zukommen zu lassen, scheint gescheitert. Denn von der zu Anfang Juni abgesenkten Mineralölsteuer kommt nur etwa die Hälfte an den Zapfsäulen an. Es steht der Vorwurf im Raum, die Mineralölkonzerne würden ihre Abgabepreise nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den ihnen gewährten Steuererleichterungen senken.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) hat nun eine vorgezogene Reform des Kartellrechts ankündigt (BMWK-Artikel). Drei neue Instrumente sollen in das Kartellrecht eingeführt werden: Eine Entflechtung ohne vorausgehenden Kartellrechtsverstoß, eine erweiterte Gewinnabschöpfung im Fall von Kartellrechtsverstößen sowie eine Verknüpfung unmittelbarer Maßnahmen mit einer Sektoruntersuchung.

Die skizzierten Änderungen werden für den aktuellen Tankrabatt zu spät kommen. Es ist zudem fraglich, ob mit diesen Instrumenten gerade in den Kraftstoffmärkten überhaupt preisdämpfende Effekte erzielt werden könnten. Jedenfalls würde eine Kartellrechtsreform in diesem Umfang von weitreichender Bedeutung für die kartellrechtliche Praxis sein.

Kraftstoffmärkte im Visier des Bundeskartellamts

Die deutschen Kraftstoffmärkte weisen keine wettbewerblichen Strukturen auf. Die fünf Unternehmen BP/Aral, Shell, Total, Esso und Jet sind auf allen Markstufen tätig und bilden auf den jeweils regional abzugrenzenden Märkten für den Absatz von Kraftstoffen über Tankstellen ein marktbeherrschendes Oligopol. Dieses Oligopol hat seit mehr als 12 Jahren Bestand (vgl. Bundeskartell, Sektoruntersuchung Kraftstoffe, Mai 2011; zuletzt Beschluss vom 10. Februar 2022, S.  53 ff.).

Das Bundeskartellamt hatte die Entwicklung der Kraftstoffpreise bereits zu Jahresbeginn in den Blick genommen. Die Preise an den Tankstellen, die zuvor in Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine stark gestiegen waren, fielen nicht im gleichen Verhältnis wie die Rohölpreise. Das Bundeskartellamt erweiterte folglich seinen Blick auf die vorgelagerten Märkte (Raffinerie- und Großhandelsebene). Es wies zugleich darauf hin, dass ihm für einen umfassenden Marküberblick Informationen über die abgegebenen Mengen fehlten (vgl. Pressemeldung vom 16.03.2022). Die Markttransparenzstelle, über die das Bundeskartellamt Tankstellenpreise beobachtet und öffentlich zugänglich macht, erhält lediglich Preisinformationen von den Mineralölunternehmen.

Anfang Juni beobachtete das Bundeskartellamt nach Absenkung der Mineralölsteuer sodann einen Preisrückgang und – kurz darauf – das erneute Steigen der Preise (Pressemeldung vom 07.06.2022). Der Abstand zwischen Rohölpreis und Abgabepreis an den Tankstellen hatte sich von nicht mehr als 40 Cent vor Beginn des Krieges in der Ukraine auf 40 bis 50 Cent und seit Anfang Juni sogar auf etwa 60 Cent erhöht (Pressemeldung vom 10.06.2022).

Ein abschließender Befund über ein kollusives Zusammenwirken der Mineralölunternehmen (Verstoß gegen das Kartellverbot) oder ein missbräuchliches Verhalten einzelner Unternehmen (Ausbeutungsmissbrauch in Form überhöhter Entgelte) steht weiterhin aus. Lassen sich derartige Verstöße im Ergebnis nicht nachweisen, bietet das Kartellrecht keine weitere Handhabe gegen eine von den Mineralölunternehmen ganz oder teilweise einbehaltene Mineralölsteuer.

Entflechtung bei Marktversagen

Das BMWK schlägt vor, dem Bundeskartellamt eine – vom Nachweis von Kartellrechtsverstößen unabhängige – Entflechtung zu ermöglichen, wenn Märkte mit wenigen Anbietern stark verfestigt sind und Wettbewerbsprobleme aufweisen.

Neu ist dieser Vorschlag nicht. Die Einführung einer kartellrechtlichen Entflechtung zur wettbewerblichen Belebung der Kraftstoffmärkte wurde bereits im Jahr 2010 diskutiert, im Ergebnis aber verworfen (vgl. 58. Sondergutachten der Monopolkommission). Bedenken grundsätzlicher Art bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht. Es kommen konkrete Bedenken im Hinblick auf geeignete Entflechtungsmaßnahmen in den oligopolistischen Kraftstoffmärkten hinzu. Denn anders als bei einem Monopol, bei dem jede Entflechtung den Wettbewerb beleben kann, dämpft im Fall eines Oligopols gerade das Zusammenwirken aller Mitglieder den Wettbewerb. Eine Entflechtungsentscheidung müsste demnach festlegen, welches Oligopolmitglied oder welche Oligopolmitglieder konkret in welchem Umfang entflochten werden sollten und wer in die freiwerdende Marktstellung einrücken müsste, um die beabsichtigte Wettbewerbsintensivierung auszulösen. Eine gerichtsfeste Entflechtungsentscheidung dürfte daher – selbst bei umfassender gesetzlicher Regelung – kaum weniger angreifbar als eine Missbrauchsverfügung sein.

Es stellt sich die Frage, ob den adressierten Nachweisschwierigkeiten nicht auch auf anderem Wege beizukommen wäre. Zu denken wäre insbesondere an abgesenkte Schwellen für kartellbehördliche Ermittlungen in besonders problematischen Märkten sowie Beweiserleichterungen im Bereich der Missbrauchsaufsicht (z. B. die Einführung einer Vermutung eines „erheblichen Missbrauchs“ bei zu großem Abstand zwischen Rohstoff- und Endkundenpreisen; Klarstellung, dass die Unternehmen die Beweislast für sachliche Rechtfertigungen tragen). Auch könnte die Anregung des Bundeskartellamts aufgegriffen werden, die Unternehmen zum Bericht nicht nur der Preise, sondern auch der verkauften Mengen an die Markttransparenzstelle zu verpflichten.

Absenkung der Hürden für Vorteilsabschöpfung

Weiterhin möchte das BMWK die Anwendung eines bisher aber noch nie vom Bundeskartellamt genutzten Kartellrechtsinstruments stärken, nämlich die Vorteilsabschöpfung (§ 34 GWB).

Ausgangspunkt für diesen Reformvorschlag sind ebenfalls Schwierigkeiten bei Nachweis eines Kartellrechtsverstoßes, der Voraussetzung für eine Vorteilsabschöpfung ist. Sofern allerdings – wie vorstehend angeregt – der Nachweis eines Kartellrechtsverstoßes erleichtert werden sollte, würde mittelbar auch der Zugang zur Vorteilsabschöpfung verbessert.

Es verbleibt aus Sicht des Bundeskartellamts – in jedem Fall – der nicht minder abschreckende Aufwand und das erhebliche Durchsetzungsrisiko, den Mehrerlös gerichtsfest beziffern zu müssen. Ökonomisch ist diese Aufgabe vergleichbar der Bezifferung eines Kartellschadensersatzes, jedenfalls nicht weniger komplex. Der Gesetzgeber der 7. GWB-Novelle hatte die Mehrerlöserschöpfung aus diesen Gründen jedenfalls für die Bestimmung des Bußgeldrahmens bewusst entfallen lassen. Ohne entsprechende gesetzliche Erleichterungen auf der Rechtsfolgenseite dürfte die Vorteilsabschöpfung daher auch weiterhin ein stumpfes Schwert bleiben.

Schlagkräftige Sektoruntersuchung

Sektoruntersuchungen vermitteln ein tiefgreifendes Verständnis des Marktgeschehen. Sie sind allerdings – selbst bei erkannten Wettbewerbsdefiziten – nicht unmittelbare Grundlage für kartellbehördliche Eingriffe ins Marktgeschehen.

Welche konkreten Maßnahmen das BMWK unmittelbar an eine Sektoruntersuchung knüpfen möchte, ist bisher nicht weiter spezifiziert. Vorstellbar wäre eine Regelung, die sich an der Systematik des §19a GWB orientiert, d. h. aus einer erkannten markstrukturellen Schwäche würden konkrete Verpflichtungen der Marktbeteiligten abgeleitet. Ob den Betroffenen dann entsprechend dieser Vorschrift ebenfalls ein Recht eingeräumt wird, gegen eine Sektoruntersuchung noch vor dem Ausspruch konkreter Verpflichtungen oder Auflagen gerichtlich vorzugehen, bleibt abzuwarten.

Fazit

Der Geburtsfehler des Tankrabatts liegt aus kartellrechtlicher Sicht darin, dass die Kraftstoffmärkte – bekannter Maßen – ungeeignet waren und sind, eine Steuersenkung ohne regulatorischen Eingriff an die Verbraucher weiterzugeben. Denn angesichts der oligopolistischen Marktstrukturen fehlte es von vornherein an hinreichendem Wettbewerb zwischen den steuerlich begünstigten Mineralölunternehmen und damit an Anreizen für eine Weitergabe von Kosteneinsparungen. Eine Maximierung des Gewinns ist selbst einem marktbeherrschenden Unternehmen kartellrechtlich nicht verboten.

So sehr eine Schärfung des kartellrechtlichen Instrumentariums bei der Verfolgung von Kartellrechtsverstößen zu begrüßen ist: Würde jeder kartellrechtskonform erzielte unternehmerische Erfolg unter den Vorbehalt einer Entflechtung gestellt, würde dies Innovationen und Investitionen in erheblichem Ausmaß dämpfen. Dieser Schaden dürfte größer sein als die verfehlten Bemühungen, über den Tankrabatt eine finanzielle Entlastung der Privathaushalte zu erzielen.

(14. Juni 2022)