Corona-Lockdown und Betriebsrisiko

Das Bundesarbeitsgericht hat heute eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Der Kernsatz der Pressemitteilung zum Urteil (Aktenzeichen 5 AZR 211/21) lautet:

„Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen.“

Der Fall betraf eine geringfügig Beschäftigte. Im April 2020 wurde das Ladengeschäft der Arbeitgeberin aufgrund einer Allgemeinverfügung der Freien Hansestadt Bremen zur Eindämmung des Corona-Virus geschlossen. Die Klägerin konnte deshalb nicht arbeiten und erhielt auch kein Entgelt. Mit ihrer Klage machte sie den Entgeltanspruch für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs geltend. Ihr Argument: Die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Die Klage hatte in zwei Instanzen Erfolg.

Der Fünfte Senat des BAG sah den Fall anders. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung – so das BAG – beruhe auf einem staatlichen Eingriff zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage und sei zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen erfolgt. Ein derartiger hoheitlicher Eingriff zum Schutz der Bevölkerung gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko. In einem solchen Fall realisiere sich nicht das in einem bestimmten Betrieb angelegte Betriebsrisiko. Das BAG hob folglich die vorangegangenen Entscheidungen auf und wies die Klage ab. Das Urteil lässt sich auch auf behördlich angeordnete Schließungen von Betriebsteilen übertragen, wenn dadurch die Annahme der Arbeitsleistung unmöglich wird.

Das Urteil ist bereits deshalb bemerkenswert, weil behördlich angeordnete Betriebsschließungen in der arbeitsrechtlichen Literatur verbreitet dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugeordnet werden. In dieser Allgemeinheit gilt dies nach der Entscheidung vom heutigen Tage nicht mehr. Allerdings wird man Fälle anders beurteilen müssen, in denen die Anordnung der Betriebsschließung auf einem Verhalten des Arbeitgebers beruht, z. B. auf einem betrieblichen Verstoß gegen Arbeitsschutz- oder Umweltvorschriften.

Mit dieser Differenzierung ist dem Urteil uneingeschränkt zuzustimmen, auch wenn dessen Konsequenzen für betroffene Arbeitnehmer durchaus einschneidend sind. Viele Unternehmen haben auf Corona-bedingte Schließungen mit Kurzarbeit reagiert. Den betroffenen Arbeitnehmern blieb damit zumindest das Kurzarbeitergeld. Hart trifft die Entscheidung Arbeitnehmer, die – wie die Klägerin – geringfügig beschäftigt sind. Sie haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

Der Fünfte Senat sieht diese Konsequenz, weist die Verantwortung aber – zutreffend – dem Staat zu. Der Staat habe für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch einen hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld sei dies teilweise geschehen. Soweit aber ein Zugang zum Kurzarbeitergeld – wie bei geringfügig Beschäftigten – nicht gewährleistet ist, beruhe dies einzig auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Das Fehlen einer sozialversicherungsrechtlichen Absicherung sei kein Grund, daraus eine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herzuleiten.

Unternehmen in Branchen, in denen eine Vielzahl von geringfügig Beschäftigten tätig sind, wie dies z. B. in der Gastronomie der Fall ist, werden das Urteil mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen.

Entgegen ersten Stellungnahmen beschränken sich die Folgen der Entscheidung aber nicht notwendig auf Minijobber. Für Unternehmen, die auf den Arbeitsausfall durch Corona-bedingte Schließungen bisher mit der Einführung von Kurzarbeit reagiert haben, wird sich die Frage stellen, ob sie darauf im Falle eines erneuten Lockdowns verzichten können. Denn auch die Kurzarbeit ist für den Arbeitgeber mit Kosten verbunden, die er spart, wenn er es bei dem Wegfall des Entgeltanspruchs nach dem heutigen Urteil belässt.

Damit ist es jetzt in der Tat Aufgabe des Staates, für einen adäquaten Ausgleich finanzieller Nachteile, die Beschäftigten durch derartige hoheitliche Eingriffe entstehen können, durch entsprechende Gesetzgebung zu sorgen.

(13. Oktober 2021)