Genehmigung des Briefportos 2022 bis 2024: Erneut rechtswidrig

Postkunden, die gegen die erneute Überhöhung des Briefportos der Deutsche Post AG infolge des überhöhten Gewinnzuschlags vorgehen wollen, sollten rechtzeitig vor dem 29. April 2023 mit den nebenstehenden Kontaktpersonen Verbindung aufnehmen und Klage gegen die Genehmigung dieser Porti erheben. Dann ist die Klagefrist in jedem Fall gewahrt. Raue beabsichtigt, Klagen gegen die Porti 2022 bis 2024 in einer Klage zusammenzufassen und Postkunden so bei der Erstattung überzahlter Porti zu unterstützen.

Vorgeschichte

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 27. Mai 2020 (6 C 1/19) die Genehmigung des Briefportos durch die Bundesnetzagentur für die Zeit von 2016 bis 2018 für rechtswidrig erklärt. Der Grund dafür ist, dass die Bundesregierung der Forderung der Deutschen Post AG entsprochen hatte, die Post-Entgeltregulierungsverordnung (PEntgV) dahin zu ändern, dass der Gewinn der Deutschen Post AG anhand der Gewinnmargen von Vergleichsunternehmen festgelegt wird und nicht, wie es Art. 20 Postgesetz (PostG) vorschreibt, anhand der Kosten des eingesetzten Eigenkapitals. Auf der Grundlage der geänderten Regelung zur Ermittlung des Gewinnzuschlags hatte die Bundesnetzagentur die Porti 2016 bis 2018 genehmigt. Dies verstieß nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gegen die höherrangige Vorschrift des § 20 Abs. 1 Postgesetz (PostG). Die Genehmigung der Porti 2019 bis 2021 ist nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. August 2022 (21 K 273/20) aus denselben Gründen rechtswidrig.

Bundesverwaltungsgericht und Verwaltungsgericht Köln haben die Entgeltgenehmigungen aber jeweils nur zugunsten des dortigen Klägers, eines Verbandes von Wettbewerbern der Deutschen Post im Paketbereich, aufgehoben. Für die übrigen Postkunden hat sich aufgrund dieser Gerichtsentscheidungen nichts geändert. Alle anderen Postkunden haben deshalb weiterhin das rechtswidrige Porto zu zahlen.

Klagen weiterer Postkunden gegen die Genehmigung der Porti für diese beiden Entgeltperioden sind nach Ansicht das Verwaltungsgerichts Köln inzwischen verwirkt, weil seit der ersten Inanspruchnahme von Beförderungsleistungen zu den genehmigten Porti ein Jahr vergangen sei. Wir halten diese Auffassung für falsch, sie ist Gegenstand einer Revision beim Bundesverwaltungsgericht. Von ihr ist aber bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen.

Reparaturgesetz vom 9. März 2021, Genehmigung der Porti 2022 bis 2024

In seinem Urteil vom 27. Mai 2020 machte das Bundesverwaltungsgericht einen Vorschlag, wie der von ihm beanstandete Rechtsfehler behoben werden können: Der Gesetzgeber müsse die Verordnungsermächtigung im PostG dahin ergänzen, dass die PEntgV der Bundesnetzagentur die Einführung von „Elementen“ einer Vergleichsmarktbetrachtung ermöglichen könne. Dabei müsse der Gesetzgeber die Gewinnmarge als zu ermittelnden Faktor sowie die Kriterien für die Auswahl der Vergleichsmärkte und Vergleichsunternehmen vorgeben. Die Ermächtigung müsse jedoch den Vorrang des gesetzlichen Effizienzkostenmaßstab in § 20 Abs. 1 PostG wahren (Rn. 60).

Dieser Vorschlag rief sogleich die damaligen Regierungsfraktionen auf den Plan. In der Meinung, der Bundesgesetzgeber sei an die vom Bundesverwaltungsgericht genannten Einschränkungen nicht gebunden, beschlossen sie am 9. März 2021 ein Reparaturgesetz, mit dem sie die vom Bundesverwaltungsgericht beanstandete Regelung in der PEntgV in Gesetzesrang erhoben und in das PostG einfügten (§ 20 Abs. 2 Satz 2 PostG). Die in der PEntgV getroffene Regelung hatte nach Schätzungen der Monopolkommission allein im Jahr 2019 zu einen zusätzlichen Gewinn der Deutschen Post von mindestens 150 Mio. € geführt (Policy Brief der Monopolkommission).

Durch Beschluss vom 29 April 2022 hat die BNetzA die Porti für die Entgeltperiode 2022 bis 2024 rückwirkend ab 1.Januar 2022 genehmigt. Die Genehmigung dieser Porti beruht auf der nunmehr in Gesetzesform gegossenen Regelung für den Gewinnzuschlag. Das Reparaturgesetz verstößt jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht gegen Europarecht. Die Genehmigung der Porti 2022 bis 2024 ist daher erneut rechtswidrig:

Verstoß des Reparaturgesetzes gegen die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur als nationale Regulierungsbehörde

In einem Urteil vom 2. September 2021 (Rs. 718/18) hat der Europäische Gerichtshof für den Bereich des Energierechts entschieden, dass es mit der zu gewährleistenden Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden unvereinbar ist, wenn die Festlegung der Tarife betreffende Gesichtspunkte wie die der Gewinnspanne durch Vorgaben der Mitgliedstaaten festgelegt werden.

Hieran gemessen besteht kein Zweifel, dass die Vorgabe in § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG, der zufolge bei der Ermittlung des Gewinnzuschlags insbesondere die Gewinnmargen solcher Unternehmen als Vergleich heranzuziehen sind, die mit der Deutschen Post in struktureller Hinsicht vergleichbar sind, gegen die Unabhängigkeit der BNetzA verstößt. Soweit diese Regelung der BNetzA überhaupt noch einen Spielraum belassen sollte, ist dieser so gering, dass die vom EuGH verlangte „völlige Unabhängigkeit“ nicht ansatzweise mehr gewährleistet ist. Die Unabhängigkeit der BNetzA als nationaler Regulierungsbehörde ist aber nach Erwägungsgrund 39, Art. 1, Art. 22 Abs. 1 der Postrichtlinie 97/67/EG in vergleichbarer Weise zu gewährleisten wie im Energierecht.

Verstoß des Reparaturgesetzes gegen den unionsrechtlichen Maßstab der Kostenorientierung

Darüber hinaus verstößt die Vorgabe des Reparaturgesetzes, den Gewinnzuschlag anhand der Gewinnmargen von Vergleichsunternehmen zu bestimmen, gegen den unionsrechtlichen Maßstab der Kostenorientierung der Tarife in Art. 12 PostRL. Der Maßstab der Kostenorientierung wird in den Richtlinien des europäischen Gesetzgebers auch in anderen Sektoren, insbesondere im Telekommunikationsrecht verwendet. Dort hat der EuGH durch ein Urteil vom 24. April 2008 entschieden, dass dieser Maßstab zum einen die Fremdkapitalzinsen und zum anderen die Zinsen für das eingesetzte Eigenkapital umfasst. Die Zinsen für das eingesetzte Eigenkapital stellten dabei die Einkünfte dar, die mit diesem Kapital erzielt worden wären, wenn es nicht in die regulierte Infrastruktur investiert worden wäre (Rs. C-55/06, 76-78).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 nicht zu dem unionsrechtlichen Maßstab der Kostenorientierung geäußert. Der Kostenmaßstab der effizienten Leistungsbereitstellung in § 20 Abs. 1 PostG ist jedoch eine Ausprägung dieses Kostenmaßstabs. Er fügt diesem Maßstab lediglich ein Effizienzkriterium hinzu. Das Gericht hat in seinem Vorschlag zur Behebung des von ihm beanstandeten Rechtsfehlers vorausgesetzt, dass der Vorrang des Effizienzkostenmaßstabs in § 20 Abs. 1 PostG bei Einführung von – bloßen – Elementen einer Vergleichsmarktbetrachtung, mit der die Gewinnmarge anderer Unternehmen ermittelt wird, gewahrt bleibt. Daher ist davon auszugehen, dass nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts das alleinige Abstellen auf die Gewinnmarge mit dem unionsrecht­lichen Maßstab der Kostenorientierung unvereinbar ist. Das wird noch dadurch unterstrichen, dass das Gericht in seinem Urteil die grundlegende Verschiedenheit der beiden Methoden zur Ermittlung des Gewinnzuschlags betont hat (Rn. 60).

Wie weiter?

Die BNetzA hat die Porti für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2024 zunächst vorläufig und durch Beschluss vom 24. April 2022 endgültig genehmigt. Die vom Verwaltungsgericht Köln angenommene Jahresfrist ab erstmaliger Inanspruchnahme der Beförderungsleistungen zu den genehmigten Porti noch nicht abgelaufen. Daher können alle Postkunden für die Briefformate, die sie ab dem 1. Januar 2022 von der Deutschen Post befördern ließen, bis zum 29. April 2023 Anfechtungsklage gegen die Genehmigung erheben.

(3. Februar 2023)