Bundestag beschließt Erleichterungen bei Einbürgerungen

Die Sozietät Raue vertritt zahlreiche Abkömmlinge von NS-Verfolgten, deren Vorfahren während der NS-Zeit die deutsche Staatsangehörigkeit aus rassistischen Gründen entzogen wurde. Viele dieser Nachfahren möchten die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen, was ihnen Art. 116 GG auch verspricht, aber die Praxis der Verwaltungsbehörden und der Rechtsprechung ihnen verweigert. Gemeinsam mit diesen Mandanten begrüßt die Sozietät Raue den Beschluss des Deutschen Bundestags in seiner Sitzung vom 24. Juni zur Verabschiedung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Hierdurch werden u.a. diesem Personenkreis und Opfern von Geschlechterdiskriminierung Erleichterungen bei der Wiedereinbürgerung gewährt. Die bisherige diskriminierenden Praxis bei der Wiedereinbürgerung von NS-Opfern und deren Nachfahren wird damit endlich beendet. Das Gesetzesvorhaben muss nun noch vom Bundesrat gebilligt werden, dessen Zustimmung als gesichert gelten kann.

Personen, deren Vorfahren die deutsche Staatsangehörigkeit im Dritten Reich unter dem NS-Regime entzogen wurde, spricht das Grundgesetz in Art. 116 Abs. 2 GG seit jeher einen Einbürgerungsanspruch zu. Die Einbürgerung scheiterte für viele Betroffene aber trotz der klaren Regelung im Grundgesetz an rechtlichen Hürden: Die zuständigen Behörden und Gerichte entschieden über die Einordnung als „Abkömmling“ auf Grundlage von rechtlichen Wertungen zu Familie und Ehe, welche an Wertungen der NS-Zeit anknüpften (inzidente Anwendung der sog. „Nürnberger Rassengesetze“) und die auf Regelungen beruhen, die mit der Gleichstellung von Mann und Frau unvereinbar sind. Die Gewährung des Anspruchs hing über Jahrzehnte u.a. davon ab, ob es sich um eheliche Nachkommen männlicher ausgebürgerter Deutscher handelte (dann wurde dem Antrag stattgegeben) oder um weiblicher ausgebürgerter Deutscher (dann nicht). Bei nichtehelichen Nachkommen war die Situation umgekehrt: Hier wurden nur Abkömmlinge weiblicher ausgebürgerter Deutscher eingebürgert. Zudem wurde der Anspruch versagt, wenn NS-Verfolgte, die bereits frühzeitig während der NS-Zeit Deutschland verlassen hatten, bereits vor November 1941 eine andere Staatsangehörigkeit beantragt hatten. Das Bundesverfassungsgericht stellte 2020 endlich fest, dass dies verfassungswidrig ist.

Mit der nun beschlossenen Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes zieht der Gesetzgeber hieraus (endlich) die Konsequenzen. Die bisherigen restriktiven Diskriminierungen werden aufgehoben. Zukünftig sind zudem auch solche Personen erleichtert einzubürgern, deren Vorfahren die deutsche Staatsangehörigkeit nicht förmlich entzogen wurden, sondern die diese im Zusammenhang mit nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen verloren haben oder gar nicht erwerben konnten. Hiervon umfasst sind etwa Menschen, die unter normalen Umständen während der NS-Zeit eingebürgert worden wären, denen dies aber nach den sog. „Nürnberger Rassegesetzen“ grundsätzlich versagt wurde.

Das Änderungsgesetz geht aber noch über das Anliegen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts hinaus: So beseitigt das Gesetz nunmehr Folgen einiger Bestimmungen zum Abstammungserwerb, die gegen die verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung der Geschlechter sowie von nichtehelichen und ehelichen Kindern verstießen. War ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Geburt wegen solcher Bestimmungen nicht möglich, kann in Zukunft in bestimmten Fällen ein erleichterter Erwerb erfolgen. Dies bezieht sich auf eheliche Kinder deutscher Mütter und ausländischer Väter, die vor dem 1. Januar 1975 geboren wurden und auf uneheliche Kinder deutscher Väter und ausländischer Mütter, die vor dem 1. Juli 1993 geboren wurde. Diese konnten nach der zur Geburt jeweils geltenden Rechtslage die deutsche Staatsangehörigkeit nicht von ihren deutschen Müttern bzw. Vätern ableiten.

Für betroffene Personen bedeuten diese Änderungen in erster Linie Rechtssicherheit. Obwohl durch verschiedene Erlasse des Bundesinnenministeriums in den vergangenen Jahren bereits erleichterte Ermessenregelungen geschaffen worden waren, blieb bei der Antragstellung oftmals eine Unsicherheit über die Auslegung der Verwaltungserlasse bestehen. Das neue Gesetz und seine ausführliche Begründung beseitigen diese Unsicherheit nun und lassen eine klarere und gerechtere Entscheidungsfindung über die Einbürgerungsfälle vieler Betroffener erwarten.

Aus Anlass jüngster antisemitischer Vorfälle in Deutschland ergänzte der Bundestag den ursprünglichen Entwurf um eine Bestimmung, die den Erwerb der Staatsangehörigkeit nach Verurteilung wegen einer antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Straftat erschweren soll.

(25. Juni 2021)