Bundesverfassungs­gericht erleichtert die Wiedereinbürgerung von Abkömmlingen ehemaliger NS-Verfolgter

Mit einem Beschluss vom 20. Mai 2020 (Az. 2 BvR 2628/18) hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Diskriminierung nichtehelicher Abkömmlinge von NS-Verfolgten bei der Wiedereinbürgerung nach Deutschland beendet. Es hat damit der  seit vielen Jahrzehnten erlassenen restriktiven Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Grundlage entzogen. Raue vertritt eine Vielzahl von Abkömmlingen ehemaliger NS-Verfolgter bei ihren Anträgen auf deutsche Staatsangehörigkeit und verbindet mit der Entscheidung die Hoffnung auf deutliche Erleichterungen für die Antragsteller.

Art. 116 Abs. 2 GG gewährt den Abkömmlingen von früheren deutschen Staatsangehörigen, denen die Staatsangehörigkeit während des NS-Regimes entzogen worden ist, einen Anspruch auf Wiedereinbürgerung in Deutschland. Von der Ausbürgerung waren u.a. alle deutschen Juden betroffen, die sich im November 1941 oder später im Ausland aufhielten, d.h. der überwiegende Teil der ehemals deutschen Juden, die die Vernichtung durch den Holocaust überleben konnten. Die deutschen Verwaltungsgerichte haben diesen Verfassungsauftrag zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts allerdings bisher nur sehr einschränkend ausgelegt: Den Anspruch auf Wiedereinbürgerung soll nach der bisherigen Rechtsprechung nur derjenige haben, der bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge und unter Beachtung der zum Zeitpunkt der jeweiligen Geburten geltenden Rechtslage Deutscher geworden wäre. Danach hing die Frage, ob ein Anspruch auf Wiedereinbürgerung besteht, unter anderem davon ab, ob der Nachfahre der NS-Opfer ehelich oder nichtehelich geboren war. Im Fall von ehelichen Kindern vermittelte sich der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bis 1953 nur über den Vater. Somit konnte nach der bisherigen Rechtsprechung eine deutsche NS-verfolgte Mutter ihre deutsche Staatsangehörigkeit bis 1953 nicht auf ein eheliches Kind übertragen. Umgekehrt hatten Kinder eines während der NS-Zeit ausgebürgerten deutschen Vaters keinen Anspruch auf Wiedereinbürgerung, wenn dieser zum Zeitpunkt der Geburt nicht mit der Mutter verheiratet war, da die deutsche Staatsangehörigkeit bis 1975 bei nichtehelicher Geburt nur von einer deutschen Mutter erworben werden konnte. Bis zuletzt wendeten die deutschen Verwaltungsgerichte also bei der Beurteilung der jeweilige Familiengeschichte immer noch das mit dem Gleichheitssatz von Mann und Frau (Art. 3 GG) und der Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG) unvereinbare Recht an, das zum Zeitpunkt der jeweiligen Geburt galt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem am 20. Mai 2020 ergangenen Beschluss dieser Praxis ein Ende bereitet. Es hat entschieden, dass Art. 116 Abs. 2 GG nach seinem Sinn und Zweck zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts weit auszulegen ist. Bei der Auslegung ist es verfassungsrechtlich geboten, die in Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Wertentscheidungen zur Gleichstellung von Mann und Frau sowie von ehelichen und nichtehelichen Kindern miteinzubeziehen. Der Einbürgerungsanspruch darf deshalb Abkömmlingen nicht vorenthalten werden, die nach einem durch das Grundgesetz überwundenen Rechtsverständnis die deutsche Staatsangehörigkeit nicht von ihrem Vater hätten erwerben können (Rz 52 und 56 des Beschlusses). Nach Auffassung von Raue ist die Entscheidung auf die Fälle ehelicher Abkömmlinge übertragbar, in denen eine Wiedereinbürgerung bisher daran scheiterte, dass nur der Mutter durch das NS-Regime die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde.

Raue vertritt seit vielen Jahren zahlreiche Abkömmlinge von NS-Opfern, denen bisher eine Wiedereinbürgerung versagt wurde. Raue begrüßt die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr entstandene Rechtsklarheit und hält diese für einen wichtigen Beitrag zur Wiedergutmachung des während der NS-Zeit ergangenen Unrechts.

(22. Juni 2020)