Kommission: Mitteilung zum Schutz vertraulicher Informationen in Kartellschadens­ersatzverfahren

Die Europäische Kommission (Kommission) hat am 20. Juli 2020 ihre Mitteilung über den Schutz vertraulicher Informationen durch nationale Gerichte in Verfahren zur privaten Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts veröffentlicht. Die Mitteilung enthält wichtige Hinweise der Kommission zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen in gerichtlichen Kartellzivilverfahren und hat besondere Relevanz für das Kartellschadensersatzrecht (Follow-On-Klagen). Für die Geltendmachung von Kartellschadensersatz vor nationalen Gerichten wird regelmäßig eine Offenlegung von Beweismitteln beantragt. Die nationalen Gerichte stehen dann vor der Aufgabe, die Offenlegung dieser Beweismittel anzuordnen und gleichzeitig wirksame Mittel zum Schutz vertraulicher Informationen zur Verfügung stellen.

Mangels EU-Kompetenzen im Bereich des Zivilprozessrechts sind die Ausführungen der Kommission für nationale Gerichte nicht bindend. Dennoch bieten die Empfehlungen eine willkommene Orientierungshilfe für die noch stark auseinanderfallende Gerichtspraxis in den einzelnen Mitgliedstaaten.

Loyale Zusammenarbeit und effektive Mittel zum Schutze vertraulicher Informationen

Ausgehend von den Bestimmungen der Schadenersatz-Richtlinie 2014/104/EU und der Rechtsprechung der Unionsgerichte legt die Kommission zunächst die allgemein für Offenlegungsanträge geltenden Anforderungen sowie die Voraussetzungen für eine Einstufung als vertrauliche Information dar. Ebenfalls erläutert die Kommission die Grundsätze ihrer eigenen Zusammenarbeit mit den Gerichten, wenn diese eine Offenlegung von Unterlagen aus der Kommissionsakte anordnen.

Hiernach gibt die Kommission den nationalen Gerichten eine umfassende Handreichung, welche Mittel zum Schutz vertraulicher Informationen in Betracht kommen bzw. wie und wann diese effektiv eingesetzt werden können. Neben der Schwärzung bzw. Unkenntlichmachung kommen ein Vertraulichkeitskreis unter Einbeziehung von Rechtsberatern und Unternehmensvertretern, die Heranziehung von Sachverständigen zur Bestimmung der Vertraulichkeit oder eine Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Betracht. Hinsichtlich der Unkenntlichmachung empfiehlt die Kommission den Gerichten beispielsweise, allgemeine oder fachspezifische Leitlinien zur Anfertigung von Schwärzungen herauszugeben.

Geheimnisschutz im GWB und Änderungen durch die 10. GWB-Novelle

Auch für das deutsche Kartellprozessrecht ist die Mitteilung von hoher Relevanz. Das Spannungsverhältnis zwischen Offenlegung und Geheimnisschutz richtet sich seit der 9. GWB-Novelle maßgeblich nach § 33g und §89b Abs. 6 und 7 GWB. Hiernach können die Zivilgerichte im Falle eines Auskunftsanspruchs die „erforderlichen Maßnahmen“ zum Schutze vertraulicher Informationen im Einzelfall treffen. Die Art und Ausgestaltung dieser Geheimnisschutzmaßnahmen war angesichts der denkbar weiten Formulierung bislang jedoch weitgehend ungeklärt und stand im freien Ermessen des Gerichts. Die Empfehlungen der Kommission dienen insoweit als eine wertvolle Orientierungshilfe.

Die bevorstehende 10. GWB-Novelle wird voraussichtlich für weitere Klarheit sorgen. Der neue § 89b Abs. 7 Satz 2 GWB-RefE sieht insbesondere die Beauftragung eines öffentlich bestellten Sachverständigen als Möglichkeit zur Bestimmung des gebotenen Geheimnisschutzes vor. Mit dieser Ergänzung soll der Aufwand, der üblicherweise mit der Schwärzung von Unterlagen verbunden ist, künftig verringert werden. Die Ergänzung durch den GWB-Gesetzgeber steht nunmehr in Einklang mit der Einschätzung der Kommission, die die Bestellung eines Sachverständigen ebenfalls als ein „wirksames Mittel zum Schutz der Vertraulichkeit“ bewertet.

Spannungsverhältnis zur ZPO und Ausblick

Schließlich ist auf das Spannungsverhältnis zwischen den Prozessmaximen in der deutschen Zivilprozessordnung (etwa das Öffentlichkeits-, Unmittelbarkeits-, und Mündlichkeitsprinzip sowie die Darlegungs- und Beweislastverteilung) und den Zugangsbeschränkungen nach Vorstellung der Kommission hinzuweisen. Ohne eine grundsätzliche Anpassung der ZPO dürften die teils progressiven Anregungen der Kommission nicht ohne weiteres vor nationalen Gerichten nutzbar sein.

Hieran knüpfen sich perspektivisch prozesstaktische Erwägungen und die Fragestellung an, welcher Gerichtsstandort neben materiellen Gesichtspunkten auch im Interesse der Informationserlangung die größten Erfolgsaussichten bietet. Ob Deutschland dann immer noch neben dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden unter den führenden Gerichtsstandorten bleibt, wird sich zeigen.

(31. Juli 2020)