Internationale Elternschaft

Das deutsche Abstammungsrecht sieht bislang eine rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung – und damit die umfassende Absicherung des Kindes qua Geburt – nur zu einer Mutter und einem Vater vor, nicht aber etwa zu zwei Müttern. Es besteht mittlerweile überwiegend Konsens, dass insoweit dringender Reformbedarf besteht. Das Bundesjustizministerium hat im Januar ein Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts vorgelegt.

Was viele (werdende) Familien und selbst manche Standesämter nicht wissen: Wird ein Kind in Deutschland geboren und haben die Eltern (auch) eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche, ermöglicht das geltende Recht unter Umständen schon jetzt plurale Familienformen. Grund dafür ist Art. 19 EGBGB – den man als „schlafende Schönheit“ im deutschen internationalen Privatrecht (IPR) bezeichnen könnte. Die weitgehend unbekannte Norm enthält bei internationalen Eltern verschiedene Anknüpfungsalternativen für die Eltern-Kind-Zuordnung, die gleichwertig im deutschen Recht zu beachten sind.

Demnach kann sich die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung aus dem Aufenthaltsstatut des Kindes ergeben – also dem Recht am Ort, an dem das Kind dauerhaft lebt. Lebt das Kind in Deutschland, ist das deutsche Recht anwendbar. Das Aufenthaltsstatut kann sich aber wandeln – etwa, wenn die Familie ins Ausland umzieht. Dann wird das ausländische Recht anwendbar, denn es kommt auf den gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt an, in dem die Abstammung festgestellt werden soll.

In Bezug auf jeden Elternteil kann sich die Abstammung außerdem nach dessen Staatsangehörigkeit richten, dem sogenannten Personalstatut des jeweiligen Elternteils. Dadurch kommt unmittelbar jede internationale Rechtsordnung zur Anwendung, in welche die Staatsangehörigkeit des Elternteils verweist. Verdeutlicht an einem Beispiel: Ein Kind wird in Deutschland in eine Partnerschaft zweier Mütter hineingeboren. Die Gebärende ist deutsche Staatsangehörige, die zweite Mutter ist Österreicherin. Das österreichische Abstammungsrecht erlaubt die Zuordnung einer zweiten Mutter gemäß § 144 Abs. 2 ABGB qua Ehe oder auf Grund einer Anerkennungserklärung. Das Standesamt hat hier auf Grund von Art. 19 EGBGB und dem Personalstatut der zweiten Mutter auch das österreichische Abstammungsrecht zu berücksichtigen. Unter Anwendung des österreichischen Sachrechts wird die zweite Mutter – ohne weitere Prüfung und vor allem ohne Adoptionsverfahren – im deutschen Geburtenregister eingetragen.

Als dritte Alternative steht das Ehestatut der Eltern zur Verfügung. Wenn die Eltern also verheiratet sind, bestimmt sich die Abstammung des Kindes auch nach dem Recht, das auf die Ehe der Eltern Anwendung findet.

Im Abstammungsrecht gilt aus Kindeswohlgründen das Günstigkeitsprinzip. Das heißt, das Standesamt hat aus den möglichen Alternativen von Art. 19 Abs. 1 EGBGB diejenige zu wählen, die dem Kind die Zuordnung zum jeweiligen Elternteil am Ehesten ermöglicht. Rückverweisungen oder formale Voraussetzungen des ausländischen Registerrechts sind unbeachtlich und stehen der inländischen Eltern-Kind-Zuordnung nicht entgegen.

Raue berät (werdende) Familien zum Abstammungsrecht. Auf Grundlage von Art. 19 Abs. 1 EGBGB haben verschiedene Standesämter in Deutschland so etwa die Zuordnung des Kindes zu einer zweiten Mutter unter Anwendung des österreichischen, des spanischen, des belgischen, des niederländischen Rechts sowie des Rechts einzelner US-amerikanischer und australischer Bundesstaaten anerkannt. Zudem hat das Amtsgericht Kreuzberg mit Beschluss vom 6. Oktober 2023 (Az. 127 F 1189/23) die Mit-Mutterschaft nach dänischem Recht festgestellt. Das Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 30. Juni 2021 (Az. 528 F 12176/20) eine Mit-Mutterschaft nach dem britischen Recht ausgesprochen.

(19. Februar 2024)