Bundesverfassungs­gericht: Verfassungs­konformer Ausgleich von Betriebsrenten

Im Rahmen einer Ehescheidung entscheidet das Familiengericht auch über die Teilung von Rentenrechten. Sofern die Eheleute nichts anderes vereinbaren, werden alle Rentenanrechte, die sie während der Ehe erworben haben, am Ende der Ehe hälftig zwischen ihnen geteilt. Der sog. Versorgungsausgleich soll beide Ehegatten auch bei ungleicher Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit mit einer eigenständigen Altersversorgung absichern.

Standardmäßig wird der Versorgungsausgleich so durchgeführt, dass die Anrechte innerhalb des gleichen Versorgungsträgers ausgeglichen werden. Das ist die sog. interne Teilung. Für  Betriebsrenten gibt es aber eine gesetzliche Sonderbestimmung, § 17 VersAusglG. Sagt der Arbeitgeber selbst die Versorgung im Alter zu – in Form der Direktzusage oder mittels Unterstützungskasse –, kann er die sog. externe Teilung verlangen, wenn der Ausgleichswert als Kapitalwert nicht höher ist als derzeit 82.800 €. Das bedeutet, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte – in 90% der Fälle: die Ehefrau – kein eigenes Anrecht beim Arbeitgeber (= Versorgungsträger) des Ehemannes bekommt. Stattdessen wird der Kapitalwert des Betriebsrentenanrechts ermittelt, von dem die Ehefrau im Wege des Versorgungsausgleichs die Hälfte bekommt. Die Ehefrau muss einen eigenen Versorgungsträger (sogenannte Zielversorgung) bestimmen, bei dem sie in Höhe des Ausgleichswertes eine eigene Altersvorsorge anlegt.

In der Praxis kommt es bei dieser externen Teilung zu zum Teil immensen Wertverlusten. In einem Fall, über den 2016 der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte (XII ZB 540/14), waren die Eheleute 20 Jahre verheiratet. Der Ehemann hatte ein Anrecht aus betrieblicher Direktzusage mit einem Kapitalwert von knapp 100.000 €, was nach damaliger Rechnung einer monatlichen Rente von ca. 1.800 € entsprach. Rund 50.000 € erhielt die Frau als Ausgleichswert im Rahmen des Versorgungsausgleichs. Damit konnte sie bei einem externen Versorgungsträger aber keine vergleichbare Anlageform finden. Grund waren die unterschiedlichen Zinssätze, die bei der Ermittlung des Anrechts des Mannes im Rahmen der Betriebsrente einerseits und des Anrechts der Frau beim neuen Versorgungsträger andererseits zu Grunde gelegt wurden. Bei dem inzwischen marktgerechten Zinssatz übersetzte sich der Kapitalwert für die Ehefrau nicht in eine monatliche Rente von 900 €, sondern von gerade einmal rund 200 €. Der Transferverlust zwischen dem, was der Mann im Wege des Versorgungsausgleichs abgegeben hatte (900 € monatliche Rente) und dem Wert, der bei der Frau tatsächlich ankam (200 € monatliche Rente) betrug mehr als 75 Prozent. – Der Bundesgerichtshof hielt dies 2016 für rechtens.

Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. Es hat mit Urteil vom 26. Mai 2020 (1 BvL 5/18) das verfassungsrechtliche Prüfprogramm für die Familiengerichte beim Ausgleich von Betriebsrenten konturiert und damit die Rechte der Eheleute gestärkt. Familiengerichte dürfen nicht länger die Auskünfte der Versorgungsträger ungeprüft übernehmen, sondern müssen in jedem Einzelfall sicherstellen, dass die Grundrechte der Eheleute gewahrt werden. Bei der externen Teilung von betrieblichen Rentenanrechten sind Transferverluste von 10 Prozent hinnehmbar. Ein Ergebnis wie im oben genannten Beispielsfall mit einem Transferverlust von mehr als 75 Prozent ist hingegen verfassungswidrig, da eine solch übermäßige Beschränkung der Eigentumsgrundrechte sowohl des Ehemannes als auch der Ehefrau nicht mehr gerechtfertigt ist.

Für zukünftige Entscheidungen im Versorgungsausgleich werden Familiengerichte nun also sehr viel genauer auf eine verfassungskonforme Rechtsanwendung achten müssen. Wenn nach der Rechnung der Versorgungsträger dem abgebenden Ehegatten deutlich mehr weggenommen wird, als in der Zielversorgung der berechtigten Person ankommt, ist das Ergebnis mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Verfassungsrechtlich bedenklich ist die familiengerichtliche Praxis auch dann, wenn sie sich überwiegend zu Lasten von Frauen auswirkt.

Ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch für bereits rechtskräftige Versorgungsausgleichsbeschlüsse aus der Vergangenheit relevant? Möglicherweise ja. Das Familiengericht kann auf Antrag den Versorgungsausgleich abändern, wenn nach der Scheidung rechtliche oder tatsächliche Änderungen eingetreten sind (§ 225 FamFG). Von der Abänderungsmöglichkeit sind Betriebsrenten bislang zwar ausgenommen (§ 32 VersAusglG). Das Bundesverfassungsgericht hatte die Ausnahme der Betriebsrenten von der Abänderungsmöglichkeit in einer Entscheidung von 2014 (1 BvL 9/12) auch verfassungsrechtlich gebilligt. In seinem aktuellen Urteil kontextualisiert das Bundesverfassungsgericht diese frühere Entscheidung nun aber und eröffnet damit möglicherweise einen Weg für die Abänderbarkeit von bereits rechtskräftigen Beschlüssen. Wurde der Versorgungsausgleich in der Vergangenheit mit verfassungswidrigen Transferverlusten durchgeführt, könnte einiges dafür sprechen, diese Fälle erneut zu überprüfen und beim Familiengericht eine Abänderung zu beantragen.

(3. Juni 2020)