ECT: EU-Investitions­schutz­streitigkeiten vor dem Aus?

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6. März 2018 (Urt. v. 06.03.2018, Az.: C-284/16 – „Achmea-Entscheidung“) ist die (europäische) Welt des Investitionsschutzes vor nichtstaatlichen Schiedsgerichten ins Wanken geraten. Der Achmea-Entscheidung lag die Frage der Wirksamkeit einer Schiedsklausel in einem bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei zugrunde. Der EuGH urteilte, dass Klauseln in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedsstaten, die eine Klärung von Streitigkeiten durch nichtstaatliche Schiedsgerichte vorsähen, gegen das Unionsrecht verstoßen und daher unzulässig seien (mehr dazu im Raue LLP-Update: „EU-Investitions­streitigkeiten vor Schieds­gerichten?“ und „EuGH-Urteil: Schiedsklauseln in Investitions­schutz­abkommen sind unzulässig“). Seit dem Urteilsspruch besteht nun Unsicherheit über die Reichweite der Achmea-Entscheidung:

  • Gilt die Feststellung des EuGH nur für bilaterale oder auch für multilaterale Investitionsschutzabkommen?
  • Gilt die Feststellung des EuGH auch für Investitionsschutzabkommen, bei denen die Europäische Union selbst Vertragsunterzeichner ist?

Einen Hinweis zur Klärung dieser Fragen könnte die Stellungnahme der Europäischen Kommission (EU-Kommission) vom 8. Mai 2018 im Rahmen der Schiedsklage des Vattenfall-Konzerns gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des deutschen Atomausstiegsgesetzes aus dem Jahr 2011 geben. Bei diesem Verfahren handelt es sich um eines der prominentesten Beispiele eines intraeuropäischen Investitionsschutzstreites vor einem nichtsstaatlichen Schiedsgericht. Zwar ist der EuGH in seiner Rechtsauslegung in keiner Weise an die Rechtsauffassung der EU-Kommission gebunden. Gleichwohl mag die Position der EU-Kommission als Indiz für die europäische Sicht zur Fragestellung taugen. Auch im Zusammenhang mit der Achmea-Entscheidung hatte die EU-Kommission ihre Rechtsauffassung, die durch das Urteil des EuGH bestätigt wurde, zuvor unzweideutig zum Ausdruck gebracht.

Worum geht es in der Vattenfall-Klage?

Der Vattenfall-Konzern hat im Jahr 2012 eine Schadensersatzklage gegen die Bundesprepublik Deutschland in Höhe von 4,7 Mrd. Euro beim International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington mit der Begründung erhoben, durch das deutsche Atomausstiegsgesetz faktisch enteignet worden zu sein. Rechtsgrundlage für die Klage ist der Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty „ECT“). Dieser Energiecharta-Vertrag ist ein internationaler Vertrag, der im April 1998 in Kraft getreten ist. Grundlage ist die im Dezember 1991 unterzeichnete Energiecharta, deren ursprüngliches Ziel es war, die Energiesektoren der Nachfolgestaaten der UDSSR und Osteuropas in den europäischen Energiemarkt zu integrieren. Derzeit zählt der Energiecharta-Vertrag 52 Unterzeichner, darunter alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und insbesondere die Europäische Union selbst. Nach dem Energiecharta-Vertrag gilt für die Unterzeichner das Verbot eigentumsbeeinträchtigender Maßnahmen wie entschädigungsloser Enteignungen, das Diskriminierungsverbot und das Gebot der fairen und gerechten Behandlung ausländischer Investoren. Genau diese Schutzstandards sieht der Vattenfall-Konzern durch das Atomausstiegsgesetz aus dem Jahr 2011 verletzt. Seit Mai 2012 ist daher eine entsprechende Schadensersatzklage des Vattenfall-Konzerns beim ICSID anhängig, eines der in der Schiedsklausel des Energiecharta-Vertrags vorgesehenen nichtstaatlichen Schiedsgerichte. Die EU-Kommission ist auf eigenen Antrag an dem Verfahren als amicus curiae beteiligt und hat am 30. September 2015 erstmalig eine Stellungnahme abgegeben. Nach Veröffentlichung der Achmea-Entscheidung hatte das Schiedsgericht den Schiedsparteien bis zum April 2018 aufgegeben, Stellung zu dem Urteil zu beziehen. Die Bundesregierung beantragte daraufhin in ihrer Stellungnahme, die Schiedsklage des Vattenfall-Konzerns abzuweisen, da der Rechtssatz der Achmea-Entscheidung auch für den Energiecharta-Vertrag Geltung beanspruche (Auskunft zur Frage an die Bundesregierung Nummer 185 vom 24. April 2018). Presseberichten zufolge hat sich die EU-Kommission nunmehr in einer Stellungnahme vom 8. Mai 2018 dieser Position angeschlossen.

Was folgt aus der Stellungnahme der EU-Kommission?

Sollte sich dies bestätigen, ließe es zumindest Schlüsse zur Position der EU-Kommission zur Reichweite der Achmea-Entscheidung zu. Danach beträfen die Feststellungen der Achmea-Entscheidung nicht nur bilaterale, sondern auch multilaterale Investitionsschutzabkommen. Interessanter ist, dass die EU-Kommission sogar von einer unwirksamen Schiedsklausel ausgehen würde, obwohl die Europäische Union selbst Unterzeichner des Energiecharta-Vertrags ist. In seiner Achmea-Entscheidung hatte der EuGH hierzu kryptisch festgestellt, dass es der Europäischen Union freistehe, sich den Entscheidungen eines durch internationale Übereinkünfte geschaffenen Gerichts zu unterwerfen, sofern die Autonomie der Union und ihrer Rechtsordnung gewahrt bleibe (EuGH, Urt. v. 06.03.2018, Az.: C-284/16, Rn. 57).

Welche Bedeutung hat die Position der Kommission für die Energiewirtschaft?

Derzeit sind 114 Verfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags anhängig. Die Mehrzahl betrifft rein innereuropäische Schiedsstreitigkeiten. Allein 39 Verfahren haben die – teilweise drastische – Reduzierung der Förderung erneuerbarer Energien in vielen Europäischen Staaten zum Gegenstand. Zumindest für die rein innereuropäischen Schiedsstreitigkeiten auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags würde die Position der EU-Kommission das Ende bedeuten. Verfahren zwischen EU-Mitgliedstaaten und Unternehmen aus Drittstaaten sowie zwischen Drittstaaten und europäischen Unternehmen auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags wären hingegen zumindest nicht unmittelbar betroffen.

ICSID-Schiedsgericht verurteilt Spanien in Verfahren über Investitionen in Solaranlagen

In einem aktuellen ICSID-Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags hat sich das Schiedsgericht gegen die Auslegung der EU-Kommission positioniert. Mit Schiedsspruch vom 16. Mai 2018 hat das Schiedsgericht Spanien zur Zahlung von 64.5 Mio. Euro verurteilt (Masdar ./. Königreich von Spanien, Schiedsurteil vom 16. Mai 2018). Die niederländische Klägerin hatte im Jahr 2007 in die spanische Solarwirtschaft investiert. Der spanische Staat hatte im Jahr 2013 das ursprünglich vereinbarte Vergütungsmodell zu Lasten der Klägerin abgeändert (mehr dazu im Raue LLP-Update „Gekürzte Förderung: Schiedsgericht weist Klage gegen Spanien ab“). Das ICSID-Schiedsgericht vertritt nun in seiner Entscheidung die Ansicht, die Achmea-Entscheidung sei auf multilaterale Verträge wie den Energiecharter-Vertrag, bei denen die EU selbst Vertragspartei, nicht anwendbar.

Wie geht es weiter, wenn das Schiedsgericht im Vattenfall-Verfahren sich der Ansicht der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Kommission nicht anschließt?

Sollte das Schiedsgericht der Argumentation der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Kommission nicht folgen und die Bundesrepublik zur Zahlung verurteilen, ist sehr fraglich, ob der Schiedsspruch innerhalb der EU vollstreckt werden kann. ICSID-Schiedssprüche sind zwar laut Art. 54 ICSID-Übereinkommen zu behandeln wie innerstaatliche Urteile. Die Schiedsurteile sind ohne inhaltliche Prüfung für vollstreckbar zu erklären. Allerdings bestehen dennoch hohe Hürden für die Durchsetzung des Schiedsspruchs: Zum einen haben die Parteien die Möglichkeit, auf der Grundlage von Art. 52 ICSID-Übereinkommen die Aufhebung des Schiedsspruchs zu beantragen. Voraussetzung ist z.B. eine offensichtliche Überschreitung der Befugnisse des Gerichts. Während des Aufhebungsverfahrens kann der zur Entscheidung berufene Ausschuss die Vollstreckung des Schiedsspruchs aussetzen.

Außerdem vertritt die EU-Kommission die Ansicht, die Umsetzung oder Vollstreckung eines ICSID-Schiedsspruchs stelle eine staatliche Beihilfe dar. Diese müsse bei der Kommission zur Genehmigung angemeldet werden (Beschluss der EU-Kommission vom 30. März 2015 über die von Rumänien durchgeführte staatliche Beihilfe nach einem Schiedsspruch vom 11. Dezember 2013 in der Sache Micula / Rumänien).

Die EU-Kommission würde voraussichtlich den Staat, in dem Vattenfall die Vollstreckung einleiten würde, anweisen, alle Maßnahmen zu unterlassen, die zur Umsetzung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs führen könnten. Bei Missachtung ihrer Anordnung könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einleiten. Der EuGH hätte dann darüber zu entscheiden, ob die Umsetzung des Schiedsspruchs mit dem EU-Binnenmarkt vereinbar ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Achmea-Entscheidung auch auf Verfahren auf der Grundlage des Energiecharta-Vertrags anzuwenden ist.

Eine endgültige Klärung der Streitfrage in absehbarer Zeit ist daher nicht in Sicht.

(30. Mai 2018)