EuGH-Urteil: Schiedsklauseln in Investitions­schutz­abkommen sind unzulässig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern in einem mit Spannung erwarteten Urteil eine Grundsatzentscheidung zur Zulässigkeit von Schiedsklauseln in sogenannten Investitionsschutzabkommen getroffen (Urt. v. 06.03.2018, Az. C-284/16). Danach verstoßen Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Staaten zur Klärung von Streitigkeiten über Investitionen gegen das Unionsrecht. Die Tragweite dieser Entscheidung ist nicht zu unterschätzen: Derzeit bestehen 196 solcher Intra-EU-Investitionsschutzabkommen, die mit dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Abkommen vergleichbar sind. Darüber hinaus ist die Liste der Klagen von Investoren aus EU-Staaten gegen andere EU-Staaten lang. Ende 2016 waren rund 150 dieser Intra-EU-Schiedsverfahren vor diversen Schiedsgerichten anhängig.

Was sind internationale Investitionsschutzabkommen?

Investitionsschutzabkommen sind bi- oder multilaterale Verträge zwischen Staaten. Die Vertragsstaaten verpflichten sich in den Investitionsschutzabkommen bestimmte materielle Schutzstandards einzuhalten, die dem Schutz ausländischer Investoren dienen. Zu diesen Schutzstandards zählen etwa das Verbot eigentumsbeeinträchtigender Maßnahmen wie entschädigungslosen Enteignungen, das Diskriminierungsverbot oder auch das Gebot der fairen und gerechten Behandlung.

Zur Durchsetzung dieser materiellen Schutzstandards sehen die allermeisten Investitionsschutzabkommen vor, dass betroffene Unternehmen ihre Ansprüche vor nicht staatlichen Schiedsgerichten geltend machen können. Die Entscheidungen dieser Schiedsgerichte sind in fast allen Fällen unmittelbar bindend und nur äußerst eingeschränkt durch staatliche Gerichte überprüfbar. Befürworter von Investitionsschutzabkommen sehen darin die Möglichkeit für Investoren, schnell und an einem neutralen Schiedsort ihre Rechte durchsetzen zu können. Dies gilt insbesondere gegenüber Staaten, deren Gerichtsbarkeit möglicherweise politisch beeinflusst wird. Kritiker sehen hingegen die Gefahr, dass mit der nicht staatlichen Schiedsgerichtsbarkeit eine Paralleljustiz geschaffen wird, die nicht durch den staatlichen Instanzenzug kontrolliert wird. Darüber hinaus haben Schiedssprüche keinerlei bindende Präzedenzwirkung für andere Schiedsstreitigkeiten. Drohende Schiedsklagen, deren Ausgang dadurch kaum einzuschätzen ist, könnten Staaten daran hindern, legitime regulatorische Maßnahmen umzusetzen.

Worum ging es im konkreten Fall?

Der nunmehr ergangenen Entscheidung des EuGH lag ein bilaterales Investitionsabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei zu Grunde. Im Jahr 2004 liberalisierte die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Krankenversicherungen. Daraufhin begann das niederländische Unternehmen Achmea über eine Tochtergesellschaft in der Slowakei private Krankenversicherungen anzubieten. Im Jahr 2006 machte die Slowakei die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes teilweise wieder rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Daraufhin klagte Achmea im Jahr 2008 auf Grundlage des bestehenden Investitionsschutzabkommens vor einem Schiedsgericht in Frankfurt. Im Jahr 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei mit den Maßnahmen im Jahr 2006 gegen das Investitionsschutzabkommen verstoßen habe und verurteilte die Slowakei zur Zahlung von  22,1 Millionen Euro Schadensersatz. Die Slowakei erhob daraufhin Klage bei den deutschen Gerichten (da der Schiedsort Frankfurt gewesen war) auf Aufhebung des Schiedsspruchs mit dem Argument, dass die im Investitionsschutzabkommen enthaltene Schiedsklausel gegen europäisches Recht verstoße. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof legte diese Frage dem EuGH vor.

Der EuGH hat nun in seiner Entscheidung festgestellt, dass das Unionsrecht zwingend erfordert, dass ein Gerichtssystem geschaffen werde, welches Kohärenz und Einheitlichkeit bei der Auslegung des Unionsrechts sicherstelle. Das angerufene Schiedsgericht könne aber nicht als Gericht eines Mitgliedsstaats gemäß Art. 267 AEUV eingestuft werden. Gleichzeitig sehe das nationale Recht im vorliegenden Fall nur eine beschränkte Überprüfbarkeit des Schiedsspruchs durch staatliche Gerichte vor. Die Niederlande und die Slowakei hätten mit dem Abschluss des Investitionsschutzabkommens einen Konfliktlösungsmechanismus geschaffen, der nicht sicherstelle, dass über intraeuropäische Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befinde. Nur ein solches Unionsgericht sei aber in der Lage die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. Folglich beeinträchtige die enthaltene Schiedsklausel den aus Art. 344 AEVU folgenden Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts und sei daher nicht mit ihm vereinbar (Pressemitteilung Nr. 26/18 des EuGH vom 6. März 2018).

Welche Auswirkungen hat die Entscheidung?

Die Entscheidung hat eine erhebliche politische und wirtschaftliche Brisanz. Sämtliche anhängigen Verfahren im Zusammenhang mit Streitigkeiten zu Intra-EU-Investitionsschutzabkommen sind durch das Urteil betroffen. Das bestehende System von Intra-EU-Investitionsschutzabkommen dürfte darüber hinaus erheblich an Bedeutung verlieren. Der entscheidende Vorteil dieser Abkommen für Investoren bestand gerade darin, vor Schiedsgerichten abseits der staatlichen Gerichtsbarkeit zu klagen. Ob es sich dabei um bi- oder multilaterale Investitionsschutzabkommen handelt, dürfte angesichts der Entscheidungsbegründung des EuGH keine Rolle spielen. Es stellt sich die weitergehende Frage, ob die Entscheidung auch Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten innerhalb der EU aufgrund von Handels- und Investitionsschutzabkommen mit Drittstaaten wie etwa CETA oder TTIP betrifft.

Betrifft die Entscheidung auch Streitigkeiten in der Energiewirtschaft?

Diese Frage könnte gerade für Unternehmen der Energiewirtschaft von erheblicher Bedeutung werden. Rechtliche Grundlage in derzeit 114 anhängigen Verfahren ist der Energiecharta-Vertrag (ECT), der unter anderem von allen Mitgliedsstaaten der EU und der EU selbst unterzeichnet worden ist. Wir hatten bereits über den Fall Charanne B.V. vs. Spain berichtet (mehr dazu im Raue LLP-Update: „Gekürzte Förderung: Schiedsgericht weist Klage gegen Spanien ab„). Ein weiteres prominentes Beispiel ist die Schiedsklage des Vattenfall-Konzerns gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegsgesetzes im Jahr 2011 mit eine Streitwert von 4,7 Milliarden Euro, welches beim International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington anhängig ist. Sollte auch der ECT von der Rechtsprechung des EuGH betroffen sein, könnte dies auch für die anhängigen und zukünftigen Verfahren innerhalb der EU auf Grundlage des ECT ein game changer sein. Einen Hinweis könnte die jetzt ergangene Entscheidung selbst geben. Der EuGH weist in der Entscheidungsbegründung etwas kryptisch darauf hin, dass das Urteil nicht der Möglichkeit der EU entgegenstehe, internationale Verträge abzuschließen und sich selbst der durch solche Übereinkünfte geschaffenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen – solange die Autonomie der Union und ihrer Rechtsordnung gewahrt bleibe. Die Auslegung der nun ergangenen Entscheidung dürfte daher zukünftig einige Unternehmen der Energiewirtschaft beschäftigen.

(7. März 2018)