Die (Übergangs-) Regulierung von Wasserstoffnetzen im neuen EnWG 2021

Der mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) bezweckte Markthochlauf des Zukunftsenergieträgers Wasserstoff hängt maßgeblich vom passenden Regulierungsrahmen ab. Nachdem sich die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Rahmen ihrer Marktkonsultation und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit einem Eckpunkte-Entwurf zur Frage der Regulierung der Wasserstoffinfrastruktur positioniert hatten, lieferte der Referentenentwurf des BMWi erste Hinweise hinsichtlich der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Nun liegt der vom Bundeskabinett am 10. Februar 2021 beschlossene Gesetzesentwurf der Bundesregierung vor.

„Übergangsregulierung“ im EnWG

Zielsetzung der geplanten Novellierung des EnWG (EnWG-E) ist die zügige und rechtssichere Einordnung verschiedener Formen der wasserstoffbezogenen Infrastrukturnutzung in das bestehende Energiewirtschaftsrecht. Konkret sollen die notwendigen rechtlichen Grundlagen geschaffen werden für

  • den Umgang mit bereits existierenden Wasserstoffnetzen (oftmals Direktleitungen oder regional begrenzte Industrienetze),
  • die Möglichkeit der Beimischung von Wasserstoff in bestehende Erdgasnetze,
  • die Umwidmung bestehender Erdgasinfrastrukturen in Wasserstoffleitungen sowie
  • den künftigen Aufbau eigenständiger (reiner) Wasserstoffnetze.

Als Regelungsansatz zielt der Gesetzgeber auf eine übergangsweise Regulierung der Wasserstoffinfrastruktur ab. Hintergrund ist die parallel durch die Europäische Wasserstoffstrategie angestoßene Entwicklung eines einheitlichen unionsrechtlichen Ordnungsrahmes zur Regulierung von Wasserstoffnetzen. Die aktuelle EnWG-Novelle soll daher nur eine punktuelle Übergangsregulierung schaffen, die dann später in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben weiter angepasst und fortentwickelt werden kann. Dementsprechend sieht der Regierungsentwurf in § 112b EnWG-E bereits die Veröffentlichung eines „Konzepts zum weiteren Aufbau des deutschen Wasserstoffnetzes“ durch das BMWi zum 30. Juni 2022 sowie eine Evaluierung der Wasserstoffnetzregulierung durch die BNetzA im Jahr 2025 vor.

Die Kernpunkte der EnWG-Novelle:

Begrifflichkeiten: Wasserstoffnetz, Energie- und Anlagenbegriff

Der Katalog der Begriffsdefinitionen in § 3 EnWG soll um die für die Wasserstoffinfrastruktur notwendigen Begrifflichkeiten ergänzt werden:

  • In der neuen Nummer 10b soll der „Betreiber von Wasserstoffnetzen“ definiert werden, der ausschließlich für die Aufgabe des Transports von Wasserstoff zuständig ist. Das Ausschließlichkeitskriterium sorgt für die Abgrenzung reiner Wasserstoffnetze zu Beimischungssachverhalten im Gasbereich.
  • Gemäß der neuen Nummer 39a soll das „Wasserstoffnetz“ (in Abgrenzung zu bereits existierenden industriellen Objektnetzen oder Direktleitungen) ein Netz zur Versorgung von Kunden ausschließlich mit Wasserstoff, das von der Dimensionierung nicht von vornherein nur auf die Versorgung bestimmter, schon bei der Netzerrichtung feststehender oder bestimmbarer Kunden ausgelegt ist, sondern grundsätzlich für die Versorgung jedes Kunden offenstehen. Mitumfasst sind die zum Transport von Wasserstoff dienenden Einrichtungen wie Entspannungs-, Regel- und Messanlagen. Aufgrund der eigenständigen Begriffsdefinition unterfallen Wasserstoffnetze nicht der allgemeinen Anschlusspflicht nach § 18 EnWG.
  • Die Aufnahme in den „Energie“-Begriff der Nummer 14 dient der Anerkennung von Wasserstoff als selbständigem Energieträger neben Elektrizität und Gas innerhalb der leitungsgebundenen Energieversorgung. Zu beachten ist ferner, dass diese Erweiterung mittelbar auch den Begriff der „Energieanlage“ in Nummer 15 betrifft, sodass Wasserstoffanlagen künftig auch dem Energieanlagenbegriff des EnWG unterfallen sollen. Praktische Konsequenz ist zugleich die Anwendbarkeit der Sicherheitsanforderungen des § 49 Abs. 1 EnWG auf Wasserstoffleitungen (dazu sogleich).
  • „Wasserstoffspeicheranlagen“ und ihre „Betreiber“ werden in den neuen Nummern 39b und 10c definiert.

„Opt-in“ als Voraussetzung für die Regulierung reiner Wasserstoffnetze

Das Herzstück zur Regulierung von Wasserstoffnetze“ bilden die §§ 28j bis 28q EnWG-E (neuer Abschnitt 3b). Ausgangspunkt für die Anwendbarkeit der Regulierung soll die Opt-in-Regelung des § 28j Abs. 1 EnWG-E sein. Hiernach können die Betreiber von Wasserstoffnetzen schriftlich gegenüber der BNetzA erklären, dass ihre Wasserstoffnetze der Regulierung nach den §§ 28j ff. EnWG-E unterfallen sollen. Den Betreibern von Wasserstoffnetzen ist somit im Grundsatz freigestellt, ob sie sich überhaupt einer Regulierung nach dem EnWG unterwerfen wollen. Mit der freiwilligen Entscheidung für einen Opt-in sind jedoch bestimmte Rechtsfolgen verknüpft:

  • Üben die Betreiber von Wasserstoffnetzen neben dem Netzbetreib weitere Tätigkeiten aus, haben sie zur Vermeidung von Quersubventionierung und Diskriminierung zwischen Geschäftsbereichen für eine getrennte Rechnungslegung und Buchführung zu sorgen (vgl. § 28k Abs. 2 EnWG-E). Das europarechtlich verankerte Verbot der Quersubventionierung schließt auch eine Finanzierung der Wasserstoffnetze über die Netzentgelte im Erdgasbereich aus.
  • Um die Unabhängigkeit des regulierten Netzbetriebs von wettbewerblichen Tätigkeiten wie Wasserstofferzeugung, -Speicherung und -Vertrieb sicherzustellen, ist in Anlehnung an die §§ 6 ff. EnWG ferner eine Entflechtung vorgesehen (vgl. § 28m EnWG-E). Den Betreibern von Wasserstoffnetzen ist es hiernach nicht gestattet, Eigentum an Anlagen zur Wasserstofferzeugung (z.B. an einem Elektrolyseur beim Power-to-Gas-Verfahren) zu halten oder sensible Informationen an verbundene Unternehmen weiterzugeben.
  • Der Anschluss an das Wasserstoffnetz soll im Wege des verhandelten Netzzugangs mit den EnWG-typischen Transparenz- und Veröffentlichungspflichten gewährt werden. Grundsätzlich haben die Betreiber von Wasserstoffnetzen Dritten aber den erforderlichen Netzanschluss und -Zugang zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen zu gewähren; die geltenden Geschäftsbedingungen für den Netzzugang sind im Internet zu veröffentlichen (vgl. § 28n EnWG-E).
  • Die Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang sollen sich weitgehend nach § 21 EnWG richten. Hingegen ist die Anreizregulierung nach § 21a EnWG und die Genehmigung der Netzentgelte nach § 23a EnWG in der Markthochlaufphase (noch) nicht anzuwenden (vgl. § 28o EnWG-E). Die an den Kosten des Netzbetriebs orientierte Entgeltbildung und Preisstruktur unterliegen aber dem allgemeinen Diskriminierungsverbot.
  • Vor einer wirksamen Opt-in-Erklärung nach § 28j Abs. 1 EnWG-E oder einer Umrüstung einer Erdgasinfrastruktur hat die BNetzA eine Prüfung der Bedarfsgerechtigkeit vorzunehmen (vgl. § 28p EnWG-E). Sofern ein Förderbescheid innerhalb der NWS ergangen ist, gilt eine gesetzliche Vermutungsregel für die Bedarfsgerechtigkeit der Infrastruktur.
  • Schließlich müssen die Betreiber von Wasserstoffnetzen zum 1. April 2022 bestimmte Berichtspflichten erfüllen, um den Einstieg in eine künftige Netzentwicklungsplanung (NEP) für Wasserstoff zu ermöglichen (vgl. § 28q EnWG-E).

Angesichts dieser Rechtsfolgen ist fraglich, ob Betreiber privater (reiner) Wasserstoffnetze wie Linde oder Air Liquide für die Regulierung nach dem EnWG optieren. Der Vorteil der Regulierung besteht in einer gesicherten Eigenkapitalrendite und der Möglichkeit, alle Kosten in die Netzentgelte einzupreisen. Damit kann der Ausbau der Wasserstoffnetze finanziert werden. Ohne Opt-in unterfallen diese reinen Wasserstoffnetze keiner Regulierung, sondern nur dem allgemeinen Kartellrecht und Zugangsansprüchen auf Grundlage von § 19 Abs. 2 Nr. 4 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).

Beimischung in das Erdgasnetz unverändert möglich

Die Einspeisung bzw. Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz bleibt von den regulatorischen Vorgaben der §§ 28j ff. EnWG-E unberührt. Hier bringt die EnWG-Novelle also keine Neuerungen. Die Beimischung richtet sich nach dem bestehenden Rechtsrahmen (so unterfällt wasserelektrolytisch hergestellter Wasserstoff dem Gasbegriff des § 3 Nr. 19a EnWG). Hinsichtlich der Beimischungsquoten sind die aktuellen Sicherheitsanforderungen im EnWG zu beachten (dazu später).

Umrüstung von Erdgasleitungen auf Wasserstoffleitungen

Einen weiteren Schwerpunkt der Novelle bilden die neu eingefügten §§ 113a bis 113d EnWG-E, die insbesondere die Umrüstung bestehender Erdgasinfrastrukturen in Wasserstoffleitungen zum Gegenstand haben. Ziel des Gesetzgebers ist es, die „volkswirtschaftlich effiziente Weiternutzung“ bereits vorhandener Erdgasinfrastruktur zum Zwecke des Wasserstofftransports zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat dabei vor allen die L-Gasnetzinfrastruktur vor Augen. Der Weg zu einer eigenständigen Wasserstoffinfrastruktur führt nach der Vorstellung des Gesetzgebers zunächst vor allem über die Umwidmung und Umrüstung bestehender Erdgasinfrastrukturen und weniger über den kostenintensiven Neubau reiner Wasserstoffleitungen.

Im Falle der Umrüstung eines Gasnetzes sollen gemäß § 113b EnWG-E behördliche Zulassungen für die Errichtung, die Änderung und den Betrieb einer Gasversorgungsleitung für Erdgas auch als Zulassung für den Transport von Wasserstoff gelten. Zugleich wird festgestellt, dass der bloße Wechsel des Mediums Gas zu Wasserstoff von der grundsätzlich erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung befreit ist. Bestehende immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Verdichterstationen sollen fortgelten. Für die Herausnahme aus dem Erdgasnetz muss gemäß § 113c EnWG sichergestellt sein, dass das verbleibende Erdgasnetz den Kapazitätsbedarf erfüllt. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung kann der Netzentwicklungsplan Gas Ausbaumaßnahmen in geringfügigem Umfang enthalten.

Behandlung von Wasserstoff in bestehenden Konzessionsverträgen

Für bestehende Gestattungsverträge und beschränkt persönliche Dienstbarkeiten enthält § 113a Abs. 1 EnWG-E die klarstellende gesetzliche Auslegungsregel, dass diese im Zweifel auch die Errichtung und den Betrieb der Leitungen zum Transport von Wasserstoff mitumfassen. Dadurch werden etwaige Unklarheiten hinsichtlich der Fortgeltung bestehender Grundstücksrechte beseitigt und der unnötige Aufwand der Neuverhandlung von Verträgen eingespart.

Im Falle der Umstellung von Gasleitungen für den Transport von Wasserstoff sollen gemäß § 113a Abs. 2 EnWG-E die bestehenden Wegenutzungsverträge über die vereinbarte Laufzeit fortgelten. Sofern ein Kontrahierungszwang nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG besteht, findet die Konzessionsabgabenverordnung (KAV) mit der Maßgabe Anwendung, dass die Höchstbeträge für Gas entsprechend anzuwenden sind. Liegen die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG nicht vor, haben die Gemeinden die Verkehrswege auf Basis von Gestattungsverträgen zur Verfügung zu stellen, die nicht schlechter sein dürfen als bestehende Wegenutzungsverträge.

Einhaltung der Sicherheitsanforderungen des EnWG

Ein sicherer Betrieb der Wasserstoffnetzinfrastruktur nach dem Stand der Technik ist auch in der Markhochlaufphase unerlässlich. Dieser Erwägung trägt § 113d EnWG-E Rechnung. Zunächst erklärt er für Leitungen mit einem Betriebsdruck von mehr als 16 bar die Verordnung über Gashochdruckleitungen (GasHDrLtgV) für entsprechend anwendbar. Ferner ist bis zum Erlass eigenständiger Regeln für Wasserstoffanlagen § 49 Abs. 1 und 2 EnWG entsprechend anzuwenden. Der Stand der Technik gilt als eingehalten, wenn das Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) eingehalten wird. Für die Beimischung bedeutet dies, dass ein Wasserstoffgehalt im einstelligen Prozentbereich im Erdgas vielfach möglich ist, sofern hierdurch nicht Probleme bei den angeschlossenen Endkunden hervorgerufen werden. Die Erweiterung auf höhere Wasserstoffanteile (bis 20 % und sogar darüber hinaus) hängt von der derzeit laufenden Erarbeitung entsprechender Regelwerke durch den DVGW ab.

Bewertung und Ausblick

Mit dem Regierungsentwurf werden das BMWi- Eckpunktepapier und die Befunde der BNetzA in Gesetzesform gegossen. Das Konzept der „Übergangsregulierung“ interpretiert den Markthochlauf als dynamischen Entwicklungsprozess und sieht bewusst davon ab, den Marktakteuren ein regulatorisches Zwangsregime „überzustülpen“. Die jeder Regulierung immanente Gefahr der Anmaßung von Wissen wird damit umgangen. Die Opt-in-Regelung schafft einen behutsamen und zunächst freiwilligen Einstieg in eine vom Gasbereich losgelöste Wasserstoffinfrastruktur-Regulierung. Anderslautende Forderungen nach einer Querfinanzierung über die Netzentgelte für Gas und eine Aufnahme in die NEP für Gas wurden bewusst nicht gehört.

Zugleich bleibt das EnWG entwicklungsoffen für die noch in Arbeit befindlichen europarechtlichen Vorgaben und den gemeinsamen „Wasserstoffbinnenmarkt“. Die anstehende EnWG-Novelle schafft damit Rechtssicherheit für die Einstiegsphase der Regulierung von Wasserstoffnetzen in den nächsten Jahren. Die Langfristperspektive bleibt hingegen im Unklaren. Insbesondere bei der Frage der Refinanzierung muss sich in der Praxis noch herausstellen, ob die finanziellen Anreize – ggf. flankiert durch eine staatliche Förderung innerhalb der NWS – zum Aufbau einer zukunftsfähigen Wasserstoffinfrastruktur ausreichen. Allerdings haben Markthochlauf und Aufbau der dazugehörigen Infrastruktur gerade erst begonnen – mit überregionalen Startnetzen oder gar europäischen Wasserstoff-„Backbones“ ist auch nach den Einschätzungen der Marktakteure nicht vor den Jahren 2030-2035 zu rechnen.

(26. Januar 2021 – Update am 10. Februar 2021)