H2-ready? – Die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung

Mit ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) hat die Bundesregierung kürzlich den wirtschaftspolitischen Grundstein für den Markthochlauf des innovativen Energieträgers Wasserstoff gelegt.

Nachhaltig erzeugter, d. h. „grüner“ Wasserstoff aus erneuerbaren Energien soll nicht nur im Energiebereich eine Schlüsselrolle bei der Realisierung von Energiewende und Kohleausstieg in Deutschland spielen. Damit Wasserstoff einen umfassenden Beitrag zur künftigen Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft und Erreichung der Klimaziele leisten kann, soll Wasserstoff sektorenübergreifend und entlang der Wertschöpfungskette von Erzeugung bis Verbrauch stärker gefördert und genutzt werden. Dabei spielt der Einsatz von Wasserstoff auch in der energieintensiven Industrie, insbesondere der Chemie- und Stahlbranche, eine Schlüsselrolle.

Fehlende Wirtschaftlichkeit und Regulierungsdefizite im Status quo

Die systemdienliche Zwischenspeicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien über Power-to Gas (PtG) bzw. Power-to-X (PtX) mit anschließender Wiederverstromung oder Weiterverwendung des Gases/Wasserstoffs in angrenzenden Sektoren wie Industrie oder Verkehr (Sektorenkopplung) ist keineswegs neu. Ungeachtet einzelner gesetzlicher Privilegierungen für die Zwischenspeicherung, etwa in § 118 Abs  6 EnWG oder § 61 l EEG, sehen sich diese Geschäftsmodelle aber regelmäßig mit einer hohen Kostenlast durch staatliche Kostenbestandteile wie die EEG-Umlage und im Ergebnis einer fehlenden Wirtschaftlichkeit konfrontiert. Hinzu treten regulatorische Hemmnisse wie die restriktiven Entflechtungsregelungen, technische Restriktionen bei der Beimischung von Wasserstoff in Gasnetzen und eine noch geringe Nachfrage nach Wasserstoff in Verkehr und Industrie. Angesichts dieser Rahmenbedingungen bestehen für viele Akteure kaum Investitionsanreize.

NWS-Aktionsplan für Markthochlauf und Wasserstoff-readiness

Mit dem aus insgesamt 37 Maßnahmen bestehenden NWS-Aktionsplan sollen die Grundlagen für private Investitionen in die wirtschaftliche und nachhaltige Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff gelegt werden. Hiervon sind mit Blick auf die Energiewirtschaft insbesondere folgende Maßnahmen von Interesse:

  • Prüfung und Beseitigung bestehender Hemmnisse und Kostenlasten durch Umlagen, Steuern und Abgaben bei der Herstellung grünen Wasserstoffs – insbesondere Befreiung von der EEG-Umlage (Maßnahme 1);
  • Prüfung des Änderungsbedarfs im regulatorischen Rahmen und Möglichkeiten von Kooperationsmodellen unter Beachtung der Entflechtungsregeln im EnWG (Maßnahme 2);
  • Prüfung von Ausschreibungsmodellen für die Wasserstoffherstellung zur Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie sowie zusätzlicher Ausschreibungen bei der Offshore-Produktion von grünem Wasserstoff (Maßnahmen 3 und 4);
  • Lösung des sog. „Henne-Ei-Problems“ über eine gezielte Förderung und Steigerung der Wasserstoffnachfrage, u. a. durch Verankerung des Einsatzes von Wasserstoff bei der Kraftstoffherstellung in der EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Maßnahme 5);
  • Mögliche Verankerung einer Förderung von Anlagen mit sog. „Wasserstoff-readiness“ im KWKG (Maßnahme 19);
  • H2-Readiness der Infrastruktur, d. h. Anpassung und Umrüstung bestehender Gasinfrastrukturen und Schaffung der erforderlichen regulatorischen Voraussetzungen für den Auf- und Ausbau einer eigenständigen Wasserstoff-Infrastruktur (Maßnahme 20);
  • Auf- und Ausbau der Wasserstofftankstelleninfrastruktur im Mobilitäts- und Verkehrssektor (Maßnahmen 8 und 22).

Insbesondere mit Blick auf die Umrüstung der Gasnetze (Maßnahme 20) verspricht die NWS, dass die hierfür erforderlichen regulatorischen Grundlagen „zügig in Angriff genommen“ werden sollen. Dabei haben die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) in ihrem aktuellen Entwurf des Netzentwicklungsplans 2020 bereits erste Modellierungen dazu durchgeführt, wie ein Wasserstoffnetz in den Jahren 2025 und 2030 aussehen könnte. Zudem wird im NEP 2020 losgelöst von einem Umsetzungszeitpunkt ein „visionäres Wasserstoffnetz“ mit einer Gesamtlänge von 5900 km modelliert, das zu 90 % unter Nutzung der bestehenden Gasnetzinfrastruktur entwickelt werden kann. Eine besondere Rolle spielen dabei die jetzigen L-Gasnetze, die aufgrund der Umstellung auf H-Gas künftig zum Wasserstofftransport genutzt werden könnten. Bereits aus den Modellierungen der FNB wird deutlich, dass sich der Schwerpunkt der Wasserstoffindustrie wegen des hohen Windstromaufkommens künftig im Norden Deutschlands bilden wird.

Was die „regulatorischen Grundlagen“ anbelangt, ist insbesondere die Frage der Verteilungsgerechtigkeit zu lösen. Dabei wird die Politik zu entscheiden haben, ob die Kosten für die Umrüstung der Netze allein von denjenigen zu zahlen sind, die sie nutzen, oder ob die Umrüstungskosten nicht auf die allgemeinen Netzentgelte umzulegen sind.

Insgesamt enthält das Maßnahmenpaket wichtige Ansatzpunkte für die Beseitigung bestehender Hemmnisse im Regulierungsrahmen und setzt durch eine gezielte Förderung zahlreiche Anreize für eine sektorenübergreifende Nutzung der Wasserstofftechnologie in der energieintensiven Industrie, der Verkehrs- Wärme- und Energiewirtschaft.

Startschuss für Europäische Wasserstoffstrategie auf EU-Ebene

Zugleich bildet die NWS den Startschuss für die Entwicklung einer Wasserstroff-Strategie auf EU-Ebene (vgl. Maßnahmen 30 bis 33). Neben Deutschland haben sich bereits die Mitgliedsländer des Pentalateralen Energie-Forums in einer gemeinsamen Erklärung zur Dekarbonisierung durch Wasserstoff bekannt und von der EU-Kommission einen Ausbau-Fahrplan bis zum Jahr 2030 gefordert. Die EU-Kommission hat im Zusammenhang mit ihrem „Green Deal“ die Vorbereitungen für eine eigene EU-Wasserstoffstrategie begonnen. Während der am 1. Juli 2020 beginnenden Ratspräsidentschaft Deutschlands ist daher mit konkreten Vorschlägen und ggf. sogar Legislativmaßnahmen zur Weiterentwicklung der europäischen Regulierungen, Codes und Standards zu rechnen.

(17. Juni 2020, Aktualisierung am 24. Juni 2020)