Vollstreckung britischer Urteile in Deutschland nach einem „No-Deal Brexit“

Ein „No-Deal Brexit“ – also ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ohne eine Einigung über die künftigen Beziehungen – ist gegenwärtig nicht auszuschließen. Dann würde das Recht der Europäischen Union von einem Tag auf den anderen nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten.

Das hätte unter anderem zur Folge, dass das EU-Recht zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen nicht mehr gilt. Sind britische Urteile dann gar nicht mehr in Deutschland vollstreckbar (und umgekehrt)?

Das zwar nicht; die Vollstreckung würde aber komplizierter werden. Wie genau sich die Rechtslage darstellen wird, hängt vom Verhalten des Vereinigten Königreichs nach dem Brexit ab. Im Einzelnen:

1. Rechtslage aktuell

Im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander regelt die Verordnung vom 12. Dezember 2012 (im Folgenden: „EuGVVO“) die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen. Danach sind Urteile anderer Mitgliedstaaten ohne weiteres und ohne besonderes Verfahren vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner wird nicht einmal angehört. Will er sich gegen die Vollstreckung wehren, liegt es vielmehr an ihm, die Versagung der Vollstreckung zu beantragen. Die Gründe, aus denen die Vollstreckung in der Sache versagt werden kann, sind sehr eng begrenzt (z.B. offensichtlicher Verstoß gegen den sogenannten ordre public). Kurzum: Die Vollstreckung ist fast genauso einfach wie bei inländischen Urteilen.

2. Rechtslage nach dem Brexit

Bei einem „No-Deal Brexit“ gilt die EuGVVO im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nicht mehr. Wie sich die Rechtslage dann darstellt, hängt vom Verhalten des Vereinigten Königreichs ab:

a) Situation ohne weitere Schritte

Unternimmt das Vereinigte Königreich keine weiteren Schritte, muss der Gläubiger in Zukunft zunächst ein besonderes Verfahren in Deutschland durchlaufen, in dem ein deutsches Gericht durch Vollstreckungsurteil die Zulässigkeit der Vollstreckung feststellt (sog. Exequatur-Verfahren). Und auch die Voraussetzungen der Vollstreckung sind im Detail restriktiver als bisher nach der EuGVVO.

Allerdings würde weiterhin der Grundsatz der liberalen Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile gelten. Es wäre weiterhin nicht erforderlich, dass das Urteil nach deutschem Recht „richtig“ ist, sondern nur, dass kein ausdrücklich geregelter Versagungsgrund vorliegt. Ein Versagungsgrund für die Vollstreckung ist, dass umgekehrt die Vollstreckung von deutschen Urteilen im Ausland nicht gewährleistet ist. Das dürfte beim Ver-einigten Königreich aber auch nach einem „No-Deal Brexit“ weiterhin der Fall sein. Denn dann käme ein Abkommen vom 14. Juli 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen wieder zur Anwendung. Danach sagen sich Deutschland und das Ver-einigte Königreich (unter gewissen Voraussetzungen) die gegenseitige Vollstreckung von Urteilen zu.

Halten sich die britischen Gerichte daran, werden auch die deutschen Gerichte weiterhin britische Urteile hier für vollstreckbar erklären.

b) Handel zwischen Unternehmen: Beitritt des Vereinigten Königreichs zum HGÜ

Unternehmen schließen im grenzüberschreitenden Handel häufig Gerichtsstandvereinbarungen miteinander. In diesen Fällen würde die soeben unter a) geschilderte Rechtslage aller Voraussicht nach nicht lange gelten. Das Vereinigte Königreich ist am 28. Dezember 2018 dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (im Folgenden: „HGÜ“) beigetreten. Das HGÜ ist ein internationales Übereinkommen, das bislang die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU einerseits und Mexiko, Montenegro und Singapur andererseits regelt.

Das HGÜ verpflichtet die Vertragsstaaten, Gerichtsstandvereinbarungen zwischen Kaufleuten anzuerkennen und die aufgrund solcher Vereinbarungen ergangenen Urteile in einem vereinfachten Verfahren anzuerkennen und zu vollstrecken. Vorbild dieser Regelung ist die New York Konvention von 1958 über die Anerkennung und von Vollstreckung von Schiedssprüchen.

Für Deutschland sind die Einzelheiten dieses Verfahrens geregelt im Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: „AVAG“). Der wesentliche Unterschied im Vergleich zur eben unter a) beschriebenen Situation liegt darin, dass die Vollstreckung nach HGÜ und AVAG kein gesondertes Urteil in Deutschland zur Anerkennung und Vollstreckbarkeit voraussetzt. Das Landgericht ordnet auf Antrag des Gläubigers die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für das ausländische Urteil an. Das geschieht ohne Anhörung des Schuldners. Die Klausel erteilt der Rechtspfleger.

Allerdings: Der Beitritt des Vereinigten Königreichs zum HGÜ ist noch nicht endgültig wirksam, sondern unter Vorbehalt. Angesichts der Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Brexit und des unvorhersehbaren Verhaltens der britischen Regierung erscheint es nicht sicher, dass das Vereinigte Königreich tatsächlich rechtlich wirksam Mitglied des HGÜ werden wird.

Außerhalb des HGÜ – also für Kaufleute ohne Gerichtsstandvereinbarung sowie für Private – gilt ohnehin das unter a) Gesagte: Demnach müssten Gläubiger nach einem „No-Deal Brexit“ fortan ein gesondertes gerichtliches Anerkennungsverfahren in Deutschland durchlaufen, bevor sie ein britisches Urteil hier vollstrecken können.

(21. Oktober 2019)