Bundesverfassungs­gericht setzt Verbot einer Bericht­erstattung über die Ibiza-Affäre vorübergehend aus

Im Mai 2020 berichtete die „Welt am Sonntag“ erneut über einen der Drahtzieher der Ibiza-Affäre, die im Mai 2019 zum Rücktritt der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus führte und die österreichische Regierung stürzte.

Die Pressekammer des Landgerichts Berlin untersagte der Axel Springer SE Teile der Berichterstattung im Wege der einstweiligen Verfügung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Wirksamkeit dieses Verbots nun vorübergehend ausgesetzt (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17. Juni 2020 – 1 BvR 1246/20). Der mit der Verfassungsbeschwerde der Axel Springer SE verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte damit Erfolg.

Das Bundesverfassungsgericht rügt, dass die einstweilige Verfügung „offenkundig“ das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletze. Das Landgericht Berlin hätte die Axel Springer SE vor Erlass der einstweiligen Verfügung anhören müssen – notfalls auch telefonisch oder per E-Mail. Dies folge bereits daraus, dass der Verfügungsantrag ausdrücklich auf Einwände eingehe, die der Justiziar des Verlags in seinem Erwiderungsschreiben geäußert hatte. Hinzu komme, dass die Begründung des Antrags umfassender und differenzierter war als das Abmahnschreiben und mehrere neue Gesichtspunkte enthielt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder einer erneuten Entscheidung des Landgerichts Berlin ausgesetzt, längstens jedoch für sechs Monate. Das Verbot der Berichterstattung ist damit einstweilen außer Kraft gesetzt. Das Landgericht Berlin hat nun im Widerspruchsverfahren – und erst nach mündlicher Verhandlung – darüber zu entscheiden, ob die Berichterstattung rechtmäßig war.

Es ist bereits das zweite Mal, dass das Bundesverfassungsgericht in einer äußerungsrechtlichen Streitigkeit eine derartige Anordnung erlässt (zuvor und ebenfalls zu einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Berlin: BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 3. Juni 2020 – 1 BvR 1246/20).

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2018 klare Vorgaben dazu gemacht, wie in presse- und äußerungsrechtlichen Verfügungsverfahren prozessuale Waffengleichheit herzustellen ist (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. September 2018 – 1 BvR 1783/17; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. September 2018 – 1 BvR 2421/17). Es ist zu erwarten, dass die Pressekammern diese Vorgaben künftig beachten werden.

(24. Juni 2020)