Verbindliches Home Office und andere Neuerungen: Beschlüsse des „Corona-Gipfels“ vom 19. Januar 2021

Vorbereitet durch einige Wochen des Arbeitgeberbashing fiel gestern am 19. Januar 2021 auf dem „Corona-Gipfel“ die erwartete Entscheidung. Home Office muss künftig von Arbeitgebern angeboten werden. Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) wurde beauftragt, dazu eine Verordnung zu erlassen. Eines vorab:

  • Das Arbeiten im Home-Office ist auch nach Ansicht der Verfasser ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie.

Außergewöhnliche Situationen erfordern mitunter außergewöhnliche Maßnahmen. Was bedeutet der Beschluss für die Personalarbeit?

Den Verfassern liegt der Referentenentwurf der Bundesregierung über eine sog. „Corona-Arbeitsschutzverordnung“ vom 18. Januar 2021 vor. Sollte diese Verordnung – wie zu erwarten – umgesetzt werden, kommen auf Arbeitgeber und deren Berater eine Vielzahl von rechtlichen und praktischen Problemen zu. Der Referentenentwurf beschränkt sich nicht auf Regelungen zum Home Office, sondern sieht weitere Maßnahmen zum Infektionsschutz vor.

Kernpunkte der Corona-Arbeitsschutzverordnung

Das Wichtigste in Kurzform:

  • Laufende Prüf- und Dokumentationspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung unter dem Aspekt des betrieblichen Infektionsschutzes;
  • Pflicht des Arbeitgebers zur Reduktion der betriebsbedingten Personenkontakte, insbesondere Nutzung von Räumlichkeiten durch mehrere Personen auf betriebsnotwendiges Minimum reduzieren;
  • IT-Lösungen sollen Vorrang haben vor tatsächlichen Zusammenkünften;
  • Ab einem regionalen 7-Tage-Inzidenzwert (vgl. RKI) von über 50:
    • hat der Arbeitgeber den Beschäftigten bei Büro- oder vergleichbarer Tätigkeit anzubieten, diese im Home-Office auszuführen, wenn nicht zwingende betriebsbedingte Gründe entgegenstehen;
    • Räume, in denen mehrere Personen arbeiten, sollen nach Möglichkeit pro Person 10 qm bieten;
    • sofern Vorstehendes nicht möglich ist, Sicherstellung eines vergleichbaren Schutzes z.B. durch Lüftungsmaßnahmen oder geeignete Abtrennungen zwischen den Personen;
    • in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten, sind diese in möglichst kleine Arbeitsgruppen einzuteilen (Dokumentationspflicht!);. diese Arbeitsgruppen sollen nur im betrieblich möglichen Minimum untereinander Kontakt haben;
    • grundsätzlich ist kein gemeinschaftlicher Verzehr in Kantinen oder Pausenräumen gestattet;
    • sind medizinische Gesichtsmasken vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen und von den Mitarbeitern zu tragen;
  • ab einem regionalen 7-Tage-Inzidenzwert (vgl. RKI) von über 200:
    • der Arbeitgeber hat in Betrieben, in denen mehr als 50 Beschäftigte anwesend sein müssen, Antigen-Schnelltests anzubieten, wenn die Personen betriebsbedingt Personenkontakt unter dem Mindestabstand von 1,50m haben, die 10qm pro Person im Raum am Arbeitsplatz nicht eingehalten werden können oder die Personen regelmäßig aus dienstlichen Gründen öffentliche Verkehrsmittel benutzen müssen.

Zur rechtlichen Einordnung

Die Corona-Arbeitsschutzverordnung soll auf der Grundlage des § 18 Absatz 3 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) als Ministerverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen werden. Die Regelung des § 18 Abs. 3 ArbSchG erlaubt der Bundesregierung während einer – hier vorliegenden – epidemischen Lage von nationaler Tragweite nur den Erlass von speziellen Rechtsverordnungen für einen befristeten Zeitraum. Der Referentenentwurf sah in seinem § 7 hingegen eine zeitlich unbefristete Geltung der Verordnung bis zur Aufhebung der epidemischen Lage durch den Bundestag vor. Das ist von der Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt. Dieser handwerkliche Fehler ist offensichtlich noch vor dem Corona Gipfel aufgefallen. Nach dem gestern gefassten Beschluss soll die Verordnung jetzt bis zum 15. März 2021 gelten.

Zum Home Office

Ab einem 7-Tage-Inzidenzwert von 50 (Ergänzungsstufe 1) müssen Arbeitgeber nach dem Entwurf im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anbieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen (§ 2 Abs. 4). Dies wirft Fragen auf.

  • Was sind „zwingende“ Gründe? Mit Kommunikationsmitteln und moderner IT-Ausstattung lassen sich – vielleicht von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – alle Büroarbeiten auch von zu Hause erledigen. Damit stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber, sofern er nicht schon über entsprechende Arbeitsmittel verfügt, diese beschaffen und dem Arbeitnehmer überlassen muss, um Home Office zu ermöglichen. Muss er ein geeignetes IT-System im Büro anschaffen, um einen Zugang zu ermöglichen? Muss er also tun, „whatever it takes“, um die Arbeit von der Wohnung aus zu ermöglichen? Diese Frage ist nach unserer Ansicht zu verneinen. Weder der Entwurf noch dessen Begründung geben einen Anhaltspunkt dafür, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu Investitionen begründet werden soll. Das wäre auch gewagt, weil die Verpflichtung, Home Office zu ermöglichen, Arbeitgeber unabhängig von ihrer Größe trifft und damit auch solche, die bereits durch die Auswirkungen der Pandemie in ihrer Existenz bedroht sind. Zwar kalkuliert der Entwurf den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft. Dies genügt aber nicht zur Begründung von erheblichen finanziellen Verpflichtungen der Arbeitgeber, die leicht die Belastungsgrenze überschreiten können. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die begrenzte Laufzeit bis zum 15. März 2021. Zwingende Gründe bestehen nach unserer Ansicht also bereits dann, wenn die technischen Voraussetzungen im Betrieb nicht gegeben sind. Eine Verpflichtung, diese erst zu schaffen, besteht nicht.
  • Die Verpflichtung bezieht sich darauf, Arbeit von der Wohnung aus zu ermöglichen. Die Begründung des Referentenentwurfs sagt dazu, dass die „räumlichen und technischen“ Voraussetzungen für Home Office in der Wohnung gegeben sein müssen. Wie kann sich der Arbeitgeber davon überzeugen? Muss er es überhaupt oder sind die Beschäftigten selbst dafür verantwortlich? Die allgemeinen Arbeitsschutzbestimmungen finden weiter Anwendung. Daher ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber seine Verpflichtungen erfüllt, wenn er die Beschäftigten auf die allgemeinen Anforderungen hinweist und sich die Angaben bestätigen lässt.
  • Home Office kann vom Arbeitgeber – wenn nicht ausnahmsweise etwas anderes vereinbart ist – nicht einseitig angeordnet werden. Daran will der Entwurf nichts ändern, er könnte es auch nicht. Die Privatsphäre ist grundrechtlich geschützt. Beschäftigte können nicht gegen ihren Willen gezwungen werden, von ihrer Wohnung aus zu arbeiten. Deshalb genügt der Arbeitgeber seinen Pflichten, wenn er Home Office lediglich anbietet. Dies müsste nach dem Sinn der Verordnung jedoch wohl proaktiv erfolgen und sollte dokumentiert werden. Die Regelung bleibt damit – notwendig – unvollkommen. Lehnen die Beschäftigten Home Office ab, weil sie zu Hause nicht arbeiten mögen, hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit, eine Arbeit von zu Hause zu erzwingen. Die Ablehnung sollte ebenfalls dokumentiert werden.
  • In Betrieben mit Betriebsrat darf der Arbeitgeber Home Office nur anbieten, wenn der Betriebsrat dem zustimmt. Entsprechendes gilt in Dienststellen bezogen auf den Personalrat. Auch daran kann die Verordnung nichts ändern. Die Verhandlung einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zum Home Office dauert erfahrungsgemäß – nicht zuletzt wegen der komplexen datenschutz- und versicherungsrechtlichen Fragen und erst Recht, wenn eine Einigungsstelle entscheiden muss, Monate. In Betrieben, die nicht bereits eine Betriebsvereinbarung zum Home Office haben, wird sich vor Ablauf der geplanten Laufzeit der Vereinbarung Home Office daher aus rechtlichen Gründen kaum anbieten lassen.

Das verpflichtende Home Office wird auf der Grundlage des Entwurfs voraussichtlich nur die Wirkung eines weiteren Appells haben. Diese Wirkung sollte auch nicht unterschätzt werden. Aber die komplexe Gemengelage aus Arbeitsrecht, Datenschutzrecht, Betriebsverfassungsrecht, Arbeitsschutzrecht, Persönlichkeitsrechten etc. erlaubt eine schnelle und unbürokratische Umsetzung, wie sie von der Politik suggeriert wird, nicht. Die Zeit seit dem Beginn der Pandemie hätte genutzt werden können, um in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Voraussetzungen für eine schnelle und der jeweiligen Situation angepasste Reaktion zu schaffen. Dies ist nicht geschehen. Die Beispiele zeigen, dass dafür auch eine befristete Suspendierung von Regelungen des Datenschutzes, von Mitbestimmungsrechten und von arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen (um nur einige zu nennen) erforderlich wäre. Dafür parlamentarische Mehrheiten zu finden, dürfte schwierig sein.

Ein Verstoß gegen die Verpflichtung, Home Office anzubieten, stellt nach dem Entwurf keine Ordnungswidrigkeit dar. Dies sollte wegen der komplexen Rechtsfragen, die sich bei der Umsetzung stellen, und der unbestimmten Rechtsbegriffe („zwingende“ Gründe) auch so bleiben.

Prüf- und Dokumentationspflichten

In ihrer Bedeutung gar nicht genug hervorzuheben, sind die vorgesehenen ständigen Prüf- und Dokumentationspflichten des Arbeitgebers hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung unter dem Aspekt des betrieblichen Infektionsschutzes. Denn die von ihm zusätzlich im Arbeitsschutz zu treffenden Maßnahmen sind nach dem vorgesehenen Stufenverfahren (Inzidenzwert > 50 und Inzidenzwert > 200) laufend anzupassen. Ein Versäumnis an dieser Stelle kann empfindliche Folgen haben: Denn wer die Gefährdungsbeurteilung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig aktualisiert und dokumentiert, handelt ordnungswidrig i.S.d. ArbSchG (5.000 EUR).

Möchte der Arbeitgeber sich auf betriebliche Gründe stützen, aus denen er Home-Office nicht umsetzen kann, hat er dies auf Verlangen der zuständigen Überwachungsbehörde unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Sofern die erforderlichen Auskünfte und die Überlassung entsprechender Unterlagen nicht erfolgen, droht sogar eine Untersagungsanordnung der Arbeit durch die Behörde (§ 22 ArbSchG).

Masken und Tests

Dass die medizinischen Masken für besonders exponierte Mitarbeiter vom Arbeitgeber zu stellen sind, sofern er kein Home-Office wegen zwingend entgegenstehender betrieblicher Gründe anbietet, leuchtet ein. Das Abstellen auf „medizinische Maske“, also auch OP-Maske statt FFP2, berücksichtigt etwaige Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Masken. Erfreulich klar ist auch die Maskentragepflicht der Mitarbeiter geregelt. Eine Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen ist nicht vorgesehen. Arbeitgeber und Beschäftigte begehen Ordnungswidrigkeiten, wenn sie gegen die Maskenpflicht verstoßen.

Sehr komplex wird es auch bei der Pflicht des Arbeitgebers zum Anbieten von Antigen-Schnelltests von Beschäftigten auf SARS-CoV-2 zum betrieblichen Infektionsschutz. Diese Pflicht trifft Betriebe, bei denen täglich mehr als 50 Personen vor Ort im Betrieb anwesend sein müssen. Die nach der Verordnung ebenfalls möglichen PCR-Tests müssen von fachkundigem Personal durchgeführt werden. Die Antigenschnelltests hingegen sollen auch selbst vor Ort durchgeführt werden können. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass alles datenschutzkonform abläuft und insbesondere eine „freie“ Einwilligung der Arbeitnehmer in die Verarbeitung ihrer Daten vorliegt. Negative Konsequenzen an eine Ablehnung der Teilnahme durch den Arbeitnehmer soll der Arbeitgeber jedoch nicht ziehen dürfen. Bei der Speicherung der Daten ist die DSGVO zu beachten.

Ausblick

Betrachten Sie dies bitte nur als erste Anmerkungen zu den gestrigen Beschlüssen. Die endgültige Fassung der Verordnung bleibt abzuwarten. Sobald diese vorliegt, werden wir wieder berichten. Großes Potential für Home Office dürfte im öffentlichen Dienst bestehen. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Erlass der Verordnung auf die Home Office Quote der öffentlichen Hand auswirken wird.

(20. Januar 2021)