Tagelöhner in einer digitalen Welt – LAG München zur arbeitsrechtlichen Einordnung von sog. Crowdworkern

Das LAG München hat am 4. Dezember 2019 eine wichtige Entscheidung zur arbeitsrechtlichen Einordnung sogenannter Crowdworker getroffen. Mit dem Urteil ist eine viel diskutierte Frage aus dem Bereich Arbeiten 4.0 geklärt worden. Vorerst. Im Einzelfall.

Crowdworker sind Micro-Jobber im Internet. Crowdworking steht für die Erledigung bezahlter temporärer Aufträge, die über Internet-Plattformen oder Smartphone Apps vermittelt werden. Typische Aufträge bestehen darin Apps zu testen, Öffnungszeiten von Geschäften zu fotografieren oder Informationen aus dem Internet zu verifizieren. Nach dem „Crowdworking Monitor“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) waren 2018 knapp 4 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland als Crowdworker tätig. Tendenz steigend. Anspruch auf Mindestlohn, Urlaub oder bezahlte Krankheitstage gibt es nicht. Dafür besteht häufig keine Pflicht zur Auftragsannahme bei gleichzeitiger Entscheidungshoheit über das Wo und Wann der Auftragserfüllung. Ein Hoch auf die Freiheiten der Digitalen Welt, eine Revolution der Arbeitswelt oder gezielte Umgehung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards?

In dem Prozess hatte das LAG München zu klären, ob Crowdworker abhängig beschäftigt oder selbstständig sind.

Der Fall

Der Kläger war für einige Zeit für die Beklagte tätig. Er arbeitete circa 15 – 20 Stunden wöchentlich für die Beklagte und erzielte hiermit etwa 60% seines Einkommens. Die Beklagte führte unter anderem für Markenhersteller eine Überprüfung der Warenauslage im Einzelhandel und an Tankstellen durch. Aufgrund von Differenzen beendete die Beklagte die Zusammenarbeit. Der Kläger konnte keine weiteren Aufträge mehr annehmen und klagte. Seiner Ansicht nach konnte das Geschäftsverhältnis nicht wirksam via E-Mail beendet werden, da zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestand. Das Arbeitsgericht München hat die Klage abgewiesen und hat in erster Instanz (Az. 19 Ca 6915/18) Selbstständigkeit angenommen.

Das Urteil

Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das LAG München (Az. 8 Sa 146/19) hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt. Crowdworker sind Selbstständige. Ein Arbeitsvertrag liegt nach gesetzlicher Definition nur dann vor, wenn der Vertrag die Verpflichtung zur Leistung von weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit vorsieht. Dies zeige sich im Allgemeinen darin, dass der Mitarbeiter Arbeitsanweisungen zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Natur zu beachten hat und in die betriebliche Organisation des Arbeitgebers eingebunden ist. Nach Ansicht des LAG sind diese Kriterien im Fall der Beklagten nicht gegeben. Eine Verpflichtung zur Auftragsannahme durch den Crowdworker besteht nicht. Die bloße Tatsache, dass der Kläger einen erheblichen Teil seines Lebensunterhalts über die Plattform der Beklagten bestreitet und sich deshalb zur Auftragsannahme verpflichtet fühlt, genügt nicht zur Annahme eines Arbeitsvertrages. Auch ist die Beklagte nicht verpflichtet Aufträge anzubieten. Die Vereinbarung zwischen der Crowdworking Plattform und dem Kläger sei als bloßer Rahmenvertrag zu werten. Zwischen den Parteien wurde kein Arbeitsvertrag geschlossen. Der Schriftformzwang wie bei Kündigungen von Arbeitsverhältnissen gilt somit nicht. Die Rahmenvereinbarung konnte wirksam durch die Beklagte via Email gekündigt werden. Die Vertragsbeziehung zwischen den Parteien wurde wirksam beendet.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falls wurde aber die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Ausblick

Um böse Überraschungen zu vermeiden sollten Arbeitgeber im Zweifelsfall auf das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung zurückgreifen. Denn auch hier gilt: lieber Vorsicht als Nachsicht – Scheinselbstständigkeit kommt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer teuer zu stehen.

Bewertung

Das Urteil des LAG München ist keine Musterentscheidung, die eine pauschale Aussage über den Arbeitnehmerstatus von Crowdworkern trifft. Auch in Zukunft wird über den Arbeitnehmerstatus anhand verschiedenster Kriterien im Einzelfall gestritten werden. Die Bedingungen, zu denen Crowdworker arbeiten, sind so divers wie die Aufgaben, die sie wahrnehmen. Eine sichere Prognose kann nicht durch den Arbeitgeber allein im Vornhinein getroffen werden. Allerdings zeigt die Entscheidung des LAG München, dass bei fehlender Weisungsbindung und Freiheit der Arbeitsaufnahme vieles für eine selbstständige Beschäftigung spricht.

(30. Dezember 2019)