Die neue Leitlinie des BMAS zur A1 Bescheinigung

Freie Fahrt für freie Bürger? Bei Geschäftsreisen ins Ausland lautet die Antwort wohl „Jein“. Der Grund: Das „Formular des Teufels“ (Schumacher, Berliner Morgenpost, 18. August 2019).
Vor jeder Entsendung eines Arbeitnehmers in EU- und EWR Staaten sowie die Schweiz muss grundsätzlich eine A1 Bescheinigung beantragt werden. Dies gilt nicht nur für längerfristige Entsendungen sondern nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO I) selbst für kurze Geschäftsreisen.

Das Problem

Die Schaffung eines einheitlichen Rahmens zur Bestimmung des sozialversicherungsrechtlich zuständigen Staates ist dabei zwar ein vernünftiges Ziel. Die Umsetzung der VO I und ihrer Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 (VO II) durch die A1 Bescheinigung erschwert in der Praxis jedoch die grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit. Selbst bei einem eintägigen Besprechungstermin ist derzeit an sich eine A1 Bescheinigung zu erwerben und mitzuführen. Gerade bei kurzfristigen Terminen ist eine solche Bescheinigung jedoch regelmäßig nicht rechtzeitig zu beschaffen.
Dies betrifft in Grenznähe tätige Arbeitgeber oder Unternehmen mit verbundenen Unternehmen im Ausland im besonderen Maße.

Leitlinie des BMAS: Keine Mitführungspflicht in Deutschland!

Im Juni diesen Jahres veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) – veranlasst durch die andauernde Kritik und Unsicherheit in der Wirtschaft – eine neue Leitlinie.

Nach Ansicht des BMAS, ergibt sich aus dem einschlägigen EU-Recht keine grundsätzliche „Mitführungspflicht“ der A 1 Bescheinigung. Eine solche verstieße gegen die Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit. Vielmehr bestünde ein Ermessen zur Beantragung einer A 1 Bescheinigung. Dieses ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 15 VO II sowie – unter Verweis auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung (Rs. C-178/97, Barry Banks; Rs. C-527/16, Alpenrind GmbH) – aus der Tatsache, dass eine Bescheinigung auch während der Entsendung und selbst rückwirkend erteilt werden könne.

Das deutsche Recht schreibe keine Mitführungspflicht eines Sozialversicherungsausweises mehr vor. Ebenso wenig bedürfe es der Mitführung einer A 1 Bescheinigung. Die deutschen Zollbehörden seien jedoch im Rahmen der Bekämpfung der Schwarzarbeit befugt, Auskünfte einzuholen und mitgeführte Nachweise zu überprüfen.

Uneinheitliche Rechtslage im EU-Ausland

Das BMAS weist jedoch zu Recht darauf hin, dass diese Auslegung lediglich für Deutschland Wirkung entfalten kann und andere EU Mitgliedstaaten durchaus eine härtere Linie fahren. So sehen Frankreich und Österreich im Rahmen der Schwarzarbeitsbekämpfung die Beantragung einer A 1 Bescheinigung vor Beginn der Geschäftsreise oder Entsendung zwingend vor.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Leider sind mit der zu begrüßenden Leitlinie des BMAS nicht alle Probleme gelöst. Während sich ausländische Arbeitgeber über diese Neuigkeiten freuen dürften, bleibt die Situation für deutsche Unternehmen unverändert.
Insbesondere aufgrund der strengeren Handhabe in einzelnen Ländern kann und sollte auch nicht darauf gehofft werden, dass die Einschätzung des BMAS im EU-Ausland geteilt wird.

Lässt sich die Handhabe des Staates, in den der Mitarbeiter entsandt werden soll, im konkreten Fall nicht mit Sicherheit feststellen, sollte im Zweifel vor jeder Geschäftsreise zumindest der Antrag auf Erteilung einer A 1 Bescheinigung bei der zuständigen Stelle gestellt werden. Nähere Informationen und Antragsformulare hält in Deutschland die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA) bereit.
Eine Kopie dieses Antrags sollte dem betroffenen Mitarbeiter für die Dauer der Entsendung bzw. Geschäftsreise ausgehändigt werden. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang auch das zusätzliche Beisichführen eines deutschen Sozialversicherungsnachweises.
Zumindest bietet die Beantragung der A 1 Bescheinigung auch praktische Vorteile: So kann bei einem Arbeitsunfall in bestimmten Ländern eine besondere Sachleistungsaushilfe im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nur in Anspruch genommen werden, wenn neben der Europäischen Krankenversicherungskarte auch eine A 1 Bescheinigung vorgelegt wird.

Ausblick

Die europäischen Behörden sehen das Problem der strengen Handhabung der A1 Bescheinigung. Jedenfalls hat die Europäische Kommission am 20. März diesen Jahres eine Einigung mit dem Europäischen Parlament und dem Rat über die Absicht zur Modernisierung der Regeln zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit geäußert.

Ein entsprechender Vorschlag der Kommission liegt bereits seit 2016 vor und sieht unter anderem die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren auch im Hinblick auf die A1 Bescheinigung vor. So soll ein einheitliches Vorgehen in den Mitgliedstaaten beim Ausstellen, Prüfen und Widerrufen der Bescheinigung gewährleistet werden. Bislang wurde der Vorschlag der Kommission jedoch noch nicht durch das Europäische Parlament und den Rat förmlich bestätigt.

Es bleibt zu hoffen, dass nun auf EU-Ebene rasch gehandelt wird. Über entsprechende Fortentwicklungen werden wir berichten.

(12. September 2019)