Frustrezensenten und Konsumclaqueure – Bundeskartellamt lädt zur Konsultation der Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen

Beim digitalen Einkauf und bei der Auswahl von Dienstleistungen im Internet sind die von Webportalen und Plattformen bereitgestellten Bewertungen anderer Nutzer und Kunden – z. B. in Form von Sternen oder Produktrezensionen – Fluch und Segen zugleich. So sehr diese Nutzerbewertungen den Verbraucher bei der Auswahlentscheidung helfen können, so groß ist die Gefahr einer Irreführung durch „Fake“-Bewertungen und eine verzerrende Gewichtung von Lob und Kritik. Dies schädigt nicht nur die Verbraucher, sondern behindert auch solche Anbieter, deren Waren und Dienstleistungen durch irreführende Nutzerbewertungen ihrer Wettbewerber in ein falsches Licht gerückt oder gar nicht erst wahrgenommen werden.

Eine Irreführung der Verbraucher verstößt gegen die Vorgaben des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Im Mai 2019 hatte das Bundeskartellamt wegen des begründeten Verdachts erheblicher, dauerhafter oder wiederholter UWG-Verstöße eine Sektoruntersuchung zu Nutzerbewertungen eingeleitet, deren vorläufige Ergebnisse jetzt in einem Konsultationspapier vorliegen.

Für alle interessierten oder betroffenen Unternehmen besteht noch bis zum 31. Juli 2020 die Gelegenheit gegenüber dem Bundeskartellamt zum Konsultationspapier Stellung zu nehmen. Nach Auswertung aller Stellungnahmen wird das Bundeskartellamt im Herbst 2020 seinen abschließenden Bericht veröffentlichen.

Untersuchungsgegenstand und vorläufige Ermittlungsergebnisse

Befragt wurden 66 besonders relevante Portale, die Verbrauchern Nutzerbewertungen für Produkte, Unternehmen oder Apps anzeigen, darunter große Plattformen, Bewertungsportale, Suchmaschinen und Online-Shops. Im Fokus standen die Erfassung, Filterung und Darstellung von Nutzerbewertungen auf Online-Portalen.

Struktureller Ausgangspunkt der Bedenken sei die „Angebotslücke“ bei Nutzerbewertungen. Zwar lese ein Großteil der Verbraucher die Nutzerbewertungen, sei aber grundsätzlich nicht oder allenfalls im Fall einer negativen Erfahrung bereit, selbst eine Bewertung zu schreiben. Gleichzeitig sei das Interesse der Portale und der Anbieter an Nutzerbewertungen sehr hoch, da viele Bewertungen regelmäßig zu Umsatzsteigerungen führten. Diesem Missverhältnis wirken u. a. durch kommerzielle Anbieter von Nutzerbewertungen sowie Händler entgegen, die Bewertungen mit gezielten Anreizen fördern (z. B. die kostenlose Überlassung des zu rezensierenden Produkts).

Weiterhin hat das Bundeskartellamt festgestellt, dass nur sehr wenige Portale neue Kundenrezensionen gezielt nach gefälschten Bewertungen sichten oder „Fake“-Bewertungen sanktionieren würden. Die meisten Unternehmen würden vorab nur bestimmte Schimpfworte, Werbung oder Datenschutzverstöße ausfiltern und sich auf eine nachträgliche Überprüfung der als kritisch gemeldeten Bewertungen beschränken. Diese (unsystematische) anlassbezogene Nachkontrolle führe zu einer überproportionalen Löschung negativer Bewertungen und im Ergebnis zu weniger repräsentativen Bewertungen.

Lösungsansätze

Aus seinen Beobachtungen hat das Bundeskartellamt Lösungsvorschläge entwickelt, die vor allem die Portalbetreiber in die Pflicht nehmen:

  • Filtern nach Fake-Bewertungen: Nach Auffassung des Bundeskartellamts sollen die Portale Fake-Bewertungen systematisch durch Vorab-Prüfungen möglichst weitgehend unterbinden.
  • Kennzeichnung von Produkttests: Inzentivierte Produkttests haben ihre Berechtigung, etwa bei der Erschließung neuer Märkte oder der Einführung eines mit bekannten Markenprodukten konkurrierenden Wettbewerbsprodukts. Allerdings sollen die Portale verdeckte Anreize in Kundenbewertungen eigenverantwortlich identifizieren und die entsprechende Kundenbewertung als Produkttest kennzeichnen, um eine Verbrauchertäuschung von vornherein zu vermeiden.
  • Verbesserte Prüfbedingungen für Authentizität der Darstellung: Für einige Portale hat das Bundeskartellamt strukturelle Defizite festgestellt, die eine verzerrte Darstellung des tatsächlichen Meinungsbildes begünstigen. So kann z. B. die Abgabe einer positiven Bewertung im Ablauf deutlich einfacher sein als eine negative Bewertung. Auch bei der ausschließlich nachträglichen Überprüfung von Bewertungen komme es zu Verzerrungen, da proportional mehr negative als positive Bewertungen gemeldet und im Ergebnis entfernt würden. Als Abhilfemöglichkeit schlägt das Bundeskartellamt verbesserte Bedingungen für die Prüfung der Authentizität der Bewertungen vor.

Voraussichtliche Auswirkungen auf den zukünftigen Umgang mit Kundenbewertungen

Die Vorschläge des Bundeskartellamts erfordern eine freiwillige Umsetzung, denn verpflichtende Vorgaben kann das Bundeskartellamt im Bereich des Verbraucherschutzes nicht machen. Daneben setzt das Bundeskartellamt auf die zivilrechtliche Verfolgung von Rechtsverstößen und fordert zu höherer Verantwortlichkeit der Portale auf.

Ob die Erkenntnisse des Bundeskartellamts allerdings dazu führen werden, dass die Portale für die auf ihren Webseiten begangenen Verbraucherverstöße eher als bisher verantwortlich gemacht werden, bleibt abzuwarten. Zum einen steht dem eine eher zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen, die sich erst im Instanzenzug wandeln müsste. Zum anderen ist in der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung stets die Verantwortlichkeit des Portalbetreibers im konkreten Einzelfall zu bewerten. Daher können die Erkenntnisse des Bundeskartellamts im Zivilprozess zwar eine starke Indizwirkung entfalten. Sie begründen aber ebenso wenig eine grundsätzliche Haftung eines Portalbetreibers für strukturelle Defizite wie die Umsetzung aller Empfehlungen des Bundeskartellamts dem Portalbetreiber Enthaftung garantiert.

Von der Möglichkeit, das Bundeskartellamt mit weitergehenden Eingriffsbefugnissen zur Durchsetzung von verbraucherschützenden Maßnahmen auszustatten, hat der Gesetzgeber auch in der bereits auf den Weg gebrachten 10. GWB-Novelle keinen Gebrauch gemacht.

(19. Juni 2020)