Die Preise wichtiger Baumaterialien sind in jüngster Zeit stark gestiegen, weshalb auch sog. Stoffpreisgleitklauseln in Bauverträgen immer wichtiger werden. Was das für Architekten bedeutet, ist bislang nicht abschließend geklärt. Wir nehmen das zum Anlass, kurz den wirtschaftlichen Hintergrund und die Voraussetzungen der Vereinbarung solcher Klauseln vorzustellen und sodann zu untersuchen, welche Pflichten den Architekten in diesem Zusammenhang treffen. Im Einzelnen:
1. Hintergrund und Voraussetzungen der Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln
Stoffpreisgleitklauseln sollen die wirtschaftlichen Auswirkungen von Materialpreisschwankungen angemessen zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmer verteilen. Die öffentliche Hand hält in ihren Vergabehandbüchern für diesen Zweck Musterklauseln bereit, die unter bestimmten Umständen in den Bauvertrag einbezogen werden können (z.B. Formblatt 225 VHB Ausgabe 2017 und HVA B-StB-Stoffpreisgleitklausel 08/19). Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat angesichts der jüngsten Preissteigerungen mit Erlass vom 25. März 2022[1] angeordnet, Stoffpreisgleitklauseln in neuen Bauverträgen der öffentlichen Hand vermehrt zu vereinbaren. Konkret sind danach Preisgleitklauseln immer dann zu vereinbaren, wenn Stoffe ungewöhnlichen Preisveränderungen ausgesetzt sind, also auch solche Stoffgruppen, die zwar bisher nicht genannt waren, für die aber die drei Voraussetzungen der Richtlinie erfüllt sind: (i) die betroffenen Stoffe sind Preisveränderungen in besonderem Maß ausgesetzt und es ist ein nicht kalkulierbares Preisrisiko zu erwarten, (ii) der Mindestzeitraum, der zwischen Angebotsabgabe und dem vereinbarten Abrechnungszeitpunkt liegen muss, ist gegeben und (iii) der entsprechende Stoffkostenanteil macht einen nicht unerheblichen Teil der geschätzten Auftragssumme aus.
2. Leistungspflichten des Architekten
Aus der Perspektive des Architekten stellt sich mit zunehmender Verbreitung der Stoffpreisklauseln immer dringender die Frage, welche Leistungspflichten ihn bei Vergabe und Rechnungsprüfung treffen, wenn der Auftraggeber solche Klauseln vereinbaren will oder vereinbart hat. Das ist ungeklärt; auf gerichtliche Entscheidungen lässt sich nicht zurückgreifen, und auch das juristische Schrifttum hat sich bis dato kaum mit diesem Thema beschäftigt.
a) Beratung zur Vereinbarung der Stoffpreisgleitklausel
Zum Teil wird in der Literatur die Auffassung vertreten, der Architekt schulde seinen Auftraggeber einen Rat zu der Frage, welcher Art die Vergütungsvereinbarung mit dem Bauunternehmer sein soll: Einheitspreisvertrag, Pauschalpreisvertrag, Stundenlohnvereinbarung o. ä. Wäre das richtig, könnte es auch zur Beratungspflicht eines Architekten gehören, Stoffpreisgleitklauseln zu empfehlen. Wir halten das im Ergebnis nicht für richtig: Nach welchem Maßstab soll der Architekt diese Empfehlung geben? Dass Preisgleitklauseln zu gleitenden Preisen führen, ist eine Binse. Die Frage ist, ob die damit verbundene Änderung der vertraglichen Risikozuweisung angemessen ist und den Verhältnissen auf dem Markt entspricht. Das hängt auch von einer Einschätzung der Preisvolatilität ab. Sofern Leistungen im Zusammenhang mit der Umsetzung einer Stoffpreisgleitklausel daher bspw. eine Prognose der zukünftigen Marktentwicklung erfordern, so ist dies dem Architekten regelmäßig nicht zumutbar. Denn dafür gibt es – erst recht angesichts des besonderen gegenwärtigen Marktgeschehens (Pandemie, Krieg, Störung der Lieferketten, Inflation etc.) – keine belastbare Grundlage; das kann und muss ein Architekt nicht leisten. Diese Einschätzung gehört nicht zum Leistungsangebot eines Architekten. Ein solcher Rat unterscheidet sich also von der Beratungspflicht des Architekten zu Ausführungseinzelheiten seines Planungsvorhabens. Der Architekt berät am Maßstab seiner Leistungen, seiner Kenntnisse. Darüberhinausgehende Beratung kann von ihm nicht verlangt werden.
b) Vergabeunterlagen
Das Formular der Preisgleitklausel soll nach der Verwaltungsanweisung VHB zu den Vergabeunterlagen gehören. Zu den Leistungspflichten des Architekten in der Leistungsphase 6 gehört es, die Vergabeunterlagen zusammenzustellen. Was bedeutet das für die Preisgleitklausel: Muss der Architekt das Formblatt ausfüllen und damit die inhaltlichen Entscheidungen und Weichenstellungen, die damit verbunden sind, leisten (und nachfolgend die Gewähr dafür übernehmen)? Und außerhalb des Formblatts der öffentlichen Hand: Muss der Architekt eine Preisgleitklausel für den privaten Auftraggeber entwickeln, damit dieser sie in seinen Werkvertrag aufnehmen kann? Zusammenstellen ist nicht herstellen. Zusammenstellen von Unterlagen bedeutet das Sammeln bereits vorhandener Unterlagen. Beide Fragen sind aus unserer Sicht daher zu verneinen. In beiden Fällen handelt es sich um besondere Vertragsbedingungen, die nicht zum Leistungsbereich eines Architekten gehören – ganz unabhängig von der Frage, ob insoweit Rechtsberatung geleistet werden würde und dass zulässig wäre. Ob der Architekt das darf, heißt nichts zu der Frage, ob er dazu verpflichtet ist. Und er darf es wohl auch nicht (und ist daher dabei nicht versichert), denn die Grenzen einer erlaubten rechtsbesorgenden Nebenleistung des Architekten ist spätestens dann überschritten, wenn es um komplexe Rechtsfragen geht, die erhebliches Risikopotenzial bergen (vgl. etwa OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 7. Mai 2020 – 3 U 2182/19). Das ist bei Preisgleitklauseln vor allem wegen der schwierigen Wahl des Maßstabs so.
Ist öffentliches Vergaberecht zu beachten, kommt bei der Erstellung der Leistungsverzeichnisse hinzu, dass sich ein Konflikt mit der Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung ergeben kann, weil sich der Anteil eines Grundstoffs (z.B. Holz) an einem Bauprodukt (z.B. Türblatt) nur anhand eines konkreten Produkts ermitteln lässt. Denn es müssen die Stoffanteile aus den jeweiligen LV-Positionen ermittelt werden, um die drei Anwendungsvoraussetzungen der Preisgleitklauseln zu prüfen. Schreibt der Architekt daher gemäß § 7 Abs. 2 VOB/A produktneutral aus, lässt sich der Anteil eines bestimmten Grundstoffs an dem jeweiligen Bauprodukt bei Versand der Vergabeunterlagen in einem solchen Fall womöglich schon deshalb zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestimmen. Dieses Problem der Preisgleitklauseln stellt keinen Fehler der Vergabeunterlagen, genauer: des Leistungsverzeichnisses dar.
c) Rechnungsprüfung
Und schließlich: Wie soll der Architekt bei der Rechnungsprüfung mit den Preisgleitklauseln verfahren? Hat er den neuen Preis zu ermitteln? Wir meinen, die Lage ist vergleichbar mit der Prüfung komplizierter Nachträge. Gelegentlich muss für die Nachtragsprüfung die Angemessenheit der Preise ermittelt werden. Oder die Prüfung des Nachtrags verlangt, baubetriebliche Zusammenhänge nachzuvollziehen und zu beurteilen. Aber auch hier gilt, dass der Architekt weder rechtliches noch baubetriebliches Spezialwissen anbietet. Schlichte Indexklauseln können bei der Rechnungsprüfung wohl meist unproblematisch – und auch vom Architekten – angewendet werden, wenn sie klar sind, vor allem den Index bezeichnen (oder der Auftraggeber eine bestimmten Index vorgibt und das rechtliche Risiko der Klausel bei ihm bleibt.) Aber Stoffpreisgleitklauseln anzuwenden bedeutet, in mehreren – jeweils teilweise komplizierten – Arbeitsschritten deren Voraussetzungen abzuarbeiten; einige dieser Arbeitsschritte gehen wiederum über das Leistungsangebot des Architekten hinaus, einige bergen (daher) eigene Leistungs- und Haftungsrisiken. Nicht nur führen Preisgleitklauseln und ihre Anwendung zu einem exponentiellen Mehraufwand bei der Rechnungsprüfung; sie ändern qualitativ die Leistung des Architekten. Ohne Frage geht die Anwendung solcher Klauseln daher über die Grundleistungen hinaus. Das zeigt sich zum Beispiel dann, wenn die zur Prüfung der Anwendungsvoraussetzung einer Preisgleitung nach Formblatt 225 VHB notwendige Ermittlung des Anteils bestimmter Grundstoffe an einem Bauprodukt (LV-Position) besondere Fachkenntnisse erfordert, die ein Architekt nicht hat und nicht haben muss (z.B. Bauchemie, Materialkunde etc.). Teile der Anwendungsarbeit, einzelne Arbeitsschritte, können zweifellos als Besondere Leistungen vereinbart werden. Andere Arbeitsschritte stoßen auch hier an die Grenze der zulässigen Leistungen des Architekten; sie überschreiten die Grenze der erlaubten Rechtsbesorgung, spätestens dann, wenn zum Beispiel das Formblatt 225 VHB und die zugehörigen Erlasse und Richtlinien Fragen der Anwendung nicht ausdrücklich beantworten und die Antwort daher in Auslegung der relevanten rechtlichen Grundlagen ermittelt werden muss.
3. Fazit und Empfehlung
Bauherren der öffentlichen Hand werden in Zukunft vermehrt Stoffpreisgleitklauseln vereinbaren (müssen). Das wirft für alle – Bauherr, Bauunternehmer und Architekt – neue Fragen auf, die bislang nicht abschließend geklärt sind. Bauherren könnten deshalb geneigt sein, die mit den Stoffpreisklauseln verbundenen Unsicherheiten und Risiken auf den Architekten abzuwälzen. Der Architekt muss (und darf) aber nur Leistungen erbringen, die sich in den Grenzen des fachtechnisch Möglichen und rechtlich Erlaubten bewegen. Wo genau die Trennlinie zwischen Geschuldetem und nicht Geschuldetem verläuft, ist aber gerade bei den Stoffpreisgleitklauseln nicht immer ganz einfach zu ermitteln. Um nicht in die Gefahr zu geraten, entweder verbotene Leistungen zu erbringen oder unberechtigt eine an sich geschuldete Leistung zu verweigern, sollte der Architekt die Rechtslage deshalb an Hand der konkreten Klausel im Bauvertrag des Bauherrn mit dem Unternehmen sehr genau prüfen (lassen), wenn der Bauherr ihn zu Leistungen im Zusammenhang mit einer darin vereinbarten Stoffpreisgleitklausel auffordert.
[1] Erlass vom 25. März 2022; Az. BWI7-70437/9#4, verlängert und ausgeweitet mit Erlass vom 22. Juni 2022. Die besondere Bedeutung dieser Klauseln im aktuellen Marktumfeld hatte das damalige Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für den Bundeshochbau schon in dem Erlass zu Lieferengpässen und Stoffpreisänderungen vom 21. Mai 2021 (Az. BW I 7 – 70437/9#3) hervorgehoben und Regelungen für neue und laufende Vergabeverfahren sowie bestehende Verträge festgelegt und auf die Stoffpreisgleitklausel im Vergabehandbuch verwiesen.
(11. August 2022)