BGH: Schriftform­zwang gilt auch für vor der Befristung vereinbarten Vertragsinhalt

Vermieter von Gewerbeflächen verwenden in der Praxis in ihren Verträgen regelmäßig doppelte Schriftformklauseln. Solche Klauseln regeln, dass Änderungen des Vertrages nur wirksam sind, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Das soll auch für eine Änderung der Schriftformklausel selbst gelten (deshalb „doppelt“), z.B.:

„Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Dies gilt auch für eine Änderung dieser Schriftformklausel.“

Eine derartige Klausel verhindert aber nicht, dass der Mietvertrag mündlich wirksam geändert werden kann; sogar eine konkludente Änderung kann wirksam sein. Das hat der BGH in einer kürzlich getroffenen Entscheidung (Beschluss vom 25. Januar 2017, Az. XII ZR 69/16) bekräftigt. Das Gericht folgert das aus § 305b BGB. Diese Norm bestimmt:

„Individuelle Vertragsabreden haben Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen.“

Die Vertragsparteien können also einen schriftlichen Mietvertrag mündlich wirksam ändern. Das geht auch im Korrespondenzwege. Das BGB verschafft der konkreten Absprache zwischen den Parteien Vorrang vor der Bestimmung, die der Vermieter „oktroyiert“ hat. Damit ist möglich, was die doppelte Schriftformklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich verhindern will.

Die Rechtsfolge einer solchen Absprache erschöpft sich nicht in der Änderung des Vertrages. Infolge der „neben dem schriftlichen Vertrag“ getroffenen, wirksamen Vereinbarung, liegt der Vertrag nicht mehr (vollständig) in schriftlicher Form vor. Das ist nämlich nur dann zu bejahen, wenn alle Vertragsregelungen in einer Urkunde getroffen sind. Sie müssen sich also in einem Dokument finden, dessen Seiten miteinander verbunden sind oder deren Zusammengehörigkeit auf andere Weise klar erkennbar ist (z. B. fortlaufende Seitenzahlen).

Der Wegfall der Schriftform hat weitere Konsequenzen, wenn eine bestimmte Vertragsdauer vereinbart ist. Die wirksame Vereinbarung der Dauer setzt einen schriftlichen Vertrag voraus, wenn das Mietverhältnis länger als ein Jahr laufen soll. Das bestimmt § 550 BGB. Wenn der Vertrag die Schriftform nicht (mehr) wahrt, dann gilt er als „auf unbestimmte Zeit“ geschlossen. Ein solcher Vertrag kann jederzeit ordentlich mit den gesetzlich geregelten Fristen gekündigt werden.

Im Hinblick auf diese drohenden, weitreichenden Folgen, enthalten Mietverträge teilweise Klauseln, die diese Rechtsfolgen verhindern sollen. Es geht um sog. Schriftformheilungsklauseln, z. B.:

„Den Mietvertragsparteien sind die besonderen gesetzlichen Schriftformerfordernisse der §§ 550, 126 BGB bekannt. Sie verpflichten sich hiermit gegenseitig, auf jederzeitiges Verlangen einer Partei alle Handlungen vorzunehmen und Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem gesetzlichen Schriftformerfordernis Genüge zu tun, und den Mietvertrag nicht unter Berufung auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform vorzeitig zu kündigen.“

Der BGH hatte schon früher entscheiden, dass der Erwerber eines Grundstücks, der in den Mietvertrag als Vermieter eintritt, trotz einer solchen Heilungsklausel das Mietverhältnis wirksam ordentlich kündigen darf.

Dies gilt nach der hier besprochenen Entscheidung des BGH auch, wenn der Erwerber selbst erst die Befristung des Mietverhältnisses vereinbart, die das Schriftformerfordernis begründet. In dem entschiedenen Fall hatten die Vorvermieter und der Vormieter einen unbefristeten Mietvertrag geschlossen. Nach Vertragsabschluss änderten die Parteien den Nutzungszweck in einem Schreiben, das nicht mit dem Mietvertrag verbunden war. Nach einiger Zeit trat ein neuer Mieter in die Mietverträge ein. Noch später erwarb eine neue Eigentümerin die Räume. Diese schloss mit dem Mieter einen schriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag, in dem die Parteien eine Befristung des Mietvertrags vereinbarten. Anschließend kündigte die Vermieterin den Mietvertrag vor Ablauf der Festlaufzeit unter Berufung auf die mangelnde Schriftform. Dies war laut BGH möglich, da sich das Beurkundungserfordernis des § 550 Satz 1 BGB aufgrund der nachträglichen Befristung auf den gesamten ursprünglichen Vertragsinhalt bezog. Dies schloss die nicht schriftformgerecht vereinbarte Nutzungsänderung ein.

Die neue Eigentümerin traf hier auch keine Pflicht zur Nachbeurkundung der vor dem Erwerb erfolgten schriftformwidrigen Vereinbarung. Denn eine Schriftformheilungsklausel bindet den Erwerber eines Grundstücks auch in dieser Konstellation nicht. Der Erwerber würde sonst – so der BGH – im Ergebnis dauerhaft an Abreden der früheren Vertragsparteien festgehalten, unabhängig davon, ob er Kenntnis von der schriftformwidrigen Vereinbarung hatte. Dies soll § 550 BGB jedoch gerade verhindern.

Die Konsequenzen dieser Entscheidungspraxis des BGH für die Praxis liegen auf der Hand: Für diejenigen, die befristete gewerbliche Mietverträge entwerfen oder nachverhandeln, bleibt es schwer, sich durch die Vertragsgestaltung vor den Risiken, die durch nachträgliche Vereinbarungen entstehen, abzusichern. Auch die Kombination einer doppelten Schriftformklausel in Verbindung mit einer Schriftformheilungsklausel schützt zumindest dann nicht vor einer Kündigung wegen mangelnder Schriftform, wenn die Immobilie veräußert wird. Deshalb sollten die Vertragsparteien stets darauf achten, dass jeder Vertragsnachtrag schriftlich gefasst wird, einen klaren Bezug auf den Ursprungsvertrag enthält und idealerweise mit diesem „körperlich verbunden“ (zusammengeheftet) wird.

(17. März 2017)