Wegen Corona sollen die Fristen im Baugenehmigungs­verfahren in Berlin verlängert werden können

Der Senat von Berlin sieht offenbar Regelungsbedarf bei den in der Berliner Bauordnung (BauO Bln) vorgesehenen Beteiligungs- und Bearbeitungsfristen und den Fristen für den Eintritt von Fiktionswirkungen im Baugenehmigungsverfahren. Da auch die Baugenehmigungsbehörden die Präsenz der Mitarbeiter wohl stark reduziert haben und die nicht präsenten Mitarbeiter offenbar (aus dem home-office) die Aufgaben nicht gleichermaßen wahrnehmen können, gibt es Schwierigkeiten damit, Fristen einzuhalten. Der Senat hat daher dem Abgeordnetenhaus ein 5. Änderungsgesetz zur Berliner Bauordnung vorgeschlagen, das inzwischen beschlossen wurde und am 20. Mai 2020 in Kraft getreten ist.

Inhalt des Gesetzes ist aber nicht die Fristverlängerung selbst, sondern eine erweiterte Ermächtigung an die Exekutive. Nach § 86 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauO Bln darf die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen per Rechtsverordnung im Falle von Arbeitseinschränkungen durch eine Epidemie oder Pandemie folgende Fristen der BauO Bln verlängern:

  • 62 Abs. 3 S. 2: Monatsfrist für den Baubeginn bei genehmigungsfreigestellten Verfahren;
  • 69 Abs. 1 S. 1: Zweiwochenfrist für Prüfung der Vollständigkeit eines Bauantrags;
  • 69 Abs. 2 S. 2, 4 und 5: Äußerungen und Stellungnahmen im Rahmen der Behördenbeteiligung und damit verbundene Fiktionen;
  •  69 Abs. 3 S. 1: Monatsfrist für die Entscheidung über den Bauantrag;
  • 69 Abs. 4 S. 2: Dreiwochenfrist für Eintritt der Fiktion der Vollständigkeit eines Bauantrags im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren.

Die Monatsfrist für die Entscheidung über den Bauantrag (§ 69 Abs. 3 S. 1) ist gleichzeitig die maßgebliche Frist für den Eintritt der Genehmigungsfiktion im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 69 Abs. 4 S. 3). Auch wenn das Gesetz also die Genehmigungsfiktion nicht ausdrücklich anspricht, so ist es doch unmittelbares Ziel des Gesetzes, auch diese Genehmigungsfiktion hinauszuschieben. In der Begründung des Entwurfs heißt es dazu, es solle vermieden werden, dass aufgrund Fristablaufs fingierte Bauerlaubnisse sich später als rechtswidrig erweisen.

Wie lange diese Fristen in Zukunft sein sollen, legt der Gesetzgeber nicht fest. Das bleibt der Rechtsverordnung überlassen. Ein Verordnungsentwurf ist noch nicht bekannt. Bausenatorin Katrin Lompscher sagte im Interview mit der Berliner Morgenpost aber, dass eine Verdoppelung der Fristen geplant sei.

Solche Fristverlängerungen wären schon jetzt „aus der Zeit gefallen“. Überall bemühen sich alle Akteure, so zügig es geht zu einer möglicherweise angepassten, aber doch weitgehenden Normalität zu kommen. Daher sollten auch die vom Gesetz vorausgesetzten „Arbeitseinschränkungen“ in den Behörden bald, wenn nicht schon jetzt durch organisatorische Maßnahmen etc. vermieden werden können. Und in  der von dem Änderungsgesetz möglichen Pauschalität wäre eine Verlängerung der Fristen ohnehin ein unglückliches Signal an die in Berlin ja nicht von Verfahrensgeschwindigkeit verwöhnten Bauherren. Zweifellos stellt Corona auch besondere Anforderungen an die Behörden; man könnte darauf aber auch so reagieren, dass die mit Fristen versehenen Aufgaben bevorzugt erledigt werden. Die Bauordnung stellt mit den Fristen und gerade auch mit den Fiktionswirkungen ein taugliches Instrument zur Verfügung, um in einfachen/vereinfachten Verfahren die Behörde zu entlasten. Wenn Arbeitseinschränkungen weiterhin bestünden, könnte man die – ohnehin rechtsfolgenfreie – Frist für die Entscheidung über den Bauantrag maßvoll verlängern, um für die wirklich anspruchsvollen Genehmigungsvorgänge Kapazität zu schaffen. Auch könnte man im vereinfachten Verfahren die Frist für die Vollständigkeitsprüfung geringfügig verlängern, weil hier ohnehin entscheidendes für die Genehmigungsfiktion vorgeklärt werden kann/muss, dann aber die Fiktion der Baugenehmigung weiterhin nach einem Monat eintreten lassen und diejenigen Bauherren, die sich nicht auf die Fiktion verlassen und ihr damit verbundenes Risiko nicht tragen wollen, auf das Attest nach § 69 Abs. 4 S. 5 verweisen.

In rechtlicher Hinsicht werden mit der weitgehenden Ermächtigungsgrundlage mindestens drei Fragen aufgeworfen:

  • Einerseits danach, ob es überhaupt zulässig ist, ein Parlamentsgesetz durch eine Rechtsverordnung ändern zu lassen. Schließlich wird die Exekutive dadurch scheinbar ermächtigt, Entscheidungen der Legislative abzuändern, was grundsätzlich nicht zulässig ist. Allerdings steht diesen Bedenken entgegen, dass der Gesetzgeber mit der Verordnungsermächtigung selbst entschieden hat, das formelle Gesetz könne durch den Erlass der Rechtsverordnung geändert werden. Entsprechend kann der Gesetzgeber die Ermächtigung jederzeit wieder einschränken und auch die Verordnung selbst aufheben, so dass man das Vorgehen für noch zulässig halten kann.
  • Es stellt sich aber zweitens noch die Frage, ob nicht der Umfang der Ermächtigung (zeitlich) irgendwie hätte beschränkt werden müssen. Denn der Gesetzgeber muss selbst entscheiden, welchen Rahmen er für welches gesetzgeberische Ziel angemessen hält. Die Gesetzgebungsgewalt darf nicht „maß“-los an die Exekutive delegiert werden. Bei einer Verdoppelung der Fristen mag diese Frage noch dahinstehen. Aber bei einer umfangreicheren Inanspruchnahme der Ermächtigung wird sie sich stellen. Die daraus entstehende Rechtsunsicherheit ist kein glücklicher Zustand.
  • Abzuwarten bleibt, wie die Verlängerung verordnet wird, wenn die Senatsverwaltung von der Ermächtigung Gebrauch machen will. Verlängert werden darf nur bei „Arbeitseinschränkungen durch eine Epidemie oder Pandemie“. Können diese Voraussetzungen gegenwärtig überhaupt noch festgestellt werden? Warum bestehen jetzt noch Arbeitseinschränkungen in den Behörden? Und: Wem wird es überlassen, wenn eine Fristverlängerung generell eingeführt wird, festzustellen, ob sie wegen einer bestehenden Epidemie oder Pandemie „scharfgestellt“ wird oder nicht. Werden wir eine allgemeine Fristverlängerung sehen und in Zukunft von der Senatsverwaltung durch Rechtsverordnung darüber unterrichtet, ob gerade solche Arbeitseinschränkungen bestehen oder nicht? Wird in Zukunft im Rahmen der Genehmigungsfiktion auch darüber gestritten werden müssen, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen der Arbeitseinschränkungen vorlagen?

Wenn die Senatsverwaltung jetzt von der Ermächtigungsgrundlage Gebrauch macht, eine Rechtsverordnung erlässt und die Fristen verlängert, ist zu befürchten, dass es länger dauern wird, bis solche Fristverlängerungen wieder rückgängig gemacht werden; allgemein wird Unklarheit darüber bestehen, wann solche Fristverlängerungen anwendbar sind. Und: Einmal eingeführt, sind die längeren Fristen einfach bequem. Sie verringern den Druck auf die Verwaltung, die Verfahrensgeschwindigkeit durch Konzentration der Verfahren auf das Wesentliche und konsequente Digitalisierung noch zu erhöhen. Eine Fristverlängerung wäre daher der falsche Schritt. Es ist zu hoffen, dass die Voraussetzungen dafür („Arbeitseinschränkungen“) schon jetzt im Wesentlichen nicht mehr vorliegen und die Senatsverwaltung keine Vorratsgründung für künftige Pandemien beschließt.

(13. Mai 2020, aktualisiert am 22. Mai 2020)