EuGH-Urteil zum Datenschutz beim Online-Verkauf von Arzneimitteln

Mit Urteil vom 4. Oktober 2024 (C-21/23) hat der Europäische Gerichtshof („EuGH“) entschieden, dass Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auch im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Klagen geltend gemacht werden können. Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass Bestelldaten, die Kunden bei der Online-Bestellung von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln („OTC“) eingeben, Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO sind, auch wenn nicht feststeht, ob der Kunde das Arzneimittel für sich selbst oder andere erwirbt.

Kontext

Der EuGH entschied im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs (Az. I ZR 223/19):

Dem Urteil liegt ein Rechtsstreit zwischen zwei deutschen Apothekern zugrunde. Der Kläger betreibt eine stationäre Apotheke; der beklagte Apotheker betreibt eine Versandapotheke und verkauft nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel über den Amazon-Marketplace. Bei der Abwicklung der Verkäufe über Amazon wurde von den Kunden keine Einwilligung zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten eingeholt.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Unterlassung des Arzneimittelverkaufs über Amazon- Er stützt diesen Anspruch auf das Wettbewerbsrecht (§§ 3a, 8 UWG) und macht Verstöße gegen das Arzneimittelrecht, das Apothekenrecht und das Datenschutzrecht geltend.

Der BGH setzte das Verfahren aus und rief den EuGH um Vorabentscheidung zur Auslegung der DSGVO an:

Entscheidung des EuGH

Aus Sicht des EuGH sind Wettbewerbsklagen wegen Verstößen gegen die DSGVO nach nationalem Recht zulässig. Zwar sieht die DSGVO selbst eine wettbewerbsrechtliche Klagebefugnis nicht explizit vor. Mit der DSGVO würden die denkbaren Rechtsbehelfe aber nicht vollständig harmonisiert. Wettbewerbsklagen nach Maßgabe des nationalen Rechts können daher aus Sicht des EuGH auch ein besonders wirksames Mittel sein, um Verstößen gegen die DSGVO vorzubeugen.

Daten aus einer Bestellung rezeptfreier Arzneimittel sind aus Sicht des EuGH Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO.

Denn durch die Verarbeitung dieser Daten könnten Informationen über den Gesundheitszustand einer natürlichen Person offengelegt werden, und zwar unabhängig davon, ob diese Informationen den Besteller oder eine andere Person betreffen. Die Bestelldaten dürfen daher nur dann verarbeitet werden, wenn der Kunde in die Verarbeitung ausdrücklich einwilligt oder ein anderer Ausnahmetatbestand vom grundsätzlichen Verarbeitungsverbot greift. So ist eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten auch ohne Einwilligung zulässig, wenn die Verarbeitung Zwecken der Gesundheitsvorsorge dient (Art. 9 Abs. 2 h DSGVO). Offen ist, ob diese Regelung für Betreiber von Online-Plattformen Gestaltungsmöglichkeiten offenlässt, die ohne eine Einwilligung auskommen.

Ausblick

Der Verkauf von Arzneimitteln über Online-Verkaufsplattformen wirft zahlreiche Rechtsfragen auf, die bislang noch nicht abschließend geklärt sind.

Der EuGH hatte in seinem aktuellen Urteil nur zu den Vorgaben der DSGVO zu entscheiden. Diese Entscheidung muss der BGH nun umsetzen.

Dabei ist die Einordnung, dass Datenschutzverstöße auch im Wege wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsklagen geltend gemacht werden können, auch unabhängig vom entschiedenen Fall von erheblicher praktischer Bedeutung. Sie hat das Potenzial, zu einer Welle von neuen Klageverfahren wegen Verstößen gegen die DSGVO zu führen. Das gilt jedenfalls für Verstöße gegen solche DSGVO-Vorgaben, die als „Marktverhaltensregeln“ im Sinne von § 3a UWG eingestuft werden können.

Weiterhin offen ist, wie der Verkauf von Arzneimitteln über Online-Plattformen nach dem Apotheken- und Arzneimittelrecht zu beurteilen ist. Im Ausgangsverfahren hatte der klagende Apotheker auch geltend gemacht, der Verkauf von Arzneimitteln über den Amazon-Marktplatz verstoße gegen den Apothekenvorbehalt (§ 43 AMG), weil Amazon in unzulässiger Weise in die Arzneimittelabgabe eingebunden werde. Der Kläger hatte weiterhin geltend gemacht, dass die prozentuale „Transaktionsgebühr“, die Amazon von den teilnehmenden Apotheken für die Abwicklung der OTC-Verkäufe verlangt, gegen § 8 Satz 2 ApoG verstoße.

Der BGH wird nun auch zu diesen Fragen entscheiden. Aus der Tatsache, dass der BGH den EuGH zum Datenschutzrecht angerufen hat, kann dabei möglicherweise geschlossen werden, dass der BGH die apotheken- und arzneimittelrechtlichen Bedenken gegen den Verkauf von OTC-Arzneimitteln über Online-Marktplätze nicht teilt. Denn bei einem Verstoß gegen das Arzneimittel- oder Apothekenrecht wären die nun vom EuGH entschiedenen datenschutzrechtlichen Fragen nicht entscheidungserheblich gewesen.

Zur Vereinbarkeit des Online-Verkaufs von Arzneimitteln mit § 8 Satz 2 ApoG ist aktuell auch ein neues Verfahren beim BGH anhängig (I ZR 46/24). In jenem Verfahren geht es auch um die – im „Amazon“-Fall nicht relevante – Frage, ob der Verkauf von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln über einen Online-Marktplatz gegen das „Rezeptmakelverbot“ (§ 11 Abs. 1a ApoG) verstößt.

(14. Oktober 2024)