Ein neuer Paukenschlag in Sachen „gerichtlicher Klimaschutz“: Am 16. Mai 2024 hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg zwei weiteren Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stattgegeben und die Bundesregierung dazu verurteilt, die bestehenden Klimaschutzprogramme um wirksame und konkrete Maßnahmen nachzubessern.
Das OVG knüpft an drei Urteile vom 30. November 2023 an und stellt fest, dass das 2023 beschlossene Klimaschutzprogramm der Bundesregierung den Anforderungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) nicht gerecht wird, weil es die verbindlichen Klimaschutzziele und den festgelegten Reduktionspfad für die einzelnen Sektoren bis auf den Sektor Landwirtschaft nicht einhalte. Das Gericht betont außerdem, dass das Klimaschutzprogramm an methodischen Mängeln leide und teilweise auf unrealistischen Annahmen beruhe. Die Bundesregierung wird daher zur Nachbesserung verpflichtet. Schon jetzt sei absehbar, dass die genannten Sektoren von 2024 bis 2030 die zulässigen Mengen an ausgestoßenen Treibhausgasen überschreiten werden. Mit den bislang vorgelegten Maßnahmen der Bundesregierung klaffe eine Gesamtlücke von circa 200 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten.
Das OVG hat mit seiner – ursprünglich erst für den 22. Mai 2024 geplanten – Entscheidung erneut seine Entschlossenheit dokumentiert, effektiven Klimaschutz durchzusetzen. Dabei ist der Zeitpunkt der Entscheidung bemerkenswert: Der Bundestag hat erst am 26. April 2024 eine Novelle des KSG beschlossen. Diese Novelle gilt weithin als ein Aufweichen der Klimaschutzstandards, weil die bisherige sektorspezifische Betrachtung zugunsten einer sektor- und jahresübergreifenden, zukunftsgewandten Gesamtrechnung aufgegeben wurde. Am 17. Mai 2024 hat der Bundesrat das Gesetzesvorhaben gebilligt und damit den Weg zum Inkrafttreten der Novelle freigemacht.
Das Urteil lässt die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Es ist zu erwarten, dass die Bundesregierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird, wie sie es bereits gegen die Urteile vom 30. November 2023 getan hat.
Besonders interessant ist damit die Frage, ob sich die jüngsten Urteile nach Inkrafttreten des novellierten KSG „erledigen“ und die Bundesregierung dies in einem Revisionsverfahren erfolgreich einwenden können wird. Dabei ist zwischen den beiden Urteilen zu unterscheiden: Das eine stellt fest, dass die Maßnahmen zur Zielerreichung im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (sog. LULUCF-Sektor) unzureichend sind. Der LULUCF-Sektor spielt für den Klimaschutz eine Doppelrolle, da es in diesem Bereich neben der Reduktion von Treibhausgasemissionen auch um das Entziehen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre durch natürliche Senken geht (negative Emissionen). Die Regelungen des KSG zum LULUCF-Sektor unterscheiden sich aus diesem Grund zu den übrigen Sektoren und bleiben durch die beschlossene KSG-Novelle im Wesentlichen unberührt. Damit dürfte eine Erledigung in diesem Verfahren ausgeschlossen sein.
Anders könnte dies bei dem zweiten Urteil sein, das sich auf sämtliche andere Sektoren mit Ausnahme der Landwirtschaft bezieht. Denn mit der Änderung des KSG entfällt die sektorbezogene zugunsten einer sektorübergreifenden Betrachtung. Allerdings verbleibt der DUH hier möglicherweise die Option, im Wege der Klageumstellung höchstrichterlich prüfen zu lassen, ob das Klimaschutzprogramm 2023 der nach zukünftiger Rechtslage maßgeblichen gesamtsektoralen Betrachtung standhält. Der jüngst vom Umweltbundesamt (UBA) veröffentliche Projektionsbericht 2024 berücksichtigt noch Maßnahmen, die infolge des KTF-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aufgrund fehlender Haushaltsmittel mittlerweile gestrichen wurden. Die Aussage, dass die Bundesregierung laut Projektionsbericht 2024 sektorübergreifend „auf Kurs“ sei, lässt sich vor diesem Hintergrund möglicherweise anzweifeln.
(18. Mai 2024)