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Klimaschutz ist Menschenrecht – Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Klimaschutz ist ein Menschenrecht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat erstmals festgestellt, dass das Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) das Recht auf einen wirksamen Schutz durch den Staat vor den schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität umfasst (Urteil vom 9. April 2024, Application no. 53600/20).

Der Verein KlimaSeniorinnen Schweiz hatte zusammen mit vier Vereinsmitgliedern vor dem EGMR Beschwerde gegen die Schweiz wegen unzureichendem Klimaschutz erhoben. Die Beschwerdeführerinnen machten unter anderem geltend, dass sie aufgrund ihres Alters durch die zunehmenden Hitzewellen, die durch den Klimawandel verstärkt werden, gesundheitlich besonders gefährdet seien. Der EGMR entschied, dass die Schweiz ihrer Verpflichtung zum Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels nicht hinreichend nachgekommen sei und eine Verletzung der Rechte aus der EMRK vorliege. Damit hatte erstmals eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem Klimawandel vor dem EGMR Erfolg.

Beschwerdebefugnis: Verbände haben es leichter als Individuen

Besonders dabei ist, dass nur die Beschwerde des Vereins erfolgreich war, nicht dagegen die individuellen Beschwerden der Vereinsmitglieder. Hintergrund ist die Interpretation des EGMR von der Beschwerdebefugnis. Voraussetzung für eine zulässige Individualbeschwerde gemäß Art. 34 EMRK ist die sogenannte Opfereigenschaft. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, durch eine staatliche Handlung oder Unterlassung direkt oder indirekt in eigenen Rechten betroffen zu sein.

Der EGMR verneinte diese Opfereigenschaft der vier Individualbeschwerdeführerinnen und wies die Beschwerden als unzulässig ab. Diese seien den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels nicht in besonderem Maße ausgesetzt. Die Schwelle zur Opfereigenschaft sei bei Beschwerden im Zusammenhang mit dem Klimawandel besonders hoch, da die EMRK keine Popularklagen zulasse.

Für den Verein KlimaSeniorinnen Schweiz bejahte der EGMR dagegen die Befugnis, im Namen der vom Klimawandel gegenwärtig oder zukünftig betroffenen Personen Beschwerde vor dem EGMR zu erheben. Der Grund: Die Besonderheit des Klimawandels als gemeinsames Anliegen der Menschheit und die Notwendigkeit, die damit verbundenen Lasten zwischen den Generationen zu verteilen, machten es nach Auffassung des EGMR erforderlich, Verbänden im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine Beschwerdebefugnis anzuerkennen.

Eine besondere Opfereigenschaft musste der Verband nicht geltend machen. Diese wäre mit Blick auf die Vereinsmitglieder der KlimaSeniorinnen Schweiz auch kaum begründbar gewesen. Deren individuelle Opfereigenschaft lehnte der EGMR ja gerade ab.

Der EGMR setzt also auf das „Repräsentationsprinzip“. Damit geht er den umgekehrten Weg des Bundesverfassungsgerichts im „Klimabeschluss“ vom 24. März 2021. Dort hatten die individuellen Beschwerdeführer erfolgreich eine „eingriffsähnliche Vorwirkung“ der angegriffenen Regelungen im Klimaschutzgesetz geltend machen können. Die von Verbänden erhobenen Verfassungsbeschwerden hatte das Bundesverfassungsgericht demgegenüber abgewiesen.

Recht auf Privat- und Familienleben beinhaltet Klimaschutz

In der Sache stellte der EGMR fest, dass es die Aufgabe des Staates sei, Gesetze zu erlassen und Maßnahmen umzusetzen, die geeignet sind, den gegenwärtigen und potenziell irreversiblen zukünftigen Folgen des Klimawandels zu begegnen. Um die Rechte aus Art. 8 EMRK zu wahren, müssten die Staaten Maßnahmen zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte ergreifen. Als Grundlage für die Reduktionsmaßnahmen seien konkrete Zielvorgaben und Zeitpläne aufzustellen.

In Bezug auf die Schweiz urteilte der EGMR, dass die Schweiz es versäumt habe, nationale Emissionsgrenzen für Treibhausgase durch ein Kohlenstoffbudget oder auf andere Weise zu quantifizieren. Weiter stellte der Gerichtshof fest, dass die Schweiz ihre Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Vergangenheit nicht erreicht hat. Nach Auffassung des Gerichtshofs hat die Schweiz nicht rechtzeitig und in geeigneter Weise gehandelt, um die entsprechenden Gesetze und Maßnahmen zu erlassen und umzusetzen, die ihren Verpflichtungen nach Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit dem Klimawandel entsprechen.

Darüber hinaus bejahte der EGMR eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK, da die nationalen Gerichte die Klagen der Beschwerdeführerinnen als unzulässig abgewiesen hatten. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Schweizer Gerichte nicht überzeugend begründet hatten, warum sie eine Prüfung der Begründetheit der Klagen des Vereins für nicht erforderlich hielten. Die Schweizer Gerichte hätten es versäumt, die zwingenden wissenschaftlichen Beweise für den Klimawandel zu berücksichtigen und hätten die Klagen nicht ernst genommen. Da den Beschwerdeführerinnen keine weiteren Rechtsmittel zur Verfügung standen, stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 6 EMRK fest.

Ausblick

Das Urteil ist für die Schweiz bindend (§ 46 EMRK). Aufgrund der Komplexität der Sache hat der EGMR der Schweiz keine konkreten Maßnahmen auferlegt, sondern die Umsetzung des Urteils der Schweiz überlassen. Dies soll vom Ministerkomitee des Europarates überwacht werden.

Für die anderen Vertragsstaaten des EGMR entfaltet das Urteil jedenfalls symbolische und politische Wirkung. Auf rechtlicher Ebene wird sich zeigen, ob das deutsche Klimaschutzkonzept, wie es im Klimaschutzgesetz angelegt ist, den Anforderungen des EGMR genügt. Über entsprechende Beschwerden könnte der EGMR bald entscheiden.

(17. April 2024)

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