Gasumlage wird zur Staatsfinanzierung

Die Bundesregierung hat am 21. September 2022 die Übernahme von 99 % der Anteile an der Uniper SE beschlossen. Gestern hat die Bundesregierung auch die Verstaatlichung von SEFE (der früheren Gazprom Germania) angekündigt. Ebenfalls gestern ist der erste Gesetzesentwurf für die Neuregelung der Gasumlage bekannt geworden. In einem Begleitpapier weist das BMWK darauf hin, dass im dafür zuständigen Bundesfinanzministerium finanzverfassungsrechtliche Fragen geprüft würden. Es gehe darum, ob die Gasumlage in eine Sonderabgabe umschlagen könne und die Gefahr der Verfassungswidrigkeit bestehe, wenn die Hauptprofiteure der Umlage in staatlicher Hand sein sollten. Das Prüfergebnis des BMF läge noch nicht vor. Dabei ist das Ergebnis aus unserer Sicht klar.

Was ändert sich durch die Verstaatlichung der Importeure?

Mit der Verstaatlichung der Importeure ändern sich vor allem zwei für die rechtliche Bewertung der Gasumlage entscheidende Umstände:

Es entfällt die Gefahr der Insolvenz der Importeure. Die Verstaatlichungen (und die bis zur Umsetzung der Verstaatlichungen erfolgte finanzielle Absicherung durch KfW-Darlehen) stützt die Bundesregierung ausdrücklich auf die Ermächtigung in § 29 Energiesicherungsgesetz („EnSiG“) zu Stabilisierungsmaßnahmen für Energieversorgungsunternehmen. Diese dürfen nur ergriffen werden zur Sicherung oder Wiederherstellung einer positiven Fortführungsprognose nach § 19 Insolvenzordnung oder zur Durchfinanzierung des Unternehmens. Die drohende Insolvenz der Importeure ist jedoch die maßgebliche Begründung der Bundesregierung für die Gasumlage. Im Falle einer Insolvenz fürchtet die Bundesregierung die Kündigung von Importverträgen und damit einen Preisanstieg für diejenigen Verbraucher, die aus diesen Importverträgen beliefert werden. Entfällt mit der Verstaatlichung die Insolvenzgefahr, besteht aber keine Gefahr der Kündigung von Importverträgen mehr (sofern sie überhaupt jemals bestanden haben sollte). Damit fällt die Begründung für die Gasumlage in sich zusammen oder – verfassungsrechtlich – diese ist nicht mehr erforderlich und damit unverhältnismäßig.

Die Verstaatlichungen haben weiter zur Folge, dass die Gasumlage nicht mehr privaten Unternehmen, sondern staatlichen Unternehmen zufließt. Bisher hat die Bundesregierung argumentiert, bei der Gasumlage handele es sich um Zahlungen zwischen dem Marktgebiets-verantwortlichen, den Gasimporteuren und den Akteuren entlang der Lieferkette – stellten demnach allein Zahlungen zwischen Privatrechtssubjekten da. Damit wollte die Bundesregierung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2014 profitieren. Dieser hatte die EEG-Umlage mit genau diesem Argument nicht als (unzulässige) staatliche Sonderabgabe angesehen. Es fehle an der „Aufkommenswirkung zugunsten der öffentlichen Hand“. Fließe die Umlage nicht dem Staat unmittelbar oder mittelbar zu, fehle es an der Verfügungsgewalt über die Geldmittel. Diese Begründung trägt aber nicht mehr, wenn die Umlage nun ausschließlich oder jedenfalls zum weit überwiegenden Teil staatlichen Unternehmen zufließt. Damit liegt die für eine Sonderabgabe charakteristische Aufkommenswirkung zugunsten der öffentlichen Hand vor. Die Tatsache, dass die verstaatlichten Importeure in privatrechtlicher Form (AG, SE, GmbH) organisiert sind, ändert daran nichts.

Wann darf der Staat eine Sonderabgabe statt einer Steuer erheben?

Nach dem Grundgesetz (Art. 104a ff. GG) muss sich der Staat grundsätzlich über Steuern, nicht über Sonderabgaben finanzieren. Dies hat verschiedene Gründe. Das Grundgesetz enthält ein ausdifferenziertes Gesetzgebungsverfahren über den Haushalt, das bei einer Sonderabgabe außerhalb des Haushaltsplans umgangen würde. Zweitens sollte das Parlament – wie jedes privatwirtschaftliche Unternehmen – mit seinem Haushaltsplan einen Überblick über seine Einnahmen und Ausgaben haben (sogenannter Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans). Drittens werden Steuern im Gegensatz zu Sonderabgaben nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen berechnet und stellen damit eine besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes dar (BVerfGE, 55, 274, Rn. 67 – Berufsausbildungsabgabe).

Das Bundesverfassungsgericht erlaubt als Ausnahme von diesem Grundsatz eine Finanzierung über eine Sonderabgabe nur in sehr engen Grenzen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

  1. Die Abgabe muss einen über die bloße Mittelbeschaffung hinausgehenden Zweck erfüllen.
  2. Es darf nur eine von der Allgemeinheit durch eine gemeinsame Interessenlage abgrenzbare homogene Gruppe belastet werden.
  3. Die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck evident näherstehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. Dies ist der Fall, wenn eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außersteuerlichen Abgabe zu finanzierenden Aufgabe besteht. Die Aufgabe, die mit Hilfe des Abgabeaufkommens erfüllt werden soll, muss ganz überwiegend in die Sachverantwortung der belasteten Gruppe, nicht in die der staatlichen Gesamtverantwortung fallen.
  4. Schließlich muss zwischen den Belastungen und den Begünstigungen, die die Sonderabgabe bewirkt, eine sachgerechte Verknüpfung bestehen. Das ist der Fall, wenn das Abgabeaufkommen im Interesse der Gruppe der Abgabepflichtigen, also „gruppennützig“ verwendet wird.

Liegen diese Voraussetzungen bei der Gasumlage vor?

Die Gasumlage erfüllt keine der genannten Voraussetzungen für eine Sonderumlage.

  1. Es fehlt schon an dem über die bloße Mittelbeschaffung hinausgehenden Zweck. Mit der Verstaatlichung der Importeure sichert bereits der Bund als Anteilseigner die Finanzierung der Importeure und ihrer gestiegenen Kosten für die Beschaffung von Gas als Ersatz der von Gazprom nicht mehr gelieferten Mengen. Es handelt sich dabei um eine staatliche Aufgabe, nämlich die Sicherung der Energieversorgung, welche allein auch die drastischen Stabilisierungsmaßnahmen nach § 29 EnSiG rechtfertigen. Ausdrücklich hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der „Kohlepfennig“-Entscheidung im Jahr 1994 klargestellt, dass die Verlässlichkeit der Energieversorgung Gemeinwohlaufgabe sei und das zulässige Finanzierungsinstrument hierfür die Steuer (BVerfGE, 91, 186, Rn. 91 f.). Die Gasumlage dient aber wie eine Steuer nur noch als Mittel zur Reduzierung der Zahlungen aus dem Haushalt bzw. der Ausreichung von KfW-Darlehen, hat aber keinen darüber hinausgehenden Zweck mehr.
  2. Es fehlt an der Homogenität der Gruppe, welche die Gasumlage zahlen soll. Bereits in der Kohlepfennig-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass den von dem Kohlepfennig betroffenen Abgabeträgern nur der Stromverbrauch gemeinsam sei. Ihr paralleles Interesse ziele eher auf die Sicherheit der jeweils individuellen Versorgung als Reflex der allgemeinen Versorgungssicherheit. Die Sicherstellung der Strom- oder Energieversorgung aber sei ein Interesse der Allgemeinheit, das deshalb als Gemeinlast – durch Steuern – finanziert werden müsse. Zudem gibt es bei den Gasverbrauchern höchst unterschiedliche Interessen. Verbraucher, die aus günstigen Importverträgen der verstaatlichten Importeure beliefert werden, mögen ein Interesse an der Aufrechterhaltung der günstigen Lieferungen haben. Ein erheblicher Teil der industriellen, aber auch privaten Verbraucher wird jedoch aus Importverträgen ganz anderer Importeure (z. B. aus Norwegen) beliefert oder zahlen bereits jetzt die aktuellen, kriegsbedingt hohen Gaspreise. Diese Verbraucher haben nicht das geringste Interesse, zusätzlich zu ihren Gaspreisen noch eine Gasumlage zu zahlen, mit denen günstige Lieferungen an andere Verbraucher subventioniert werden. Dies gilt in verschärftem Maße für die Subventionierung von Verbrauchern, die auch noch Konkurrenten sind.
  3. Die von der Gasumlage belasteten Verbraucher trifft auch keine besondere Gruppenverantwortung für die hohen Ersatzbeschaffungskosten der verstaatlichten Importeure. Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass den Lieferanten, und nicht den Abnehmer, das Beschaffungs- und damit auch das damit verbundene Kostenrisiko trifft. Der Verbraucher weiß häufig auch gar nicht, aus welchen Quellen (russische, norwegische oder andere) und zu welchen Kosten sein Lieferant das Gas bezieht. Auch hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in dem Kohlepfennig-Beschluss entschieden, dass die Nachfrage Anknüpfungspunkt für eine Verbrauchssteuer sein möge, aber nicht als Grundlage für eine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit tauge, die den Nachfrager für eine bestimmte energiepolitische Sicherung in Pflicht nehme.
  4. Schließlich fehlt es auch an der „gruppennützigen“ Verwendung des Aufkommens aus der Gasumlage. Die Umlage fließt den verstaatlichten Importeuren zu. Diese decken damit ihre Ersatzbeschaffungskosten. Dadurch wird der Bund von Finanzierungspflichten als Alleineigentümer der Importeure entlastet. Irgendein spezifischer Nutzen für die mit der Gasumlage belasteten industriellen, gewerblichen oder privaten Verbraucher ist damit nicht verbunden. Dies gilt in besonderem Maße für die Vielzahl der Verbraucher, die weder unmittelbar noch mittelbar von einem der ausgleichsberechtigten Importeure beliefert werden.

Was bedeutet das für die von der Bundesregierung geplante Gesetzesänderung?

Das geplante Gesetz zur Änderung des EnSiG, mit dem die Novellierung der Gasumlageregelung nun in Gesetzesform (statt bisher einer Verordnung) gegossen werden soll, würde gegen die bundesstaatliche Finanzverfassung verstoßen, es wäre im Übrigen unverhältnis-mäßig. Die Verfassungswidrigkeit führt zur Nichtigkeit des Gesetzes, wenn es überhaupt in Kraft treten sollte. Private Verbraucher können die Verfassungswidrigkeit in Klagen auf Rückzahlung der Gasumlage gegen ihren Lieferanten geltend machen. Die zuständigen Zivilgerichte können die Verfassungswidrigkeit allerdings nicht selber feststellen (anders als noch im Fall der Gaspreisanpassungsverordnung), sondern müssten die Frage der Verfassungswidrigkeit im Wege der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 GG) dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Weiterhin wäre auch eine abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 GG) möglich. Ein Antrag kann von einer Landesregierung oder einem Viertel der Mitglieder des Bundestages gestellt werden.

(23. September 2022)