Covid-19 – Auswirkungen auf laufende Zivilprozesse

Covid-19 ist eine Herausforderung sowohl für Gerichte als auch für Parteien. Der Gesetzgeber hat (noch) nicht festgelegt, wie Gerichte damit umzugehen haben. Die Landesregierungen dürfen keine verbindlichen Handlungsanweisungen (etwa per Verordnung) erlassen. Es gilt nämlich der Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Demnach sind Richter nur dem Gesetz unterworfen, die Exekutive ist ihnen gegenüber nicht weisungsbefugt.

Viele Gerichte halten sich aber von sich aus an die allgemeinen Handlungsempfehlungen, soziale Kontakte auf ein absolut notwendiges Minimum zu beschränken. Sie sagen derzeit reihenweise Verhandlungstermine ab. Einige Gerichtsgebäude sind für den Publikumsverkehr geschlossen.

Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick darüber, wie das Coronavirus zivilprozessual einzuordnen ist, und leiten daraus Handlungsempfehlungen ab.

Kein Stillstand der Rechtspflege

Die Zivilprozessordnung (ZPO) enthält in § 245 eine Regelung zum Stillstand der Rechtspflege. Demnach ist ein Verfahren automatisch unterbrochen, solange infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit des Gerichts aufhört. Grundsätzlich kann solch ein anderes Ereignis auch eine Pandemie sein. Allerdings muss die Tätigkeit des Gerichts vollständig zum Erliegen kommen. Das ist derzeit nicht der Fall, da einzelne Richter und Geschäftsstellenmitarbeiter – in vielen Fällen wahrscheinlich von zu Hause aus – weiterarbeiten können. Im Ergebnis wäre ein Stillstand der Rechtspflege auch nicht begrüßenswert: Das Verfahren wäre per Gesetz so lange unterbrochen, wie das Gericht untätig ist. Danach ginge das Verfahren weiter, ohne dass das Gericht das konkrete Verfahren aktiv wieder aufnehmen müsste. Der genaue Zeitpunkt dürfte für die Parteien schwer nachvollziehbar sein. Fristen könnten im schlimmsten Fall wieder zu laufen beginnen, ohne dass die Parteien dies wüssten. Streitigkeiten darüber, von wann bis wann die Unterbrechung andauerte, wären vorprogrammiert.

Nur im Ausnahmefall: Aussetzung des Verfahrens bei abgeschnittenem Verkehr

Nach § 247 ZPO kann das Gericht von Amts wegen die Aussetzung des Verfahrens anordnen. Dafür muss sich eine der Parteien an einem Ort aufhalten, der durch obrigkeitliche Anordnung, Krieg oder andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist. Das ist theoretisch denkbar, wenn sich eine Partei (bzw. ihr Rechtsanwalt) im Ausland befindet und nicht zurückkehren darf oder unter Quarantäne gestellt ist. Es stellt sich die Frage, wie mit einer freiwilligen Quarantäne umzugehen ist (also einer Quarantäne, die ärztlich oder behördlich empfohlen, aber nicht zwingend angeordnet ist). Viel spricht dafür, diese Situation als „anderer Zufall“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen. Auch in diesen Fällen kann das Gericht also wohl die Aussetzung des Verfahrens anordnen.

In allen anderen Fällen: Verfahren läuft weiter

In allen anderen Fällen läuft das Verfahren grundsätzlich erst einmal weiter.

Fristen laufen weiter

Das gilt insbesondere für laufende Fristen. Diese laufen weiter und können ablaufen. Wie mit Fristen umzugehen ist, hängt ab von deren Rechtsnatur:

  • Grundsätzlich kann das Gericht Fristen nach §§ 224 Abs. 2, 225 ZPO auf Antrag verlängern. Die Partei muss dafür erhebliche Gründe glaubhaft machen. Die Handlungsempfehlungen und Ausgangsbeschränkungen von Regierung und Behörden dürften ohne weiteres als erhebliche Gründe gelten. Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg hat für die Flut an Fristverlängerungsanträgen eine pragmatische Lösung gefunden: Dort werden alle Anträge bewilligt, und das sogar ohne Vorlage beim Richter.
  • Nicht verlängern kann das Gericht sogenannte Notfristen. Notfristen sind im Gesetz ausdrücklich als solche bezeichnet. Es handelt sich dabei meistens um Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen (beispielsweise Berufung oder Einspruch). Versäumt eine Partei eine solche Notfrist, kann sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen (§ 233 ZPO). Voraussetzung ist, dass die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Notfrist einzuhalten. In aller Regel wird das Gericht bei schwerwiegender Erkrankung und wohl auch bei Quarantäne die Wiedereinsetzung gewähren. Die Partei kann dann die fristgebundene Handlung nachholen, beispielsweise also Berufung einlegen. Darauf ankommen lassen sollte die Partei es natürlich trotzdem nicht und die Frist – wenn irgend möglich – einhalten. Das erfordert nicht zuletzt eine sorgfältige Fristenkontrolle. Die Partei (bzw. ihr Rechtsanwalt) muss dafür Sorge tragen, dass diese auch bei kurzfristigem Personalausfall gewährleistet ist.

Termine finden grundsätzlich statt

Verhandlungstermine finden – zumindest nach dem Gesetz – grundsätzlich statt. In aller Regel wird das Gericht den Termin von sich aus absagen. Macht es das nicht, bestehen folgende Möglichkeiten:

  • Die Parteien können nach § 227 ZPO beantragen, den Termin zu vertagen. Erforderlich ist ein erheblicher Grund. Das Gericht wird ohne Zweifel die Infektionsgefahr der Teilnehmer am Termin sowie das allgemeine Ausbreitungsrisiko des Coronavirus als erheblichen Grund anerkennen.
  • Denkbar ist auch, dass das Gericht zum schriftlichen Verfahren übergeht. Das ist nach § 128 Abs. 2 ZPO möglich, wenn alle Parteien zustimmen. Das Gericht trifft dann eine Entscheidung allein auf Grundlage des schriftlichen Parteivortrags.
  • Theoretisch kann die Gerichtsverhandlung zudem per Video-Konferenz stattfinden, § 128 a ZPO. Praktisch wird die technische Ausstattung der Gerichte dies jedoch in aller Regel nicht zulassen.

Fazit

Bislang ist es den Gerichten sowie den Parteien überlassen, wie sie mit dem Coronavirus umgehen. Die Rechtsanwälte müssen daher – wie sonst auch – die Fristen gewissenhaft kontrollieren und gegebenenfalls Fristverlängerungen beantragen. Auch können sie sich nicht darauf verlassen, dass Termine schon nicht stattfinden werden. Im Zweifelsfall müssen sie Terminsverschiebungen beantragen.

Der Gesetzgeber könnte aber Abhilfe schaffen: So wird derzeit diskutiert, sogenannte Gerichtsferien einzuführen. Der Gesetzgeber könnte die Gerichtsferien für einen bestimmten Zeitraum ansetzen. Er könnte regeln, dass innerhalb dieser Gerichtsferien nur in bestimmten, besonders eilbedürften Verfahren Fristen laufen, Verhandlungstermine stattfinden und Entscheidungen erlassen werden. Die Gerichtsferien gälten dann im gesamten Bundesgebiet. So wäre gleichzeitig der Flickenteppich aus den verschiedenen pragmatischen Lösungsansätzen der Gerichte beseitigt.

(31. März 2020)