Architektenrechtliche Streitigkeiten vor dem Commercial Court

Seit einigen Wochen ist es möglich, Klagen (unter anderem) im Bau- und Architektenrecht sofort beim Oberlandesgericht zu erheben, wo ein besonderer Senat für sie zuständig ist (Commercial Court). Jetzt kann das Klageverfahren gleich dort beginnen. Zulässig sind allerdings nur Klagen mit einem Streitwert ab 500.000 Euro, und die Zuständigkeit des Commercial Courts muss speziell vereinbart werden. Das geschieht idealerweise schon im Vertrag, kann aber auch noch nach Entstehung des Streits nachgeholt werden.

Beginnt der Streit vor dem Commercial Court, wird die mitunter jahrelange (und auch deshalb nicht selten frustrierende) erste Instanz vor dem Landgericht übersprungen. Das Oberlandesgericht ist mithin die erste (und einzige) Instanz, die den Sachverhalt klärt, also vor allem Beweise erhebt. Angefochten werden kann die Entscheidung des Commercial Court dann nur noch durch die Revision zum Bundesgerichtshof, die aber anders als sonst nicht gesondert zugelassen zu werden braucht, weshalb auch keine Nichtzulassungsbeschwerde mehr nötig ist (deren Aussichten statistisch wenige Prozent betrugen). Das hat zwei interessante Folgen: Erstens treffen die Richter am Oberlandesgericht ihre Entscheidung im Bewusstsein der effektiven Überprüfbarkeit. Und zweitens kann man ggf. relevante schwierigere Rechtsfragen auf diese Weise rasch zum Bundesgerichtshof tragen, wo die Antwort einheitlich gegeben wird; das war bisher nicht gewährleistet, weil verschiedene Oberlandesgerichte dieselben Fragen mitunter sehr unterschiedlich beurteilen.

Zusätzlich soll das Verfahren vor dem Commercial Court besonders effizient ablaufen. Deshalb sieht der neu geschaffene § 612 ZPO einen Organisationstermin vor, der helfen soll, den Ablauf des Rechtsstreits einvernehmlich zu strukturieren. Denkbar sind dabei u.a. Vereinbarungen zum zeitlichen Ablauf sowie zu Struktur und Umfang des weiteren Vortrags, zusätzlich lässt sich der Streitstoff ggf. schon hier abschichten und konzentrieren; das Effizienzpotential ist enorm. Und schaffen die Parteien es nicht, den Organisationstermin für gute Verfahrensvereinbarungen zu nutzen, so kann das Gericht die Erkenntnisse aus diesem Termin für eigene verfahrensleitende Verfügungen und Hinweise nutzen. Der Termin bietet erfahrungsgemäß dafür eine bessere Grundlage als der reine Akteninhalt; ein entschlossener Commercial Court kann so auch ohne Vereinbarungen der Parteien sinnvolle Verfahrensstrategien durchsetzen.

Die neuen Commercial Courts sollen ein attraktives Angebot sein, wo bisher Schiedsverfahren dominierten. Daher kann vor ihnen auch auf Englisch verhandelt werden. Der Gesetzgeber sieht das deutsche Gerichtsangebot in einem gewissen Wettbewerb zur (internationalen) Schiedsgerichtsbarkeit (daher stehen die Neuregelungen auch in einem „Justizstärkungsgesetz“). Wie im Schiedsverfahren ist auch bei den Commercial Courts ein mitlesbares Wortprotokoll vorgesehen – das ist zwar in der Regel teuer, aber besonders bei den Aussagen von Zeugen und Sachverständigen durchaus kein lässliches Detail, wie jeder weiß, der einmal eine Schiedsverhandlung geführt hat oder über einem Landgerichtsprotokoll verzweifelt ist.

Alles hängt – wie schon bisher – von den entscheidenden Richterpersonen ab. Aber man darf damit rechnen, in den jetzt von den Bundesländern einzurichtenden Senaten handlungs- und organisationsstarken Richtern und einem technisch optimal ausgestatteten Gericht zu begegnen; vielleicht ist schon die Kompetenz, auch in Englisch verhandeln zu können, eine gute Anforderung bei der Zusammensetzung der Senate. In Berlin und Düsseldorf sind bereits Senate bei den Oberlandesgerichten eingerichtet worden, die eine Sonderzuständigkeit für Bau- und Architektensachen haben und von sehr ausgewiesenen Vorsitzenden geleitet werden – ausgewiesen durch einschlägige, kluge Veröffentlichungen und ihre Gerichtspraxis. Nach den bisherigen Veröffentlichungen (Stand Mai 2025) kennen wir folgende Besetzungen:

Baden-Württemberg
Commercial Court Baden-Württemberg am OLG Stuttgart (20. u. 21. Zivilsenat); Verhandlungsorte Stuttgart & Mannheim. Vorsitzende: Stefan Vatter (20. Senat) und Dr. Patrick Melin LL.M. (21. Senat). Beisitzer u. a. Dr. Claus Mollenkopf, Dr. Ekkehard Regen, Dr. Fabian Osswald LL.M., Tobias Bernhard, Dr. Martina Vels, Johannes Munding.
Hamburg
Zwei Senate am Hanseatischen OLG  – Senat I: Bau-, Banken-/Finanz-, Gesellschafts- & Post-M & A-Streitigkeiten; Senat II: Transport, See-, Verkehrs- & Versicherungsrecht. Senat I: Ralph Panten (Vors.), Dr. Janko Büßer (Stellv.), Dr. Frank Bodendiek, Sabine Schwandt, Dr. Martin Tonner, Anke Viering.

Senat II: Dr. Inken von Gadow (Vors.), Dr. Nicolas Hagge (Stellv.), Dr. Christoph Hütteroth, Dr. Markus Brauer.

Nordrhein-Westfalen (seit 1. 4. 2025)
Commercial Court am OLG Düsseldorf mit drei Fachsenaten  – Bau/Architekten-, Versicherungs- sowie Gesellschafts- & Post-M & A-Streitigkeiten. Vorsitzende der Senate: Dr. Robert Papst, Dr. Tobias Rodemann, Dr. Arnd Weishaupt. Beisitzer Ari Zühlke, Constanze Mayen-Esch, Dr. Michael Scholz, Dr. Nicole Hause, Dr. Britta Heidkamp-Borchers, Dr. Eva Maria von Ohlen
Bremen (seit 4. 4. 2025)
Hanseatic Commercial Court Bremen (HCCB) am OLG Bremen für Luft- & Raumfahrt, Logistik, Seehandel. Dr. Mario Pellegrino (Vors.), Dr. Ole Böger, Nicola Martin.
Berlin (seit Feb. 2025)
Commercial Court Berlin = 21. Zivilsenat des Kammergerichts (OLG Berlin) – Schwerpunkt Bau- & Ingenieurverträge. Vorsitzender: Björn Retzlaff; Beisitzer: Jens Schmidt, Angela Schwerdtfeger, Jannasch (bis 31. Juli 25).
Bayern (ab 1. 6. 2025)
Zwei erstinstanzliche Commercial-Court-Senate am OLG München, zuständig auch für die Bezirke Nürnberg & Bamberg; zunächst Lieferketten- sowie Organhaftungs-/Corporate-Governance-Streitigkeiten. Richterlisten werden erst mit Inkrafttreten der VO veröffentlicht; laut Kabinettsbeschluss „erfahrene Richterinnen und Richter“.
Hessen (seit 2018)
Chamber for International Commercial Disputes am LG Frankfurt a. M. (Vorläufer-Modell; Schiedsstreitwert frei). Drei Spruchkörper-Mitglieder: eine Berufsrichterin/ein Berufsrichter (Vorsitz) sowie zwei ehrenamtliche Handelsrichter :innen aus der Wirtschaft (5-Jahres-Mandat). Namen werden jährlich von IHK Frankfurt vorgeschlagen und im Amtsblatt bekannt gemacht.

 

Es gibt auch Länder, die solche Sonder-Senate nicht einrichten wollen (Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen).

Die Aussichten, auf diese Weise den Wettbewerb mit der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu gewinnen, werden natürlich sehr verschieden eingeschätzt. Es wird interessant sein, die Entwicklung der verschiedenen Senate zu beobachten. Denn sie stehen auch in einem gewissen Wettbewerb zueinander: Im Vertrag kann die Zuständigkeit eines bestimmten frei gewählten Commercial Court vereinbart werden, es muss nicht notwendig das Gericht am Sitz des Auftraggebers oder dem Ort des Vorhabens sein. Man darf die Prognose wagen, dass Berlin und Düsseldorf sehr begehrt sein werden.

Die neuen gesetzlichen Bestimmungen kommen knapp daher und werden für sich genommen den Zivilprozess nicht revolutionieren; das ist auch nicht ihr Ziel. Für den nationalen „Gerichtskunden“ im Bereich des Bau- und Architektenrechts ist ein Commercial Court mit der entsprechenden Sonderzuständigkeit aber allemal eine sehr interessante Option, wenn die Streitwertgrenze erreicht wird. Sie ist leider ein Fehler, auch wenn sie im Gesetzgebungsverfahren mehrmals gesenkt worden ist. Die Zuständigkeitsvereinbarung im Vertrag ist dennoch sinnvoll.

(30. Mai 2025)