Bezugnahmeklauseln – ein Vabanquespiel

Die Gestaltung von Arbeitsverträgen ist mit Unwirksamkeitsrisiken belastet. Bisher schien es zumindest einen sicheren Anker zu geben: Unternehmen, deren Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen oder – im kirchlichen Bereich – durch die dort üblichen allgemeinen Arbeitsrechtsbedingungen geregelt werden, konnten sich damit begnügen, in ihren Arbeitsverträgen auf die anwendbaren kollektiven Regelungen durch sogenannte Bezugnahmeklauseln zu verweisen. Die bisherige Sicht des Bundesarbeitsgerichts (Fünfter Senat vom 29. Mai 2002, NZA 2002, 1096, zweiter Orientierungssatz) war, dass damit der Inhalt der kollektiven Regelung nicht nur in das Arbeitsverhältnis einbezogen, sondern zugleich den Verpflichtungen aus dem Nachweisgesetz entsprochen wurde. Diesen vermeintlich sicheren Anker hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts mit einem Urteil vom 30. Oktober 2019 (6 AZR 465/18, Pressemitteilung Nr. 36/19) herausgerissen. Für „wesentliche Arbeitsbedingungen“ im Sinne des Nachweisgesetzes genügt eine bloße Bezugnahmeklausel grundsätzlich nicht. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall ging es um die für die Praxis wichtigen Ausschlussfristen, die typischerweise in kollektiven Regelungen enthalten sind.

Der Fall

Der Kläger war bei der beklagten katholischen Kirchengemeinde als Küster und Reinigungskraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag nahm die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in Bezug, die eine sechsmonatige einstufige Ausschlussfrist vorsah. Der Kläger machte Differenzvergütungsansprüche wegen angeblich fehlerhafter Eingruppierung geltend. Die Beklagte verweigerte die Erfüllung dieser Ansprüche unter Berufung auf die Ausschlussfrist. Der Kläger stellte die Wirksamkeit der Fristenregelung in Abrede und verlangte hilfsweise Schadensersatz, den er ua. darauf stützte, dass ihm die Beklagte die Ausschlussfrist nicht hinreichend nachgewiesen habe. Das Landesarbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte der Kläger hingegen Erfolg.

Das Urteil

Nach dem Sechsten Senat handelt es sich bei einer Ausschlussfrist um eine „wesentliche Arbeitsbedingung“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG. Die bloße Bezugnahme auf die kirchliche Arbeitsrechtsregelung genüge für den danach erforderlichen Nachweis nicht. Vielmehr müsse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Ausschlussfrist im Volltext nachweisen. Geschehe dies nicht, könne der Arbeitnehmer gegebenenfalls im Wege des Schadensersatzes verlangen, so gestellt zu werden, als ob er die Frist nicht versäumt hätte.

Das Bundesarbeitsgericht erkennt zwar an, dass für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen ebenso wie für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen erleichterte Nachweismöglichkeiten gelten. Diese bezögen sich aber nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 3 NachwG nur auf die Angaben nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6-9 NachwG (d. h. zu Arbeitsentgelt, Arbeitszeit, Dauer des Erholungsurlaubs und Kündigungsfristen). Nur diese ausdrücklich genannten Bedingungen könnten im Wege eines bloßen Hinweises auf die einschlägigen kirchlichen Arbeitsbedingungen ersetzt werden.

Bewertung

Die Entscheidung bezieht sich ausdrücklich nur auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen. Diese sind durch § 2 Abs. 3 NachwG aber Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen gleichgestellt. Daher dürften die vom Sechsten Senat aufgestellten Rechtssätze – konsequent zu Ende gedacht – ebenso für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen gelten. Ferner ist zu beachten, dass sich die Aussagen des Sechsten Senats nicht auf Ausschlussfristen beschränken, sondern für alle „wesentlichen Arbeitsbedingungen“ Geltung beanspruchen dürften. Nur für die in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6-9 NachwG ausdrücklich aufgeführten Angelegenheiten genügt die Bezugnahme auf die einschlägigen kollektiven Regelungen zur Erfüllung der Nachweispflicht bei Begründung des Arbeitsverhältnisses.

Wohlgemerkt: Die Ausschlussfrist wurde auch nach Auffassung des Sechsten Senats durch die Bezugnahme im Arbeitsvertrag wirksam zur Grundlage des Arbeitsverhältnisses gemacht, also einbezogen. Durch die Annahme einer besonderen Nachweispflicht wird diese Einbeziehung jedoch für den Arbeitgeber wertlos; denn im Wege des Schadensersatzes ist der Arbeitnehmer so zu stellen, als sei die Ausschlussfrist nicht abgelaufen. Bisher liegt nur eine Pressemitteilung vor. Die Entscheidungsgründe des Urteils werden erkennen lassen, wie der Sechste Senat den offensichtlichen Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechung des Fünften Senats erklärt und ob eine vollständige Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung erfolgt.

Empfehlung

Arbeitgeber, die Ausschlussfristen in Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen sowie in kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen bisher in ihren Arbeitsverträgen nicht im Volltext wiedergegeben haben, sondern sich auf eine Bezugnahme auf die kollektive Regelung beschränkt haben, haben unmittelbaren Handlungsbedarf. Ihnen ist  zu empfehlen, ihren Arbeitnehmern die Ausschlussfrist gesondert im Volltext bekannt zugeben. Dies muss schriftlich und durch vertretungsberechtigte Personen unterzeichnet geschehen. Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist ausgeschlossen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 NachwG). Den Empfang des Nachweises sollten sich die Arbeitgeber bestätigen lassen. Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass sich Unternehmen erfolgreich auf kollektiv geregelte Ausschlussfristen berufen können.

Sobald die Entscheidungsgründe des Urteils vom 30. Oktober 2019 vorliegen, ist zu überprüfen, ob weitergehender Handlungsbedarf in Bezug auf sonstige kollektiv geregelte wesentliche Arbeitsbedingungen gegeben ist. Im Extremfall kann die neue Rechtsprechung bedeuten, dass alle wesentlichen Arbeitsbedingungen in kollektiven Regelungen in Textform nachzuweisen sind, soweit es sich nicht um Regelungen zu Arbeitsentgelt, Arbeitszeit, Dauer des Erholungsurlaubs und Kündigungsfristen (§ 2 Satz 2 Nr. 6-9 NachwG) handelt.

Ein Wort zum Abschluss: Natürlich lässt sich die Auffassung des Sechsten Senats rechtsdogmatisch begründen. Zwingend oder auch nur sinnvoll ist sie nicht.  Der Sechste Senat erhöht den Transaktionsaufwand bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen und schafft im Ergebnis Rechtsunsicherheit. Auf die Entscheidungsgründe dürfen wir gespannt sein.

(31. Oktober 2019)

Siehe auch:

Kirchliche Bezugnahme auf Ausschlussfristen – Kirchenregeln sind halt doch nur AGB, www.lto.de, 11. November 2019