Paukenschlag aus Karlsruhe – BGH stärkt Wettbewerb um Wärmenetze

Der BGH hat heute sein lang erwartetes Urteil zum Fernwärmenetz Stuttgart verkündet (Urteil vom 5. Dezember 2023, KZR 101/20). Der BGH macht den Weg frei für eine Lösung des jahrelangen Konflikts zwischen der Stadt Stuttgart und EnBW und weist zugleich den Weg Richtung mehr Ausschreibungswettbewerb.

Darum geht es: Seit Jahren streiten sich die Stadt Stuttgart und EnBW um die Herausgabe des Stuttgarter Fernwärmenetzes. Der Konzessionsvertrag mit der Gemeinde lief Ende 2013 aus. Die Stadt verklagte EnBW auf Herausgabe des Netzes, hilfsweise auf Beseitigung der Netzanlagen. EnBW erhob Widerklage auf Verpflichtung der Stadt zum Abschluss eines neuen Konzessionsvertrages.

Das OLG Stuttgart kam zu einer kuriosen Lösung, die eigentlich keine der Parteien wollte. Im Ergebnis soll die Stadt Stuttgart keinen Anspruch auf Übereignung haben. Die EnBW muss aber ihr Fernwärmenetz beseitigen, weil sie keinen kartellrechtlichen Anspruch auf Abschluss eines neuen Wegenutzungsvertrages hat. Die im Urteil angedeutete Drohung, das 218 km lange, funktionsfähige Fernwärmenetz abzubauen und die Versorgung von ca. 25.000 Haushaltskunden, ca. 1.300 Unternehmen und 300 öffentlichen Gebäuden einzustellen, war allerdings nicht mehr als eine theoretische Überlegung. Das Urteil war offensichtlich von der Hoffnung getragen, dass sich die Parteien wieder an den Verhandlungstisch setzen und sich auf eine Kooperation einigen würden.

Zu dieser Einigung kam es jedoch nicht. Der BGH hat nun den gordischen Knoten durchschlagen und der Stadt die Durchführung eines wettbewerblichen Auswahlverfahrens zugestanden.

Der Bundesgerichtshof hat hierzu – wenig überraschend – festgestellt, dass die Stadt bei der Einräumung von Wegenutzungsrechten für den Betrieb des Fernwärmenetzes über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. Gleichwohl habe die EnBW keinen Anspruch auf Einräumung von Wegenutzungsrechten. Ein solcher käme nur in Betracht, wenn alle Interessenten die Möglichkeit hätten, parallele Netzinfrastrukturen zu errichten. Hiervon könne nicht ausgegangen werden. Auch der Umstand, dass EnBW das Fernwärmenetz mit eigenen Mitteln errichtet habe, begründe keinen Anspruch auf ewigen Weiterbetrieb. Die EnBW habe diese Investitionen im Rahmen eines befristeten Gestattungsvertrages getätigt. Insoweit sei das von ihr erworbene Eigentum an den Netzleitungen „belastet“.

Interessant wird es, wenn es zu dem von der Stadt eingeleiteten, aber später abgebrochenen Ausschreibungsverfahren für einen neuen Konzessionsvertrag kommt. Der Bundesgerichtshof billigt der Stadt ein solches Recht ausdrücklich zu. In Anlehnung an die – nur für den Strom- und Gasbereich geltende – Regelung des Energiewirtschaftsgesetzes könne die Stadt Wegenutzungsrechte befristet vergeben und einen Wettbewerb um das Netz organisieren mit dem Ziel, die mit einem Leitungsmonopol verbundenen Wettbewerbsnachteile zumindest teilweise auszugleichen. Sollte nicht die EnBW, sondern ein anderer Bieter den Zuschlag erhalten, komme ein Anspruch auf Zustimmung nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung in Betracht.

Blickt man über den Stuttgarter Stadtrand hinaus, hat das Urteil weitreichende Konsequenzen. Städte und Gemeinden können – wie bei Strom- und Gasnetzen – auch für die Vergabe von Fernwärmekonzessionen Ausschreibungsverfahren durchführen. Ob hierzu auch eine Verpflichtung besteht und ob dies sogar dazu führen kann, dass noch laufende Wegenutzungsverträge vorzeitig beendet werden müssen, ist offen. Hier wird der EuGH sicherlich noch ein Wörtchen mitzureden haben. Der EuGH ist hier jüngst noch einen Schritt weiter gegangen und hat entschieden, dass die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages einer nationalen Regelung entgegenstehen, die dem Inhaber einer ausschließlichen Konzession zur Nutzung von Mineralwasserquellen die Möglichkeit einräumt, die mehrfache Verlängerung seiner Konzession ohne Ausschreibungsverfahren zu verlangen (Urteil vom 21. September 2023, Rs. C-510/22). In jedem Fall erhalten die Kommunen durch das BGH-Urteil mehr Spielraum, um ihre Ausbauziele für eine CO2-freie Fernwärmeversorgung durchzusetzen und damit die von ihnen bis 2026 bzw. 2028 vorzulegenden Wärmepläne umzusetzen. Umgekehrt könnten wettbewerbliche Verfahren, deren Ausgang naturgemäß offen ist, auch davon abhalten, die notwendigen Investitionen zur Umstellung auf eine klimaneutrale Wärmeversorgung zu tätigen.

(5. Dezember 2023)