Potentiell höhere Erbschaft-/Schenkungsteuer wegen geplanten Änderungen zur Immobilienbewertung

Die Bundesregierung hat am 10. Oktober 2022 den Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2022 vorgelegt („JStG 2022-E“). Das JStG 2022-E sieht in Art. 12 verschiedene Änderungen des Bewertungsgesetzes („BewG“) vor, die zu einer Erhöhung von Immobilienwerten für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer und somit zu einer potentiell höheren erbschaft-/schenkungsteuerlichen Belastung führen können. Der Bundesrat schweigt in seiner Stellungnahme zum JStG 2022-E vom 28. Oktober 2022 zu den geplanten Änderungen des BewG. Dies spricht dafür, dass diese in der aktuellen Entwurfsfassung aller Voraussicht nach Ende des Jahres mit dem JStG 2022 verabschiedet und deshalb ab dem 1. Januar 2023 gelten werden.

Die geplanten Änderungen des BewG führen zwar nicht zwingend in jedem Fall zu einer Erhöhung des Immobilienwerts für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer. Sie können in bestimmten Fällen aber sogar zu einer erheblichen Erhöhung der Immobilienwerte führen. Daher empfehlen wir für den Fall, dass zeitnah ohnehin Immobilienübertragungen geplant sind, zu prüfen, ob es sinnvoll ist, diese noch im Jahr 2022 vorzunehmen.

Übersicht über die Bewertungsverfahren

182 BewG sieht für die Bewertung von bebauten Grundstücken drei Bewertungsverfahren vor: das Vergleichswertverfahren, das Ertragswertverfahren und das Sachwertverfahren. Das JStG-E 2022 sieht wesentliche Änderungen nur für das Ertragswert- und das Sachwertverfahren vor.

Grundstücke, die im Vergleichswertverfahren bewertet werden, sind somit von den Änderungen nicht betroffen. Dies sind insb. Wohnungseigentum sowie Ein- und Zweifamilienhäuser, vorausgesetzt die Gutachterausschüsse der Städte und Gemeinden haben Vergleichsfaktoren für die Bewertung veröffentlicht. Für Berlin beispielsweise liegen steuerliche Vergleichsfaktoren für Wohnungseigentum sowie Ein- und Zweifamilienhäuser vor. Eine Übertragung dieser Immobilien noch in 2022 dürfte nur mit Blick auf die geplanten Änderungen des BewG somit nicht erforderlich sein.

Eine Prüfung der Auswirkungen der geplanten Änderungen des BewG für den konkreten Fall ist hingegen zu empfehlen, wenn die Bewertung im Ertragswert- oder im Sachwertverfahren erfolgt. Im Ertragswertverfahren werden Mietwohngrundstücke sowie Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzt Grundstücke bewertet; die beiden letztgenannten nur, wenn sich für diese eine örtliche Vergleichsmiete ermitteln lässt. Sofern sich für Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzt Grundstücke keine Vergleichsmiete ermitteln lässt, erfolgt die Bewertung im Sachwertverfahren. Im Sachwertverfahren können überdies ausnahmsweise Wohnungseigentum, Teileigentum und Ein- sowie Zweifamilienhäuser bewertet werden, sofern keine Vergleichsfaktoren für die Bewertung vorliegen. Dies dürfte regelmäßig eher in ländlichen Gegenden der Fall sein.

Die geplanten Änderungen im Einzelnen

Ertragswertverfahren

Der Immobilienwert wird im Ertragswertverfahren gem. §§ 184 bis 188 BewG aus der Summe von Bodenwert (Verkehrswert des unbebauten Grundstücks) und Gebäudeertragswert (zu erwartende Einnahmen aus der Immobilie) gebildet. Zur Berechnung des Gebäudeertragswerts wird vom jährlichen Reinertrag des Grundstücks (Jahresmiete abzgl. Bewirtschaftungskosten) die Bodenverzinsung abgezogen und mit einem von der Restnutzungsdauer abhängigen Vervielfältiger kapitalisiert.

Das JStG-E 2022 sieht im Wesentlichen nun die folgenden Änderungen vor, die im Ergebnis alle werterhöhend sein können:

  • Die Bewirtschaftungskosten laut Anlage 23 beinhalten zum Teil fixe Beträge je Wohnung oder Fläche statt allgemeiner Pauschalierung im Verhältnis zur Miete. Diese Änderung kann insbesondere bei Wohnungen mit hoher (Vergleichs-)Miete zu einer Minderung der Bewirtschaftungskosten und somit Erhöhung des Gebäudeertragswerts führen.
  • Die gesetzlichen Liegenschaftszinssätze sollen gemindert werden. Bei den Liegenschaftszinssätzen handelt es sich um Kapitalisierungszinssätze, mit denen Verkehrswerte von Grundstücken je nach Grundstücksart im Durchschnitt marktüblich verzinst werden. Der Liegenschaftszinssatz hat im Rahmen der Berechnung des Gebäudeertragswerts Auswirkungen auf die Höhe der Bodenverzinsung und des für die Kapitalisierung anzuwendenden Vervielfältigers. Die Reduzierung der Liegenschaftszinssätze führt im Ergebnis zu einer (mitunter deutlich) höheren Bewertung. Die gesetzlichen Liegenschaftszinssätze sind jedoch nur anzuwenden, wenn die Gutachterausschüsse der Städte und Gemeinden keine eigenen Zinssätze veröffentlichen. Für Berlin beispielsweise stehen Liegenschaftszinssätze der Gutachterausschüsse zur Verfügung, die zum Teil deutlich unter den geplanten neuen gesetzlichen Liegenschaftszinssätzen liegen. Allein die Minderung der gesetzlichen Liegenschaftszinssätze hätte insoweit dann keine Auswirkung auf die erbschaft-/schenkungsteuerlich relevante Bewertung der Immobilien.
  • Die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer gem. Anlage 22 wird für „Ein- und Zweifamilienhäuser“, „Mietwohngrundstücke, Mehrfamilienhäuser“, „Wohnungseigentum“ sowie „Gemischt genutzte Grundstücke (Wohnhäuser mit Mischnutzung)“ von 70 auf 80 Jahre erhöht. Dies verlängert die Restnutzungsdauer und erhöht den für die Kapitalisierung anzuwendenden Vervielfältiger.

Sachwertverfahren

Für die Bewertung im Sachwertverfahren gem. §§ 189 bis 191 BewG ist die Summe aus dem Bodenwert und dem Gebäudesachwert zu bilden. Der Gebäudesachwert wird ermittelt durch Multiplikation der durchschnittlichen Herstellungskosten, sog. Regelherstellungskosten gem. § 190 BewG i. V. m Anlage 24, je Quadratmeter mit der Fläche des Gebäudes, abzüglich der Alterswertminderung.

Das JStG-E 2022 sieht im Wesentlichen die folgenden Änderungen vor:

  • Zur Berücksichtigung des Unterschieds zwischen dem bundesdurchschnittlichen und dem regionalen Baukostenniveau werden die durchschnittlichen Herstellungskosten mit einem Regionalfaktor multipliziert, sofern die Gutachterausschüsse der Städte und Gemeinden einen solchen zur Verfügung stellen.
  • Die Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer gem. Anlage 22 reduziert die Alterswertminderung und erhöht somit den Gebäudesachwert.
  • Die gesetzlichen Wertzahlen gem. Anlage 25 werden erhöht. Diese werden mit dem vorläufig aus Bodenwert und Gebäudesachwert ermittelten Sachwerts multipliziert, um den vorläufigen Sachwert an den gemeinen Wert anzupassen. Die gesetzlichen Wertzahlen sind jedoch nur anzuwenden, wenn die Gutachterausschüsse der Städte und Gemeinden keine geeigneten Sachwertfaktoren für die Verkehrswertermittlung veröffentlichen.

Im Falle einer Bewertung im Ertragswert- oder Sachwertverfahren dürften die geplanten Gesetzesänderungen in vielen Fällen zu Erhöhungen der Immobilienwerte für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer führen. Bei der Bewertung im Ertragswertverfahren betrifft dies insbesondere Grundstücke, für welche die Gutachterausschüsse der Städte und Gemeinden keine eigenen Liegenschaftszinssätze veröffentlicht haben; mithin eher ländliche Gegenden. Bei der Bewertung im Sachwertverfahren dürfte die Berücksichtigung des Regionalfaktors gerade in städtischen Gebieten zu höheren Werten führen. Ob die zu erwartenden Gesetzesänderungen aber tatsächlich zu einer potentiellen Erhöhung der steuerlich relevanten Immobilienwerte führen können und deshalb allein aus erbschaft-/schenkungsteuerlichen Erwägungen eine vorzeitige Übertragung noch in diesem Jahr sinnvoll wäre, ist für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen.

(25.11. 2022)