Paukenschlag in Leipzig: Bundesverwaltungsgericht beendet die Berliner Vorkaufsrechtspraxis in sozialen Erhaltungsgebieten

Am 9. November 2021 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Berliner Praxis, in sozialen Erhaltungsgebieten Vorkaufsrechte auszuüben, rechtswidrig ist (BVerwG 4 C 1.20). Damit können die Berliner Bezirke nicht mehr wie bisher Vorkaufsrechte zu Gunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ausüben. Möglicherweise sind auch bisher ausgeübte Vorkaufsrechte und die zur Abwendung geschlossenen Verträge angreifbar.

Zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Vorkaufsrecht für ein Grundstück ausgeübt, das mit 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten bebaut ist. Es liegt im Geltungsbereich der sozialen Erhaltungsverordnung „Chamissoplatz“. Die Erwerberin hatte sich gegen den Vorkauf gewehrt und (unter anderem) eingewendet, das Vorkaufsrecht sei nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen, weil das Grundstück bereits heute entsprechend den Vorgaben des Baunutzungsplans und den Zielen der Erhaltungsverordnung mit einem Wohnhaus bebaut sei, das für Mietwohnungen genutzt werde.

Die Vorinstanzen (Verwaltungsgericht Berlin und Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg) hatten dem Land Berlin Recht gegeben. Sie meinten, dass es auch auf die zukünftige Entwicklung ankommen können. Das Vorkaufsrecht bestehe auch dann, wenn zu befürchten sei, dass der Erwerber des Grundstücks die Erhaltungsziele nicht beachten werde.

Das Bundesverwaltungsgericht lehnt das ab. Es verhilft dem klaren Wortlaut der Vorschrift in § 26 Nr. 4 Var. 2 BauGB zur Geltung. Entscheidend sei nur, ob das Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel aufweist. Die Überlegung, ob künftig erhaltungswidrige Nutzungen zu erwarten seien, scheidet aus.

Zu den Konsequenzen

Nachdem bereits das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt hat, ist das Urteil eine weitere Niederlage für die Mietenpolitik des Landes Berlin. Das Urteil wird weitreichende Konsequenzen haben – ohne eine Gesetzesänderung wird die bisherige Vorkaufspraxis in Berlin nicht mehr stattfinden können.

Das Urteil hat weitreichende Folgen. Es kann auch bedeuten, dass bisher ausgeübte Vorkaufsfälle rückabgewickelt werden müssen, jedenfalls diejenigen, bei denen die Ausübung des Vorkaufsrechts noch nicht bestandskräftig geworden ist. Das Urteil stellt auch die vielen sog. „Abwendungsvereinbarungen“ in Frage, die Käufer mit dem Land Berlin schließen mussten, um die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verhindern. Grundlage dieser Verträge war, dass Berlin ein Vorkaufsrecht zusteht. Diese Verträge sind angreifbar und den Käufern stehen möglicherweise Ansprüche auf Aufhebung oder jedenfalls Änderung der Abwendungsverträge zu.

(11. November 2021)