BVerwG: Erhöhung des Briefportos für den Standardbrief war rechtswidrig

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden, dass die Erhöhung des Entgelts für die Beförderung von Standardbriefen von 0,62 € auf 0,70 € für den Zeitraum von 2016 bis 2018 rechtswidrig war (Urt. v. 27.5.2020, Az. BVerwG 6 C 1.19).

Die Entgeltgenehmigung der Bundesnetzagentur ist rechtswidrig und verletzt den Kläger, einen Zusammenschluss von Postunternehmen, in seinem grundgesetzlich geschützten Recht, den Inhalt von Verträgen autonom auszuhandeln. Die Rechtswidrigkeit folgt daraus, dass die im Jahr 2015 geänderten Bestimmungen der Post-Entgeltregulierungsverordnung (PEntgV) über die Ermittlung des unternehmerischen Gewinns durch eine Vergleichsmarktbetrachtung unwirksam sind, weil es an einer Verordnungsermächtigung im Postgesetz (PostG) fehlt.

1. Hintergrund

Die Entgeltregulierung gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen in netzgebunde-nen Industrien bezweckt insbesondere, eine missbräuchliche Ausbeutung, Behinderung oder Diskriminierung sowohl von Endnutzern als auch Wettbewerbern zu verhindern. Der Schlüsselfaktor der Entgeltregulierung ist die Effizienz des regulierten Betreibers, weil sich bei funktionsfähigem Wettbewerb langfristig nur ein effizientes Unternehmen behauptet.
Daher bestimmt § 20 Abs. 1 PostG u.a., dass sich genehmigungsbedürftige Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren haben. Dieser Maßstab ist eine Ausprägung des unionsrechtlichen Gebots der Kostenorientierung, wie sie für die Entgelte im Postrecht in Art. 12 der Richtlinie 97/67/EG verankert ist.

2. Kontext der Entscheidung

Trotz der Fokussierung auf die Effizienz ist das Briefporto für den Standardbrief zuletzt erheblich angestiegen. Wie wir in einem früheren Beitrag im Detail dargelegt haben, beruht dieser Anstieg auf einer Änderung von § 3 Abs. 2 PEntgV vom 29. Mai 2015.

Darin ist vorgesehen, dass sich die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung aus den langfristigen zusätzlichen Kosten der Leistungsbereitstellung und einem angemessenen Zuschlag für leistungsmengenneutrale Gemeinkosten ergeben, jeweils „einschließlich eines angemessenen Gewinnzuschlags“ (Satz 1). Bei der Ermittlung des angemessenen Gewinnzuschlags sind insbesondere die Gewinnmargen solcher Unternehmen als Vergleich heranzuziehen, die in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig sind (Satz 2).

Diese Änderung bedeutet einen systemwidrigen Eingriff in den Kostenmaßstab der effizienten Leistungsbereitstellung, der sowohl Endnutzer als auch Wettbewerber der DPAG finanziell empfindlich trifft. Entgegen dem Gebot der Kostenorientierung wird die nicht auf die Eigenkapitalrendite abgestellt, die Kapitalgeber mit einer Investition in Unternehmen mit vergleichbarem Risiko auf dem Kapitalmarkt erzielen. Vollkommen systemwidrig, ja willkürlich, wird auf die Umsatzrendite von anderen Postunternehmen abgestellt. Die Umsatzrendite hat mit den Kosten des Eigenkapitals und einer angemessenen Eigenkapitalrendite nicht das Geringste zu tun. Deutlich wird dies u.a. daran, dass eine Umsatzrendite auch bei einem zu 100% mit Fremdkapital finanzierten Unternehmen erwirtschaftet werden kann. In unserem vorangegangen Beitrag haben wir erläutert, warum die Änderung des § 3 Abs. 2 PEntgV sowohl gegen das Postgesetz, als auch das Verfassungs- und Europarecht verstößt.

3. Urteil des BVerwG

Die schriftlichen Urteilsgründe des Gerichts liegen bislang nicht vor. Aus der Pressemitteilung ergibt sich jedenfalls, dass die Änderung des § 3 Abs. 2 PEntgV – formal – nicht durch eine Verordnungsermächtigung des Postgesetzes gedeckt ist. Daher fehlt es dem Rekurs auf die Gewinnmargen vergleichbarer Unternehmen in der Verordnung an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage.

4. Ausblick

Abzuwarten bleibt, ob und inwieweit sich der Senat in den Urteilsgründen mit prozessualen und materiellen Rechtsfragen auseinandersetzt.

Nach bisheriger verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung zum Telekommunikationsrecht wirken Urteile betreffend Entgeltgenehmigungen lediglich zwischen den Prozessbeteiligten. Postkunden, die mit einer Portoerhöhung nicht einverstanden sind, müssen danach selbst klagen. Diese Auffassung erscheint durch die jüngere Entscheidungspraxis des EuGH, zuletzt in einer Entscheidung betreffend die Flughafenentgelte, angreifbar. Danach genügt eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle individuell vereinbarter Entgelte nicht dem Diskriminierungsverbot des marktbeherrschenden Betreibers.

In materieller Hinsicht ist das Urteil des BVerwG von besonderer Bedeutung, weil § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV im März 2019 modifiziert worden ist. Danach kommt es für die Vergleichsmarktbetrachtung – allein – darauf an, dass die zu betrachtenden Unternehmen „in struktureller Hinsicht“ mit dem beantragenden Unternehmen vergleichbar sind. Die BNetzA hat diese Vorgabe erstmals in der vergangenen Genehmigung von 2019 angewandt und der DPAG vorläufig ein Briefporto für den Standardbrief i.H.v. 0,80 € gestattet. Dies entspricht historischem Höchststand und bekräftigt Zweifel, dass sich auch spätere Erhöhungen des Briefportos für den Standardbrief an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung orientierten.

(28. Mai 2020)