Verschärfte Investi­tionskontrolle bei Emerging Technologies – Die Eckpunkte der 17. AWV-Novelle

Die Bundesregierung hat am 27. April 2021 die Siebzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) beschlossen. Am Tag nach deren Verkündung am 30. April 2021 ist somit die novellierte AWV 2021 in Kraft getreten. Zielstellung der Novelle ist eine Anpassung des nationalen Rechts an die unionsrechtlichen Vorgaben der EU-Screening Verordnung 2019/425. Dadurch werden die Prüfkompetenzen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) bei ausländischen Direktinvestitionen im Bereich der Zukunfts- und Schlüsseltechnologien (sog. Emerging Technologies) stark ausgeweitet.

Zugleich ausgeweitete Meldepflichten betreffen Sektoren wie künstliche Intelligenz (KI), Robotik, Smart-Meter-Gateways und IT-Sicherheitsprodukte und werden die Transaktionspraxis in Deutschland nachhaltig beeinflussen. In Zukunft ist mit einer deutlichen Zunahme meldepflichtiger Erwerbe zu rechnen.

Ausweitung der Meldepflichten bei der sektorübergreifenden Prüfung

Während bislang vor allem kritische Infrastrukturen – etwa im Energiebereich – im Fokus der sektorübergreifenden Investitionsprüfung standen, wird die Anzahl der eine Meldepflicht auslösenden Betätigungen von ehemals elf auf nunmehr 27 ausgeweitet (vgl. § 55a Abs. 1 Nr. 12 bis Nr. 27 AWV). Der Verordnungsgeber konkretisiert damit zahlreiche weitere Fallgruppen aus dem Bereich der Emerging Technologies, in denen eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit besonders naheliegt. Exemplarisch sind folgende neue Fallgruppen mit Indizwirkung für eine voraussichtliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu nennen:

  • Bestimmte KI-Anwendungen, die (objektiv) missbräuchlich für Desinformations- oder Überwachungszwecke genutzt werden können (Nr. 13);
  • Unbemannte Kraftfahrzeuge und Luftfahrzeug mit automatisierten bzw. autonomen Fahr- oder Navigationsfunktionen (Nr. 14); hierunter können selbststeuernde Autos, Drohnen oder auch Flugtaxis fallen;
  • Halbleiter und Optoelektronik (Nr. 16);
  • IT-Sicherheitsprodukte im Bereich der Cybersicherheit (Nr. 17);
  • Güter und wesentliche Komponenten der Quanteninformatik und Quantenkommunikation (Nr. 20);
  • Smart-Meter-Gateways, die den gesetzlichen Anforderungen nach dem Messstellenbetriebsgesetz an Datenschutz und Datensicherheit sowie den (derzeit umstrittenen) Richtlinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) genügen müssen (Nr. 23).

Neben den Emerging Technologies betreffen die neuen Meldepflichten auch Unternehmen, die kritische Rohstoffe und Erze gewinnen (Nr. 25) sowie für die Nahrungsmittelversorgungssicherheit relevante Unternehmen, die eine landwirtschaftliche Fläche von mehr als 10.000 Hektar bewirtschaften (Nr. 27).

Bei Bestehen der Meldepflicht unterliegt die Transaktion bis zur endgültigen Freigabe durch das BMWi einem Vollzugsverbot und ist bis dahin schwebend unwirksam (vgl. § 15 Abs. 3 AWG). Im Fall einer voraussichtlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik oder eines anderen EU-Mitgliedsstaates kann das BMWi Auflagen verhängen oder im Extremfall die Transaktion untersagen.

Meldeschwelle für Emerging Technologies bei 20 Prozent

Das Entstehen der außenwirtschaftsrechtlichen Meldepflicht setzt einen Erwerbsvorgang unter Beteiligung eines unionsfremden Erwerbers voraus. Maßgeblich ist an erster Stelle ein Stimmrechtserwerb in bestimmter Höhe.

Der Erwerb von Stimmrechten in Höhe von 10 Prozent (an einem mit kritischen Infrastrukturen befassten Unternehmen) bzw. von 25 Prozent (an Unternehmen, die in nicht gelisteten Bereichen tätig sind) ist – wie auch bisher – ein relevanter Erwerbsvorgang. Hinzugekommen ist eine weitere Aufgreifschwelle: Beim Erwerb von Stimmrechten an einem Unternehmen, das sich einer der Ziffern 8 bis 27 des neuen § 55a Abs. 1 AWV zuordnen lässt, wird eine Meldepflicht bereits beim Erwerb von 20 Prozent der Stimmrechte ausgelöst (§ 56 Abs. 1 Nr. 2 AWV).

Von der noch im Referentenentwurf vorgesehenen Meldepflicht für den Stimmrechtserwerb an diesen Unternehmen in Höhe von 10 Prozent hat das BMWi im Konsultationsprozess wieder Abstand genommen. Finanzierungsrunden und niedrigschwellige Auslandsinvestitionen in Bezug auf deutsche Start-Ups und Hochtechnologieunternehmen sollten nicht in unverhältnismäßiger Weise erschwert werden.

Hinzuerwerbe von Altinvestoren und „atypischer Kontrollerwerb“

In § 56 Abs. 2 AWV wird klargestellt, dass auch der Erwerb zusätzlicher Stimmrechte durch Investoren, die bereits Anteile am Zielunternehmen halten, der Investitionsprüfung unterliegen kann (wenn dadurch erstmals relevante Schwellenwerte überschritten werden). Bei einem meldepflichtigen (Erst-)Erwerb kann zudem ein späterer Hinzuerwerb erneut meldepflichtig sein, sofern der weitere Erwerb bestimmte gesellschaftsrechtlich besonders relevante Stimmrechtsanteile überschreitet (etwa 25, 50 oder 75 Prozent).

Um Umgehungen zu vermeiden, bei denen einem Investor – trotz Nichterreichen der Schwellenwerte – in gesonderten Vereinbarungen ein im Vergleich zu seinem Stimmrechtsanteil überproportionales Gewicht bzw. Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden, erfasst § 56 Abs. 3 S: 2 AWV nunmehr auch sog. „atypische Kontrollerwerbe“. Solche überproportionalen Einflussmöglichkeiten können durch zusätzliche Sitze in Aufsichtsgremien oder in der Geschäftsführung, durch Vetorechte bei strategischen Entscheidungen oder auch nur durch Einräumung von Informationsrechten gemäß § 15 Abs. 4 Nr. 3 AWG vermittelt werden. Der atypische Kontrollerwerb löst selbst bei Zuordnung zu einer Fallgruppe des § 55a Abs. 1 Nr. 12 bis 27 AWV keine Meldepflicht aus. Es besteht lediglich die Prüfmöglichkeit des BMWi von Amts wegen.

Auswirkungen auf laufende Transaktionen (Signing als maßgeblicher Zeitpunkt)

Die Ausweitung der Fallgruppen dürfte aktuell geplante oder laufende Transaktionen mit Auslandsbezug betreffen, sodass die Frage, ab welchem Zeitpunkt die neuen Meldepflichten eingreifen, hohe Praxisrelevanz hat.

Nach § 55a Abs. 4 AWV entsteht die Meldepflicht erst mit Abschluss des meldepflichtigen „schuldrechtlichen Erwerbsgeschäfts“. Die mit der aktuellen Novelle eingeführten Änderungen, insbesondere die neuen Meldepflichten nach § 55a Abs. 1 Nr. 12 bis 27 AWV, greifen grundsätzlich für alle schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte, die nach Inkrafttreten der Novelle geschlossen wurden (Signing). Daher gelten die straf- und sanktionsbewehrten Meldepflichten nur für laufende Transaktionen, bei denen das Signing bei Inkrafttreten der AWV-Novelle noch nicht abgeschlossen war. Diese bisher schon geübte Praxis des BMWi findet auch Niederschlag im neuen § 82a AWV. Bei öffentlichen Übernahmeangeboten ist abweichend auf die Veröffentlichung des Übernahmeangebots abzustellen.

Allerdings kann das BMWi auch bei nicht bestehender Meldepflicht ein Prüfverfahren von Amts wegen eröffnen, wenn seit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags über den Erwerb nicht mehr als fünf Jahre vergangen sind (vgl. § 14a AWG).

Sektorspezifische Investitionskontrolle

Auch die sektorspezifische Prüfkompetenz des BMWi wurde im Interesse der besonderen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik erweitert. Wie schon im Rahmen der sektorübergreifenden Prüfung ist auch hier der geringere Gefährdungsgrad der „voraussichtlichen Gefährdung“ Prüfmaßstab. Mit der neu formulierten Fallgruppe des § 60 Abs. 1 Nr. 1 AWV werden künftig sämtliche Rüstungsgüter im Sinne von Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste in Bezug genommen.

Bewertung und Ausblick

Die mit der AWV-Novelle vollzogene Verschärfung der Investitionsprüfung durch Ausweitung der Fallgruppen wird die Transaktionspraxis nachhaltig prägen. Wie aus dem Referentenentwurf ersichtlich wird, erwartet das BMWi eine Vervielfachung der Prüfverfahren. Damit dürfte die Investitionsprüfung in Zukunft zu einem als Vollzugsvoraussetzung zunehmend relevanten Faktor neben der – durch die jüngste Anhebung der Aufgreifschwellen weniger relevanten – Prüfung fusionskontrollrechtlicher Meldepflichten werden.

Mit der Ausweitung der Kontrollkompetenzen sind in der Übergangszeit auch Auslegungs- und Anwendungsprobleme zu erwarten. Dazu tragen die mitunter weit gefassten neuen Fallgruppen bei. Zum Beispiel lässt die Formulierung „genutzt werden können“ in § 55a Abs. 1 Nr. 13 AWV bei KI-Anwendungen eine denkbar weite Auslegung zu, wonach bereits alle potentiell missbräuchlichen Anwendungsmöglichkeiten erfasst wären. Angesichts der straf- und sanktionsbewehrten Meldepflichten ist diese Rechtsunsicherheit aus Sicht der beteiligten Unternehmen und Investoren zwar misslich – vom Verordnungsgeber im Sinne einer verschärften Überprüfung von Beteiligungsvorgängen im Bereich der Emerging Technologies aber durchaus gewollt.

Das Kartellrechtsteam von Raue steht Ihnen für Rückfragen zur novellierten AWV 2021 gerne zur Verfügung.

(7. Mai 2021)