BGH zum Kartellschadens­ersatz: Tatsächliche Vermutung für Schäden, aber kein Anscheinsbeweis

Der Bundesgerichtshof („BGH“) hat mit seiner Entscheidung zum „Schienenkartell“ vom 11. Dezember 2018 (AZ.: KZR 26/17) wichtige Parameter der Darlegungs- und Beweislast bei der gerichtlichen Geltendmachung von Kartellschadensersatz präzisiert. Er ist damit zugleich einer nicht nur im dortigen Rechtsstreit vertretenen Auffassung entgegengetreten, die bisher einen doppelten Anscheinsbeweis zum einen für die grundsätzliche Verursachung von Schäden durch ein Kartell, zum anderen für die Betroffenheit aller unmittelbaren Bezüge von Kartellbeteiligten angenommen hatte.

Die streitgegenständlichen Quoten- und Kundenschutzabsprachen können nichtsdestotrotz – wie der BGH weiter ausführt – als starkes Indiz dafür gelten, dass es zu kartellbedingten Preisaufschlägen gekommen ist. Zudem könne auch weiterhin vermutet werden, dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in engem Zusammenhang mit diesen Verstößen standen, von diesen Verstößen auch betroffen worden sind.

1. Bisheriger Verfahrensgang

In der vom BGH aufgehobenen Berufungsentscheidung hatte das OLG Karlsruhe über einen Schadensersatzanspruch im Nachgang zu kartellbehördlich sanktionierten Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen zu entscheiden.

Der Klägerin, einem regionalen Verkehrsunternehmen, war in erster Instanz dem Grunde nach Schadensersatz zugesprochen worden. Sie hatte von einem am „Schienenkartell“ beteiligten Hersteller von Weichen und Schienen im Zeitraum der kartellrechtswidrigen Absprachen Gleisoberbaumaterialien erworben. Das erstinstanzliche Urteil stützte sich dabei auf den (doppelten) Anscheinsbeweis, dass entsprechende Kartellrechtsverstöße grundsätzlich preissteigernde Wirkung haben und dass aus der Kartellbeteiligung der Beklagten auch auf Preisüberhöhungen in den zwischen ihr und der Klägerin vereinbarten Aufträgen zu schließen sei.

Das OLG bestätigte diese Entscheidung und entschied, dass die von der Beklagten vorgetragenen Einwände – u. a.

  • die Absprachen hätten nicht zu höheren Preisen, sondern lediglich zu einer besseren Auslastung geführt; und
  • die Absprachen hätten sich nur auf Stammkunden bezogen, konnten also für Neukunden wie die Klägerin schon keinen Anschein setzen –

nicht ausreichen, um den durch die Kartellrechtsverstöße gesetzten Anschein zu erschüttern.

2. Kernaussagen der BGH-Entscheidung

Der BGH stimmt den Vorinstanzen insoweit zu, als die Gründung eines Kartells, welches die Absprache von Preisen oder die gemeinsame Festlegung bestimmter Quoten zum Gegenstand hat, häufig zu Mehrerlösen der Kartellbeteiligten führe. Dieser Erfahrungssatz müsse bei der Entscheidungsfindung auch deshalb Berücksichtigung finden, weil die effektive Durchsetzung von Kartellschadenersatz gemeinschaftsrechtlich geboten sei.

In zwei wesentlichen Punkten tritt der BGH jedoch den Vorinstanzen entgegen:

  • Der Kausalitätsnachweis zwischen einem Kartellrechtsverstoß und einem kartellbedingten Preisanstieg könne nicht auf dem Wege eines Anscheinsbeweises erbracht werden. Der Beweis des ersten Anscheins sei eine „typisierte Form des Indizienbeweises“, der aufgrund tatsächlicher Erfahrungssätze hinsichtlich typischer Geschehensabläufe den Schluss auf eine zu beweisende Tatsache zulasse. Wegen der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen, ihrer Durchführung und ihrer Wirkungen fehle es jedoch an einer solchen Typizität.

Zwar gelte für die Frage, ob es zu kartellbedingten Preisanhebungen gekommen sei, der zivilprozessuale Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO. Danach ist dem Gericht grundsätzlich auch eine Schadensschätzung möglich. Allerdings müsse das Gericht dann auch den gesamten Sachvortrag der Beklagten umfassend und zudem in einer Zusammenschau würdigen, nicht nur nach Maßgabe, ob damit ein (vermeintlicher) Anscheinsbeweis erschüttert sei (so bereits im Urteil vom 12.08.2016 – Lottoblock II, KZR 25/14, Rn. 49).

  • Die Kartellbefangenheit von Aufträgen lasse sich mangels hinreichender Typizität des Geschehensablaufs ebenfalls nicht durch den Rückgriff auf einen Anscheinsbeweis beweisen. Vielmehr müsse das Gericht auch alle von der Beklagten vorgetragenen Besonderheiten des Einzelfalls im Rahmen einer umfassenden Würdigung des Sachverhalts mit in den Blick nehmen.

3. Konsequenzen für zukünftige Rechtsprechung

Mit diesem Urteil veranlasst der BGH die Instanzgerichte zukünftig zu einer umfassenden Würdigung des gesamten Streitstoffs. Demgegenüber genügt es nicht, sich statt auf den gesamten Geschehensablauf nur auf die Feststellungen solcher Tatsachen zu beschränken, an die ein Erfahrungssatz geknüpft werden kann.

Für die Beklagten verbessert sich die prozessuale Ausgangssituation, weil die Hürde der Erschütterung eines Anscheinsbeweises in der Praxis kaum zu überwinden war. Allerdings streitet auch weiterhin ein vom BGH ebenfalls bekräftigter Erfahrungssatz dafür, dass aus Kartellen vielfach Kartellrenditen entstünden; im Fall von Kundenschutz- und Quotenkartellen würden zudem oftmals alle sachlich, räumlich und zeitlich in den Bereich der Absprachen fallenden Aufträge vom Kartell betroffen.

(18. Januar 2019)