9. GWB-Novelle: Neue Regelungen zum Kartellschadensersatz

Der Bundesrat hat am 31. März 2017 das Neunte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Neunte GWB-Novelle) gebilligt.

Mit der Novelle wird unter anderem die EU-Richtlinie zum Kartellschadensersatz umgesetzt. Die in der Praxis immer relevantere Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach Kartellverstößen wird damit für die Betroffenen erleichtert. Folgende Regelungen sind von Interesse:

  • Ein Kartell verursacht Schäden: Diese Vermutung müssen Kartellanten zukünftig widerlegen, wenn sie Ansprüche abwehren wollen. Sie gilt für das generelle Entstehen eines Schadens und die Kausalität zwischen Kartellverstoß und Schaden.
  • Die Voraussetzungen der sog. Passing-On-Defense der Kartellanten – also der Behauptung, dass Schäden durch die Anspruchsteller schadensmindernd weitergereicht wurden – werden konkretisiert.
  • Die Regelungen zur gesamtschuldnerischen Haftung der Kartellanten (alle Kartellanten haften für alle Schäden) werden modifiziert, insbesondere für Kronzeugen im Kartellverfahren sowie kleine und mittlere Unternehmen.
  • Vergleiche im Schadensersatzprozess werden erleichtert: Sie sind künftig ohne eine anderweitige Vereinbarung auch gegenüber den Kartellanten bindend, die nicht am Vergleich beteiligt sind, soweit die Schadensanteile des sich vergleichenden Kartellanten betroffen sind. Der sich vergleichende Kartellant kann so sein Risiko senken, in einem Folgeprozess zum sog. Gesamtschuldnerausgleich von verurteilten Kartellanten in Anspruch genommen zu werden.
  • Sowohl Kläger als auch Beklagte haben zukünftig selbständige Ansprüche auf die Herausgabe von Beweismitteln sowie das Erteilen von Auskünften. Diese Neuerung erinnert an die Discovery im US-Prozessrecht und soll helfen, die in der Praxis oft schwierige Beweisbarkeit von Kartellschäden zu verbessern.
  • Die Beweisregeln im Zivilverfahren werden angepasst.
  • Das Kostenrisiko der unterlegenen Partei wird für den Fall begrenzt, dass auf Seiten der obsiegenden Partei mehrere Nebenintervenienten beigetreten sind. Dies begünstigt insbesondere die Kläger: In der Praxis verkünden die beklagten Kartellanten oft allen anderen Kartellanten den Streit, um sich für den folgenden Gesamtschuldnerausgleich abzusichern. Das Kostenrisiko des Klägers kann dadurch explodieren. Nunmehr wird das Kostenrisiko durch Nebeninterventionen begrenzt: Es darf nicht höher sein als das Kostenrisiko gegenüber den Beklagten selbst.
  • Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche verjähren in Zukunft nicht mehr nach drei, sondern erst nach fünf Jahren.

Jenseits der Kartellschadensthematik reagiert der Gesetzgeber mit der Novelle auf die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft und schließt Regelungslücken für Konzernstrukturen und Rechtsnachfolge von Unternehmen:

  • Die Kriterien zur Prüfung der Marktmacht werden erweitert. Insbesondere ist nun gesetzlich festgelegt, dass auch unentgeltliche Leistungsbeziehungen vom Begriff des „Marktes“ erfasst sind.
  • In Zukunft soll nicht nur eine umsatzabhängige, sondern auch eine transaktionswertabhängige Fusionskontrolle möglich sein, und zwar bei Fusionen, deren Transaktionswert 400 Millionen Euro übersteigt. (Raue LLP Updates Fusionskontrolle für Startups: BMWi legt Gesetzesentwurf vor und Update: Fusionskontrolle für Startups?)
  • Bestimmte presseverlagswirtschaftliche Kooperationen sind in Zukunft grundsätzlich vom deutschen Kartellverbot ausgenommen.
  • Die Verfahrensvorschriften für die Zusammenarbeit von Kartell- und anderen Regulierungsbehörden werden angepasst.
  • Die Bußgeldhaftung wird erweitert. So sollen Muttergesellschaften zukünftig für Kartellverstöße ihrer Tochtergesellschaften haften; bei Unternehmensfortführungen nach Umwandlung haftet auch der rechtliche bzw. wirtschaftliche Nachfolger eines Unternehmens. Hiermit wird die sogenannte „Wurstlücke“ geschlossen.

Die Neunte GWB-Novelle kodifiziert in vielen Punkten bestehendes EU-Recht sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung. Dennoch sind gerade im Bereich des Kartellschadensrechts wichtige Impulse für die Praxis zu erwarten.

(31. März 2017)