BNetzA beschließt NZR-EMob

Mit ihrem Beschluss vom 21. Dezember 2020 hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) das im Juli eröffnete „Festlegungsverfahren zur Weiterentwicklung der Netzzugangsbedingungen Strom“ abgeschlossen (wir berichteten: BNetzA veröffentlicht erstmals Netznutzungsvertrag Elektromobilität). Als Bestandteil der Festlegung hat die BNetzA dabei die Netzzugangsregeln zur Ermöglichung einer ladevorgangscharfen bilanziellen Energiemengenzuordnung für Elektromobilität (NZR-EMob) beschlossen. Mit der NZR-EMob werden die Voraussetzungen geschaffen, die an Ladesäulen getankten Ladestrommengen dem jeweiligen Ladestromkunden bilanziell zuzuordnen. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich nicht weniger als der Grundstein für die Liberalisierung des Marktes zur Lieferung von Ladestrom an E-Fahrzeugnutzer.

Worum geht es?

Strom kann physisch an jeder Stelle des Stromnetzes aus dem „Stromsee“ entnommen werden. Die dahinter stehenden Stromhandelsgeschäfte erfolgen jedoch über virtuelle Energiemengenkonten im Rahmen des sog. Strombilanzierungssystems. Hierzu muss jede Strommenge, die dem Stromnetz entnommen wird, bilanziell exakt zugeordnet werden. Für Haushaltskunden übernimmt in aller Regel der jeweilige Stromlieferant die Bilanzierung der gelieferten Strommengen.

E-Fahrzeugnutzer unterscheiden sich jedoch von Haushaltskunden in einem entscheidenden Punkt. Sie entnehmen Strom nicht stets am selben Hausanschluss, sondern nach Bedarf an Ladepunkten, die an unterschiedlichen Stellen des Stromnetzes angeschlossen sind. Für solche mobilen Letztverbraucher fehlen bisher die bilanziellen Abwicklungsprozesse. Um gleichwohl E-Fahrzeugnutzer mit Ladestrom versorgen zu können, wird aktuell eine bilanzielle Behelfslösung genutzt: Die getankten Ladestrommengen werden nicht dem jeweiligen E-Fahrzeugnutzer zugerechnet, sondern im Rahmen der Bilanzierung als „Verbrauch“ des Ladepunktes abgebildet.

Diese Behelfslösung hat jedoch zur Folge, dass bilanziell jeder Ladepunkt nur von exakt einem Stromlieferanten beliefert werden kann. Wollen andere Ladestromlieferanten ihre Kunden über den Ladepunkt mit Ladestrom versorgen, sind sie gezwungen, den für ihre Kunden vorgesehenen Strom bei dem Lieferanten des Ladepunktes einzukaufen. Damit bestimmt dieser letztlich nicht nur den Preis der anderen Ladestromlieferanten, sondern auch, ob es sich bei dem beigestellten Strom um Grün- oder Kohlestrom handelt. Gegen die Beistellungslösung bestehen daher erhebliche kartellrechtliche Bedenken (weiterführend hierzu: https://www.ewerk.nomos.de/fileadmin/ewerk/doc/2019/Ewerk_2019_06_01.pdf). Für den Elektrofahrzeugnutzer besteht der Nachteil, dass er faktisch keine freie Wahl bei der Entscheidung über sein Ladestromprodukt hat, sondern immer das Beistellungsprodukt bezieht.

Die neuen Regelungen der NZR-EMob

Diese Problematik greift die BNetzA mit den neuen Regelungen der NZR-EMob auf und legt den Grundstein für eine „ladevorgangscharfe bilanziellen Energiemengenzuordnung für den speziellen Anwendungsfall der Elektromobilität“.

Statt die an den Ladepunkten getankten Strommengen bilanziell als „Verbrauch“ des Ladepunktes zu behandeln, kann der Ladepunktbetreiber (charge point operator – „CPO“) zukünftig seine Ladepunkte bilanziell als Übergabestellen zwischen zwei physikalischen Bilanzierungsgebieten definieren. Hierzu kann er vom zuständigen Übertragungsnetzbetreiber und Bilanzkreiskoordinator verlangen, dass dieser ihm ein regelzonenweites Bilanzierungsgebiet einrichtet, für das der CPO die volle bilanzielle Verantwortung übernimmt. Er wird damit bilanziell behandelt wie ein nachgelagerter Netzbetreiber eines virtuellen Ladepunktnetzes. Die über die Ladepunkte getankten Strommengen werden aus dem bilanziellen Netzsaldo des vorgelagerten Stromnetzbetreibers heraus- und dem neu geschaffenen Bilanzierungsgebiet des CPO zugerechnet, in das sie geflossen sind. Dieser trägt nunmehr die Verantwortung dafür, dass alle Strommengen ladevorgangsscharf den jeweils daran beteiligten Ladestromlieferanten und deren Kunden zugeteilt werden und in entsprechender Anwendung der bestehenden Marktregeln bilanziert werden. Für die an den Ladepunkten aus dem vorgelagerten Stromnetz entnommenen Strommengen zahlt der CPO sodann an den vorgelagerten Netzbetreiber Netzentgelte, die an den Ladestromlieferanten weitergereicht werden. Die Übergabestellen (Ladepunkte) werden dabei als Lastgangkunden abgerechnet.

Durch diese Ergänzung des Strombilanzierungssystems können Ladepunktbetreiber es  jedem Ladestromlieferanten ermöglichen, über die Ladepunkte des CPO seine Ladestromkunden mit seinem Ladestromprodukt unmittelbar und ohne Beistellung „fremden“ Stroms zu versorgen. Die BNetzA hat dabei klargestellt, dass es nach den NZR-EMob für die – unter dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) nicht regulierten – CPO keine Verpflichtung gibt, das neue Konzept Ladestromlieferanten anzubieten. Gleichwohl geht die BNetzA davon aus, das das neue Abwicklungsmodell für CPO die Chance eröffnet, die Auslastung ihrer Ladeinfrastrukturen und damit den return on investment zu verbessern, da auch im Fall eines bilanziellen Zugangs eine Nutzungsgebühr von den teilnehmenden Ladestromlieferanten zu zahlen sei.

Wie geht es weiter?

Ab dem 1. Juni 2021 sind Stromnetzbetreiber verpflichtet, auf Verlangen eines CPO das neue Abwicklungsmodell nach Maßgabe der NZR-EMob zu ermöglichen.

Darüber hinaus werden die Stromnetzbetreiber verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2021 Vorschläge für die nähere Ausgestaltung der prozessualen Abwicklung sowie für die vertragliche Ausgestaltung zwischen CPO und vorgelagerten Stromnetzbetreiber zur Umsetzung des neuen Abwicklungsmodells zu erarbeiten und der BNetzA vorzulegen.

Die NZR-EMob im Gesamtkontext

Auch wenn die Anwendung der NZR-EMob nicht verpflichtend ist und die Regelungen zunächst sehr technisch erscheinen, ist ihre Wirkung im Gesamtzusammenhang nicht zu unterschätzen. Aktuell untersucht das Bundeskartellamt in einer Sektorenuntersuchung die kartellrechtlichen Fragen zur öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur, wobei ein Schwerpunkt auf der Betrachtung der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der geltenden Nutzungsbedingungen für dritte Ladestromlieferanten liegt (wir berichteten: BKartA: Sektorenuntersuchung zur öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge).

In diesem Zusammenhang ist der NZR-EMob der Nachweis, dass eine letztverbraucherscharfe Bilanzierung von E-Fahrzeugnutzern im bestehenden System der Strombilanzierung möglich ist. Es werden die technisch-bilanziellen Voraussetzungen für einen Paradigmenwechsel geschaffen: Der CPO ist nicht mehr zwingend auch Ladestromlieferant, sondern stellt entgeltlich seine Ladeinfrastruktur zur Verfügung. Gleichzeitig können E-Fahrzeugnutzern ihren Ladestromlieferanten frei wählen und Ladestromlieferanten ihr eigenes Ladestromprodukt anbieten, die Beistellungskosten entfallen. So wird das level playing field bereitet, um unter Wettbewerbsbedingungen den zukünftigen Ladestrommarkt zu gestalten.

(21. Dezember 2020)