Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte zum 1. Januar 2023 geplant

Im Windschatten der Strompreisbremse hält der am 22. November 2022 veröffentlichte Entwurf des „Gesetzes zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen“ eine weitere Überraschung bereit: Die vollständige Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte für dezentrale Einspeiser zum 1. Januar 2023.

Diese Maßnahme war in den Diskussionen rund um den Gesetzentwurf weder thematisiert worden, noch dient die Abschaffung der Abschöpfung von „Übergewinnen“. Ziel ist vielmehr eine allgemeine „Dämpfung der krisenbedingt zu erwartenden Steigerungen der Stromkosten“ (Gesetzentwurf, S. 149).

Von der Abschaffung sind nicht nur konventionelle Erzeuger betroffen, sondern auch EE-Anlagen und insbesondere Stromspeicher. Gerade bei diesen für die Energiewende wichtigen Anlagen stellt sich die Frage, der rechtlichen Zulässigkeit der überraschenden Abschaffung der vermiedenen Entgelte.

Was sind vermiedene Netzentgelte?

Nach § 18 StromNEV erhalten Betreiber von dezentralen Erzeugungsanlagen vom Betreiber des Elektrizitätsverteilernetzes, in dessen Netz sie einspeisen, ein Entgelt (sog. vermiedene Netzentgelte), soweit sie in einer Netzebene unterhalb der Höchstspannung angeschlossen sind und weder eine EEG- noch eine KWKG-Förderung in Anspruch nehmen. Die Höhe der vermiedenen Netzentgelte errechnet sich aus der eingespeisten Strommenge (Vermeidungsarbeit) und der eingespeisten Leistung im Zeitpunkt des Höchstlastfensters (Vermeidungsleistung).

Hintergrund der vermiedenen Netzentgelte ist die Honorierung der Systemdienlichkeit dieser Anlagen: Durch die verbrauchsnahe dezentrale Erzeugung können Netzkapazitäten geschont werden, da ein Transport des Stroms aus dem Höchstspannungsnetz, an das regelmäßig die großen konventionellen Kraftwerke angeschlossen sind, vermieden werden kann. Der Anschlussnetzbetreiber muss durch die dezentralen Erzeugung im eigenen Netz weniger Strom aus dem vorgelagerten Netz beziehen und spart dadurch die entsprechenden Netzentgelte, die für diesen Strombezug anfallen würden. Diese Ersparnis wird über die vermiedenen Netzentgelte an die dezentralen Erzeuger weitergereicht und fließen als Teil der Netzkosten in die allgemeinen Netzentgelte ein.

Seit der Reform der vermiedenen Netzentgelte durch das sog. Netzentgeltmodernisierungsgesetz im Jahr 2017 wurde mit § 120 EnWG die schrittweise Abschmelzung der vermiedenen Netzentgelte geregelt: Anlagen mit volatiler Erzeugung (Wind und PV) erhielten danach nur noch bis 2020 vermiedene Netzentgelte, wenn sie vor dem 1. Januar 2018 in Betrieb genommen worden sind. Alle übrigen Anlagen erhalten zwar über 2020 hinaus vermiedene Netzentgelte, jedoch nur, wenn sie vor dem 1. Januar 2023 in Betrieb genommen werden.

Begründung zur Abschaffung im Gesetzentwurf

Mit dem Gesetzentwurf sollen nunmehr § 18 StromNEV und § 120 EnWG ersatzlos und vollständig gestrichen werden. Dies wird im Gesetzentwurf mit dem Ziel der damit einhergehenden Senkung der Netzkosten begründet. Dies soll – wie bei der Streichung der EEG-Umlage – der finanziellen Entlastung der Netznutzer durch Dämpfung der krisenbedingt zu erwartenden Steigerungen der Stromkosten dienen. Als weiteren Grund führt der Gesetzentwurf aus, dass von den vermiedenen Netzentgelten überwiegend Betreiber fossiler Anlagen profitierten, was Fehlanreize setzte. Schließlich erspare die Abschaffung den Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern einen nicht unerheblichen Bürokratieaufwand (Gesetzentwurf, S. 149).

EE-Anlagen und Stromspeicher als Kollateralschäden

Von der Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte sind aber nicht nur konventionelle Kraftwerke betroffen: Einerseits erhalten auch viele EE-Anlagen, die keinen Anspruch (mehr) auf EEG-Förderung haben, vermiedene Netzentgelte. Dies gilt vor allem für mittlere und große Wasserkraftwerke, die auf Grund ihrer stetigen Grünstromerzeugung besonders systemstabilisierend wirken. Andererseits sind alle Stromspeicherprojekte betroffen, soweit sie an das Netz angeschlossen sind.

Rechtliche Zulässigkeit der Abschaffung ist zweifelhaft

Insbesondere mit Blick auf diese Stromspeicherprojekte kommen Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit der geplanten Abschaffung auf: Für viele Stromspeicherbetreiber sind die vermiedenen Netzentgelte ein essenzieller Faktor für die Wirtschaftlichkeitsrechnung ihrer Projekte. Genau aus diesem Grund sind eine Vielzahl der Projekte noch in diesem Jahr und vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 120 EnWG in Betrieb genommen worden.

Durch die Gesetzesänderung werden diese Investitionen, die im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage erfolgt sind, in erheblichem Maße beeinträchtigt oder gar entwertet.

Dies gilt vor allem, weil die Abschaffung ohne Übergangsregelung unmittelbar zum 1. Januar 2023 erfolgen soll und erstmalig mit dem Entwurf vom 22. November 2022 – und damit nur knapp einen Monat zuvor – angekündigt wird. Die Gesetzesänderung kommt dabei besonders überraschend, weil die Erwartungen der Anlagenbetreiber durch die Regelungen zur Reformierung der Förderung im Jahr 2017 geprägt sind: Im Rahmen dieser Neuregelung wurde die Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte umfassend diskutiert (weitergehende Informationen im Raue-Update: Netzkosten: Vermiedene Netzentgelte vor dem Aus. Letztlich entschied der Gesetzgeber sich bewusst und ausdrücklich für die Fortgeltung nach Maßgabe der aktuellen Regelungen (Raue berichtete über diese „Rolle rückwärts“).

Angesichts dieser Umstände stellt sich die Frage, ob die Maßnahme mit dem aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Investitionsschutz und dem aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Vertrauensschutzgrundsatz vereinbar ist.

Darüber hinaus erscheint die Maßnahme auch mit Blick auf Art. 3 GG und das Gleichheitsgebot fragwürdig. EE-Anlagen mit EEG-Förderanspruch mussten bisher zwischen der EEG-Förderung und der Inanspruchnahme vermiedener Netzentgelte wählen. Dies wurde damit begründet, dass mit der EEG-Förderung (auch) die Systemdienlichkeit der Anlage in vollem Umfang abgegolten wird. Im Umkehrschluss müsste die Streichung der vermiedenen Netzentgelte mit einer entsprechenden Reduzierung der EEG-Förderung einhergehen. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Jedenfalls schießt die Maßnahme weit über das Gesetzesziel hinaus und ist schon aus diesem Grund verfassungsrechtlich bedenklich. Das Gesetz dient ausdrücklich „zur Dämpfung der im Jahr 2023 krisenbedingt zu erwartenden Steigerungen der Stromkosten“ (Gesetzesbegründung, S. 149). Entsprechend sind alle anderen Maßnahmen des Gesetzes (etwa der sog. Strom- und Gaspreisdeckel und die Strompreisbremse) temporär. Die vermiedenen Netzentgelte sollen hingegen vollständig und final abgeschafft werden.

Wie geht es weiter und welche Optionen haben Betroffene?

Anlagenbetreiber, die von der Gesetzesänderung betroffen sind, sollten schnell handeln, wenn sie noch im Gesetzgebungsverfahren Einfluss nehmen wollen: Bereits am 25. November 2022 hat das Bundeskabinett die Abschaffung beschlossen. Die erste Lesung im Bundestag soll am 1. Dezember 2022, die Beschlussfassung durch den Bundestag soll am 15. Dezember 2022 stattfinden.

Darüber hinaus besteht natürlich die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Nachgang gerichtlich überprüfen zu lassen.

(25. November 2022)