Rolle rückwärts beim Smart-Meter-Roll-out: Stoppt das OVG Münster die Einbaupflichten unter dem MsbG?

Es kann als Paukenschlag in der Branche des Messwesens bezeichnet werden. Das OVG Münster hat mit Beschluss vom 4. März 2021 auf die Beschwerde eines wettbewerblichen Messstellenbetreibers hin die aufschiebende Wirkung dessen Klage gegen die Markterklärung des BSI vom 24. Februar 2020 wiederhergestellt. Die Markterklärung des BSI ist nach Ansicht des OVG Münster „offensichtlich rechtswidrig“. Die Festlegung leide an einer Vielzahl von gravierenden Mängeln. Es würden keine drei Smart-Meter-Gateways am Markt angeboten, die den Voraussetzungen des MsbG genügten – die zentrale Voraussetzung für die Markterklärung nach § 30 Satz 1 MsbG. Insbesondere genügten die zertifizierten drei, mittlerweile vier Smart-Meter-Gateways nicht den Vorgaben von § 24 Abs. 1 MsbG, da die Interoperabilität der Gateways gemäß § 22 Abs. 1, 2 und 4 MsbG keine eigenen Zertifizierung unterzogen worden sei. Vielmehr habe sich das BSI in diesem Punkt schlicht auf die Herstellerangaben verlassen. Die Herstellererklärung entspreche auch deshalb nicht den Vorgaben des MsbG, weil sie sich lediglich auf einen Anhang VII zur technischen Richtlinie BSI TR-03109-1 beziehe. Dieser sei seinerseits unwirksam, weil der Anhang VII die universelle Einsetzbarkeit des Smart-Meter-Gateways, die noch in der BSI TR-03109-1 (sogenannte Stammlinie) festgelegt sei, unterschreite. Zum Erlass einer derartigen Richtlinie, die hinter den Anforderungen der Stammlinie und denjenigen des MsbG zurückbleibe, sei das BSI nicht befugt. Anhang VII zu der Stammrichtlinie sei auch in formeller Hinsicht rechtswidrig. Denn als wesentliche Änderung zu der Stammrichtlinie habe das BSI vor Erlass des Anhang VI den „Ausschuss Gateway-Standardisierung“ anhören müssen, § 27 MsbG. Ein derartiger Ausschuss ist vom BMWi bis heute nicht einmal eingerichtet worden. In diesem Zusammenhang bezeichnet das BSI explizit bereits ergangene Zertifizierungen als „rechtswidrig“.

Der Anhang VII sei auch deshalb rechtswidrig, weil er von den 14 Tarifanwendungsfällen der Stammrichtlinie lediglich vier (TAF 1, 2, 6 und 7) vorsehe. Zu einer derartigen Beschränkung sei das BSI nicht befugt gewesen. Ferner müsse die sogenannte Plausibilisierung und Ersatzwertbildung (§ 2 Satz 1 Nr. 17 MsbG) im Smart-Meter-Gateway erfolgen, was auch Voraussetzung für die sogenannte „sternförmige Kommunikation“ gemäß § 60 MsbG ist. Schließlich habe das BSI zu Unrecht bestimmte Letztverbrauchergruppen (Verbräuche oberhalb von 100.000 kWh, Erzeugungsanlagen und § 14a EnWG-Kunden) von dem Anhang VII und der Markterklärung ausgenommen. Auch zu einer derartigen Differenzierung sei das BSI nicht befugt gewesen.

Der Beschluss ergeht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in letzter Instanz und ist damit unanfechtbar. Weitere 50 Beschwerden sind derzeit beim OVG Münster anhängig und sollen zeitnah entschieden werden. Die Hauptsacheverfahren sind noch beim VG Köln anhängig.

Das OVG Münster geht in seiner Pressemitteilung davon aus, dass der eigene Beschluss die Roll-Out-Verpflichtung insgesamt gestoppt habe. Dies habe zur Folge, dass „nun vorläufig weiterhin andere Messsysteme eingebaut werden dürfen.“ Für eine derartige Wirkung spricht auch der Beschluss selbst, der unter anderem das Dosenpfand-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zitiert, in dem das Bundesverwaltungsgericht von einer ähnlichen „erga omnes“-Wirkung ausging. Sollte der Beschluss tatsächlich diese allgemeine Wirkung entfalten, ergeben sich komplexe prozessuale und materiell-rechtliche Folgefragen. Insbesondere die Duldungspflichten der Anschlussnutzer und Anschlussnehmer, die an die Markterklärung anknüpfen, dürfte ausgesetzt sein. Damit wäre der Roll-out tatsächlich, wie das OVG Münster in seiner Pressemitteilung schreibt, „gestoppt“.

Es bleibt abzuwarten, wie BSI, BNetzA und das BMWi auf den Beschluss reagieren. Vertreter des Wirtschaftsministeriums sollen sich in der kommenden Sitzung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages dazu äußern. Das BSI hofft laut Pressemitteilung vom 8. März 2021, die Bedenken des OVG Münster im Hauptsachverfahren ausräumen zu können.

(10. März 2021)