EuGH: Billigkeitskontrolle regulierter Netzentgelte unionsrechts­widrig

Der EuGH hat in einem Vorabentscheidungsverfahren die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle regulierter Infrastrukturnutzungsentgelte für unionsrechtswidrig befunden (EuGH, Urteil v. 09.11.2017 – Rs. C-489/15 – “CTL Logistics”). Wenngleich der dem Verfahren zugrunde liegende Fall regulierte Trassenentgelte im Schienenverkehr zum Gegenstand hatte, dürfte damit auch die Billigkeitskontrolle von Netzentgelten in der Strom- und Gasversorgung vor dem Aus stehen.

Zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle regulierter Netzentgelte

Im nationalen Regulierungsrecht unterliegen regulierte Netzentgelte der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Ziel der Billigkeitskontrolle ist es, im Einzelfall materiell rechtmäßige Entgelte festzusetzen. Zwar sieht der Wortlaut des § 315 BGB eine Billigkeitskontrolle zunächst nur im Falle eines einseitigen vertraglichen Leistungsbestimmungsrechts vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH stellen aber auch regulierte Entgelte, die „nach Art eines allgemeinen Tarifs“ festgesetzt werden, eine einseitige Leistungsbestimmung dar.

Wenngleich sich diese Annahme von jeher dogmatischen Zweifeln ausgesetzt sah, nehmen Zivilgerichte in der Regulierungspraxis für sich in Anspruch, Tarife in Anwendung des § 315 BGB nach billigem Ermessen festzusetzen. Der regulierungsbehördlichen Genehmigung der Netzentgelte zur Stromversorgung kommt hierbei Indizwirkung zugunsten der Billigkeit des regulierten Netzentgelts zu. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis kürzlich bestätigt (BVerfG, Beschl. v. 26.09.2017 – 1 BvR 1486/16).

Der EuGH zur Billigkeitskontrolle von Trassenentgelten

Der EuGH hat diese Praxis nun mit der den regulierten Trassenentgelten zugrunde liegenden Eisenbahnzugangsrichtlinie (RL 2001/14/EG) für unvereinbar befunden. Deren zentrales Anliegen sei der diskriminierungsfreie Zugang zum Schienennetz und damit einheitliche Bedingungen und Entgelte für dessen Nutzung. Werden Entgelte jedoch im Wege der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle im Streitfall korrigiert, komme es unweigerlich zu einer „gespaltenen“ Festsetzung der Netzentgelte. Da die gerichtliche Überprüfung der Entgelte stets auf den Einzelfall beschränkt sei, werde hierdurch das Hauptziel der Richtlinie, diskriminierungsfreien Netzzugang zu gewährleisten, konterkariert.

Die gerichtliche Billigkeitskontrolle stelle zudem die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde in Frage. Die Berechnung und Erhebung der Entgelte sei nach der Eisenbahnzugangsrichtlinie allein dem Netzbetreiber vorbehalten. Diese Zuständigkeit dürften Gerichte auch im Streitfall nicht einseitig an sich ziehen. Schließlich sollen die Entscheidungen der Regulierungsbehörde nach Art. 30 Abs. 2 und 5 Satz 2 der Richtlinie 2001/14 bindenden Charakter haben. Durch eine abweichende zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB werde die Bindungswirkung regulierungsbehördlicher Entscheidungen jedoch faktisch durchbrochen.

Übertragbarkeit der Entscheidung „CTL Logistics“ auf die Billigkeitskontrolle von Netzentgelten in der Energieversorgung

Die Entscheidungsgründe des EuGH lassen sich unmittelbar auf die Strom- und Gasrichtlinien des dritten Binnenmarktpakets übertragen. Auch in der Entgeltregulierung im Energiesektor sind Tarife und Methoden zur Bestimmung der Netzzugangsentgelte diskriminierungsfrei anzuwenden. Durch die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB drohen jedoch wiederum Diskriminierungen, da die gerichtliche Entscheidung nur inter partes zwischen den am Rechtsstreit beteiligten Parteien gilt. Im Wege der zivilgerichtlichen Billigkeitskontrolle werden von der Bundesnetzagentur nach § 54 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 EnWG bundesweit einheitlich festgelegten Eigenkapitalzinssätzen aufgeweicht, so dass am Ende ein Flickenteppich unterschiedlicher Eigenkapitalzinssätze verbleibt. Dies widerspricht den Regelungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2009/72/EG), wonach die nationalen Regulierungsbehörden jedenfalls einheitliche Methoden zur Berechnung der Entgelte festzulegen und deren einheitliche Anwendung zu gewährleisten haben.

Zudem ist auch hier die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde zu gewährleisten, welche wiederum durch die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle ausgehöhlt zu werden droht. Damit dürfte auch mit Blick auf die Entgelte und Bedingungen für den Zugang zu den Energieversorgungsnetzen kein Spielraum für die Anwendung des § 315 BGB verbleiben. Zwischenzeitlich hat das Bundesverwaltungsgericht in Reaktion auf die Entscheidung des EuGH in Sachen „CTL Logistics“ die Frage der Vereinbarkeit einer zivilgerichtlichen Überprüfung von Flughafenentgelten mit der Richtlinie 2009/12/EG über Flughafenentgelte dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (BVerwG, Beschl. v. 06.04.2018, Az.: BVerwG 3 C 20.16).

(2. Oktober 2018)