EU Kommission verklagt Deutschland – Rolle der BNetzA und Entflechtung der Übertragungs­netz­betreiber im Fokus

Die Kommission hat Deutschland wegen unzureichender Umsetzung der europäischen Vorgaben zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde sowie zur Entflechtung von Netzen und Erzeugung verklagt. Was zunächst wie ein Paukenschlag wahrgenommen werden musste, kommt bei näherer Betrachtung wenig überraschend: So hatte die Kommission wiederholt eine Einhaltung der Vorgaben der Elektrizitäts- und Gasrichtlinie angemahnt. Jedenfalls birgt das zu erwartende Urteil des EuGH erhebliche Sprengkraft. Sollten sich die Richter der Auffassung der Kommission anschließen, wäre eine komplette Neuausrichtung des rechtlichen und institutionellen Rahmens der Energieregulierung unumgänglich.

Die Kommission bemängelt, dass Deutschland die Vorschriften über die Befugnisse und zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nur unzureichend einhalte. Die Richtlinien des Dritten Binnenmarktpakets sähen die Einrichtung einer institutionell verselbständigten Regulierungsbehörde vor, welche Tarife und Bedingungen für den Netzzugang sowie Ausgleichsregelungen frei und unabhängig festlegt. Im deutschen Regulierungsrecht werden die Vorgaben zur Tarifbildung und weitergehende Bedingungen für den Netzzugang hingegen bereits durch Verordnungen detailliert geregelt. Anders als von den Richtlinien vorgesehen, sei es damit der nationale Gesetz- und Verordnungsgeber, welcher die Regulierung des Netzzugangs bestimme.

Weiter kritisiert die Kommission, dass Deutschland auch das Entflechtungsregime für den unabhängigen Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzbetreiber (Independent Transmission Operator – ITO) nicht hinreichend umgesetzt habe. Insbesondere die Vorschriften über die Unabhängigkeit des Personals und der Verwaltung setzten die unionsrechtlichen Vorgaben nicht ordnungsgemäß um. Überdies stehe die Definition „vertikal integrierter Unternehmen“ unzulässigerweise Aktivitäten außerhalb der EU entgegen.

Hintergrund

Die unterschiedlichen Konzepte von Kommission und Bundesregierung zur Stellung der Regulierungsbehörde sind seit langem bekannt. Die Richtlinien sehen die Einrichtung einer starken Regulierungsbehörde vor, die unabhängig von Marktinteressen agiert. Zugleich ist die politische Unabhängigkeit von Regierungsstellen zu gewährleisten. Das bedeutet einerseits Weisungsfreiheit, andererseits institutionelle Verselbständigung im innerstaatlichen Verwaltungsgefüge. Dem Gesetzgeber soll der direkte Zugriff auf die Regulierung der Netzentgelte verwehrt sein. Nach Auffassung der Kommission verfüge die Bundesnetzagentur gegenwärtig nicht „über die uneingeschränkte Ermessensfreiheit bei der Festlegung der Netztarife und anderer Bedingungen für den Zugang zu Netzen und Regelenergiedienstleistungen, da zahlreiche Aspekte der Festlegung dieser Tarife und Bedingungen weitgehend in den Einzelverordnungen der Bundesregierung geregelt werden.“

Dem stehen Grundsätze der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik
Deutschland gegenüber. Der nationale Gesetzgeber ist bei der Umsetzung des Konzepts der Richtlinien durch das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip und den Grundsatz der Gewaltenteilung gebunden. Für jegliche Ausübung von Staatsgewalt ist eine lückenlose Legitimationskette notwendig. Diese sachlich-inhaltliche Legitimation wird bei Verwaltungshandeln durch die Bindung an Recht und Gesetz gewährleistet. Entsprechend bestimmt das nationale Recht die Vorgaben zur Regelung von Tarifen und Bedingungen für den Netzzugang. Der Bundesnetzagentur verbleibt der administrative Vollzug dieser Vorgaben. Wenig überraschend hat das Bundesverfassungsgericht diese Konzeption in einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 bestätigt (Nichtannahmebeschluss v. 21.12.2009 – 1 BvR 2738/08). Demnach stehe es den Mitgliedstaaten frei, ob sie Vorgaben der Netzentgeltregulierung administrativ oder normativ regeln. Auch das OLG Düsseldorf hat unlängst die Vereinbarkeit der abstrakt-generellen Methodenregulierung des nationalen Energiewirtschaftsrechts mit den Vorgaben des dritten Binnenmarktpakets bestätigt (Beschl. v. 26.04.2018 – VI-5 Kart 2/16 (V)).

Im Verfahren beim EuGH stehen damit die Grundprinzipien des nationalen Regulierungsrechts zur Verhandlung. Offen ist, ob die Richter die „normative“ Regulierung des nationalen Energiewirtschaftsrechts bestätigen oder auf einer Umsetzung des „administrativen“ Regulierungskonzepts der Richtlinien bestehen. In letzterem Fall wären die Kompetenzen der Bundesnetzagentur erheblich zu erweitern, zahlreiche Regeln des Verordnungsrechts wären fortan durch behördliche Festlegungen zu treffen. Demgegenüber wären die Kritikpunkte zum nationalen Entflechtungsregime verhältnismäßig unkompliziert umsetzbar.

(31. Juli 2018)