Rechtsprechungs­überblick zum Berliner Zweckentfrem­dungsverbot

Das Stichwort Zweckentfremdung ist derzeit in aller Munde: Seit dem „Scharfstellen” des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes (ZwVbG) am 1. Mai 2016 mit Ablauf der zweijährigen Übergangsphase fürchten Berliner Haupt- und Zweitwohnungseigentümer, Mieter und Eigentümer von Ferienwohnungen hohe Bußgelder, wenn sie ihre Wohnung an Touristen vermieten. Die Rechtslage war zunächst so unklar, dass viele Anbieter ihr Ferienangebot sicherheitshalber von Portalen wie airbnb oder Wimdu zurückzogen. Langsam entwickelt sich allerdings eine Rechtsprechungspraxis, die den Betroffenen wieder mehr Rechtssicherheit gibt.

Noch keine Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes

Die oft bezweifelte Verfassungsmäßigkeit des ZwVbG wurde noch nicht vom Berliner Verfassungsgerichtshof überprüft. Damit der Verfassungsgerichtshof über diese Frage entscheiden kann, müsste ein Anbieter zunächst den gesamten Rechtsweg erfolglos beschritten haben, d.h. Verwaltungsgericht (VG) in erster Instanz, Oberverwaltungsgericht (OVG) in zweiter Instanz und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in der Revisionsinstanz.

In der Vergangenheit hatten solche Verfassungsbeschwerden allerdings wenig Erfolg: So bejahte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits im Jahr 1975 die Verfassungsmäßigkeit eines ähnlichen Gesetzes im Hinblick auf einen Eingriff in die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG (BVerfG, Beschluss vom 04.02.1975 – 2 BvL 5/74). Zwei Jahrzehnte später wies der Berliner Verfassungsgerichtshof eine Verfassungsbeschwerde zurück, die sich gegen die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung (in alter Fassung) richtete. Der Verfassungsgerichtshof hielt die gesetzliche Ermächtigung für den Erlass der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung, mit der sich das BVerfG im Jahre 1975 beschäftigt hat, für verfassungsmäßig (BerlVerfGH, Beschluss vom 20.11.1996 – VerfGH 51/96).

Auch aktuell hat das BVerfG im Rahmen seines Beschlusses vom 13. Februar 2015 (1 BvR 3332/14) kurz auf seine Entscheidung aus dem Jahr 1975 Bezug genommen und keine Anzeichen für eine Kursänderung angedeutet.

Verwaltungsgericht Berlin: Keine Genehmigung für die Vermietung von Ferienwohnungen

Die Vermietung einer Ferienwohnung an Touristen stellt einen Verstoß gegen das Berliner Zweckentfremdungsverbot dar und ist grundsätzlich nicht genehmigungsfähig, entschied das VG Berlin in seinen Urteilen vom 8. Juni 2016 (VG 6 K 160.16VG 6 K 103.16VG 6 K 108.16 und VG 6 K 243.16).

Verschiedene Wohnungseigentümer begehrten die Erteilung eines sogenannten Negativattests, um Wohnraum ohne zweckentfremdungsrechtliche Genehmigung gewerblich als Ferienwohnung vermieten zu können. Sie vermieteten bereits vor dem Inkrafttreten des ZwVbG Wohnungen an Berliner Touristen und beriefen sich auf Bestandschutz und darauf, dass sie ein schutzwürdiges Gewerbe in den Wohnräumen ausüben.

Das Verwaltungsgericht Berlin folgte ihren Argumenten nicht. Die gewerbliche Nutzung als Ferienwohnung bedürfe einer Genehmigung nach § 3 ZwVbG, weil sie eine Zweckentfremdung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ZwVbG darstelle. Bei der gewerblichen Vermietung von Ferienwohnungen gelte gerade kein Bestandschutz im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 ZwVbG. Diese Vorschrift gilt nach Ansicht des Gerichts vielmehr nur für Wohnraum, der bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung am 1. Mai 2014 für gewerbliche oder berufliche Zwecke genutzt wurde, jedoch nur, solange das bestehende Nutzungsverhältnis nicht beendet wird oder ein zu diesem Zweck in den Räumlichkeiten eingerichteter und ausgeübter gewerblicher oder freiberuflicher Betrieb fortgeführt wird. Für die Vermietung von Wohnraum als Ferienwohnung gelte dagegen nur eine Übergangsregelung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ZwVbG, nach der der Wohnraum, der bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung im Jahr 2014 als Ferienwohnung gewerblich genutzt wird, nur für eine Dauer von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung weitergenutzt werden kann. Diese Frist ist am 30. April 2016 abgelaufen. Somit sei die Vermietung der Ferienapartments genehmigungspflichtig.

Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Kläger aus Art. 12 GG ist nach Ansicht des VG gerechtfertigt, weil die gesetzliche Genehmigungspflicht vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls folgt und verhältnismäßig ist. Das legitime Ziel des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes sei die Verringerung der Wohnungsknappheit. Die Berufsfreiheit der gewerblichen Anbieter von Ferienwohnungen werde lediglich hinsichtlich einer Ausübungsmodalität eingeschränkt. Die gewerbliche Vermietung von Ferienwohnungen bleibe weiterhin zulässig, sie dürfe nur nicht in geschütztem Wohnraum betrieben werden.

Auch bleibe die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG gewahrt.  Das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz verletze sie nicht, sondern regele nur den Inhalt des Grundrechts, was angesichts der gegenwärtigen Unterversorgung mit Wohnraum notwendig sei. Aus der Eigentumsgarantie folge kein Anspruch, den Wohnraum mit der größtmöglichen Gewinnerwartung nutzen zu dürfen.

Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz wird nach Ansicht des VG durch die unterschiedliche Behandlung von Fremdenbeherbergungsgewerbe und sonstigen Gewerbearten nicht verletzt. Künftig seien sowohl die gewerbliche Vermietung von Ferienwohnungen als auch die gewerbliche und berufliche sonstige Nutzung von Wohnräumen gleichermaßen verboten. Die Bevorzugung der sonstigen Gewerbearten sei sachgerecht, weil die Vermietung von Ferienwohnungen kurzfristig erfolge und sich an wechselnde Feriengäste richte, während die Nutzung von Wohnraum für gewerbliche und berufliche Zwecke auf längerfristige Geschäftsbeziehungen und gleichbleibendem Nutzerkreis angelegt sei.

Die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, wie das OVG in der Berufungsinstanz entscheiden wird.

Echte Zweitwohnungen: Vermietung als Ferienwohnung zulässig

Anders sieht es bei echten Zweitwohnungen aus:

In den Urteilen vom 9. August 2016 (VG 6 K 91.16, VG 6 K 151.16 und VG 6 K 153.16) hat das VG Berlin entschieden, dass die Berliner Bezirksämter eine Genehmigung zur Vermietung einer Zweitwohnung an Touristen erteilen müssen.

Geklagt hatten Eigentümer von Wohnungen in den Berliner Bezirken Friedrichshain und Pankow. Ihren jeweiligen Hauptwohnsitz hatten sie in Dänemark, Italien und in Rostock. Sie nutzten ihre, zum Teil durch langjährige Kredite finanzierten Zweitwohnungen für beruflich bedingte oder private Aufenthalte in Berlin und begehrten die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Vermietung ihrer Zweitwohnung an Touristen.

Das VG gab ihnen Recht: Zwar verstoße die Überlassung von Wohnraum an Touristen gegen das Verbot der Zweckentfremdung und sei damit genehmigungsbedürftig. Durch die Vermietung an Touristen trete jedoch kein Wohnraumverlust ein. Für den Bestand an Wohnraum mache es keinen Unterschied, ob eine Wohnung leer stehe oder an Touristen vermietet werde, weil sie durch die Nutzung als Zweitwohnung dem Berliner Wohnungsmarkt sowieso dauerhaft entzogen sei.

Das ZwVbG solle sich gerade nicht gegen Zweitwohnungen richten. Eine Zweitwohnung liegt dann vor, wenn der Eigentümer oder Mieter in dieser Wohnung nicht seinen Lebensmittelpunkt begründet und den Wohnraum nur bei gelegentlichen Aufenthalten zu Wohnzwecken selbst nutzt (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 ZwVbG). Die Bezirksämter haben wegen der Schutzwürdigkeit von Zweitwohnungen kein Ermessen und müssen die Genehmigung der zweckfremden Nutzung erteilen.

Die Richter hatten auch keine Bedenken, dass hierbei eine Missbrauchsgefahr besteht, weil die Behauptung, man nutze die Wohnung zeitweise selbst, kaum überprüfbar ist. Durch eine sorgfältige Prüfung und Kontrolle sowie Erteilung geeigneter Auflagen könne der Gefahr der Umgehung des Zweckentfremdungsverbots ausreichend begegnet werden.

In einem weiteren Urteil präzisierte das Verwaltungsgericht, was eine „Zweitwohnung” ist (Urteil vom 9. August 2016 – VG 6 K 112.16). Auch hier begehrten die Eigentümer die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Vermietung einer Wohnung an Touristen. Sie bewohnten im selben Haus eine andere Wohnung und beriefen sich darauf, dass diese Wohnung einem der Eheleute zum gelegentlichen Übernachten diene, wenn der andere die Nachtruhe störe, und dass gelegentlich Freunde und Verwandte dort untergebracht würden. Das reichte dem VG nicht aus, um eine Zweitwohnung zu bejahen. Der Schutz der Zweitwohnung greife dann nicht mehr, wenn die Funktion des Wohnens ganz untergeordnet sei oder gar zum Schein erfolge. Der gelegentliche Aufenthalt von Privatpersonen zu Privatzwecken stelle keine Nutzung zu „Wohnzwecken” dar. Wenigstens ein Raum müsse dem Wohnungsinhaber während des gesamten Tages zur privaten Verfügung stehen und die Möglichkeit bieten, darin den Tätigkeiten und Nutzungen nachzugehen, die zum Begriff des Wohnens gehören. Reines Übernachten reiche dazu nicht aus.

Auch diese Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Gleiche Argumentation bei Hauptwohnungen

Noch nicht entschieden wurden jene Fälle, in denen Eigentümer und Mieter von Wohnungen diese selbst dauerhaft bewohnen und dort ihren Lebensmittelpunkt haben (Hauptwohnung), aber einzelne Zimmer beziehungsweise die gesamte Wohnung an Touristen oder beruflich Reisende vermieten. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist sowohl eine zeitweise Vermietung von einzelnen Zimmern als auch der gesamten Wohnung als Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbot anzusehen. Diese zweckfremde Nutzung von Wohnraum wäre dann genehmigungspflichtig. Das Verwaltungsgericht erwähnt in seinen Urteilen vom 9. August 2016 nur beiläufig, dass es nicht darauf ankomme, ob es sich um eine Zweit- oder eine Hauptwohnung handele, die zu Ferienzwecken vermietet werde. Die Argumentation bleibe die gleiche. Behandelt man diese Fälle wie die Zweitwohnungsfälle in den Urteilen des Verwaltungsgerichts, so müsste demnach auch diese Nutzung genehmigt werden. Denn durch das zeitgleiche Bewohnen der Wohnung durch den Eigentümer oder Mieter wird der Wohnraum dem Berliner Wohnungsmarkt nicht entzogen. Ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Wohnraums dürfte in solchen Konstellationen noch weniger bestehen als in den Zweitwohnungsfällen.

Vermietung von Gewerberäumen an Touristen? 

Noch nicht endgültig geklärt sind Konzepte, in denen Gewerberäume nach Umbau und Sanierung als Ferienwohnungen an Touristen vermietet werden. Das Verwaltungsgericht Berlin nahm in seinen Urteilen vom 8. Juni 2016 (VG 6 K 160.16, VG 6 K 103.16, VG 6 K 108.16 und VG 6 K 243.16) kurz dazu am Rande Stellung und bezeichnete solche Geschäftsmodelle der „serviced apartments”, bei denen Nichtwohnräume als Wohnungen umgestaltet werden und dann als Ferienwohnungen mit typischen Hoteldienstleistungen an Touristen vermietet werden, als ein Beispiel zulässiger Nutzung. Es ist deshalb anzunehmen, dass jedenfalls das Verwaltungsgericht Berlin solche Konzepte im Fall eines Rechtsstreits billigen wird.

Das ist konsequent: Durch die Sanierung von Gewerberäumen und Weitervermietung als Ferienwohnungen tritt kein Wohnraumverlust ein, da der Wohnraum nie bestanden hat. Entscheidend dabei ist, dass die Gewerberäume zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken errichtet wurden und auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung am 1. Mai 2014 entsprechend genutzt wurden (§ 1 Abs. 3 ZwVbG).

(28. September 2016)