Redispatch-Vergütung: Neuregelung verfassungsrecht­lich bedenklich

Dem sogenannten Strommarktgesetz (Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes) steht nichts mehr im Weg: Der Deutsche Bundestag hat am 23. Juni 2016 den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung des Strommarktes verabschiedet, am 8. Juli 2016 hat der Bundesrat zugestimmt. Das Gesetz regelt unter anderem die Vergütung von Redispatch-Maßnahmen neu. Das ist  für Kraftwerksbetreiber von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Neuregelung ist allerdings verfassungsrechtlich bedenklich.

Die neuen Regelungen

§ 13a EnWG ersetzt den bisherigen § 13 Abs. 1a EnWG und regelt rückwirkend die Vergütung für alle Redispatch-Maßnahmen seit dem 1. Januar 2013. Flankiert wird er durch den zukünftigen 13j EnWG, der die Kompetenz der Bundesnetzagentur regelt, Festlegungen zur weiteren Ausgestaltung der Redispatch-Vergütung zu treffen. Der komplette Gesetzestext ist noch nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Eine konsolidierte Version, die den Entwurf und die beschlossenen Änderungen abbildet, ist hier zu finden.

Hintergrund der Neuregelung

Hintergrund der Neuregelung zur Redispatch-Vergütung sind die Beschlüsse des OLG Düsseldorf vom 28. April 2015 (Az. VI-3 Kart 313/12 (V)). In diesen Musterbeschwerdeverfahren ist Raue LLP für Kraftwerksbetreiber erfolgreich gegen die Redispatch-Festlegungen der Bundesnetzagentur vorgegangen (mehr Informationen hier). Das Gericht hob die Festlegung der Bundesnetzagentur zur Redispatch-Vergütung vom 30. Oktober 2012 (Az. BK8-12-019) rückwirkend auf, da es die dort festgelegte Vergütung als unzureichend befand. Die Bundesnetzagentur hob daraufhin mit Beschluss vom 19. August 2015 die Festlegung gegenüber allen Adressaten rückwirkend auf (Az. BK8-12-019).

Konsequenz ist, dass sich die Vergütung bis zum Inkrafttreten der Neuregelungen allein nach der gesetzlichen Vergütungsregelung des § 13 Abs. 1a) EnWG richtet, die nur bestimmt, dass Redispatch-Maßnahmen von den Übertragungsnetzbetreibern angemessen vergütet werden müssen. Auf Grund der rasant zunehmenden Zahl von Redispatch-Maßnahmen ist eine angemessene Vergütung für Kraftwerksbetreiber von großer Bedeutung.

Redispatch-Vergütung nach §§ 13a EnWG verfassungsrechtlich bedenklich

Die nun erfolgte Neuregelung der Redispatch-Vergütung durch den (neuen) § 13a EnWG weckt jedoch erhebliche Zweifel hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Legitimität. Einerseits wird sie den Kritikpunkten des OLG Düsseldorf nicht gerecht und bleibt hinter dem Erfordernis einer „angemessenen Vergütung“ zurück. Andererseits bestimmt (der neue) § 13a Abs. 5 EnWG, die rückwirkende Geltung der Neuregelung für alle seit dem 1. Januar 2013 erfolgten Redispatch-Maßnahmen.

Fixkostenerstattung unzureichend

Eine angemessene Vergütung erfordert nach Auslegung des OLG Düsseldorf, dass auch die Fixkosten des Kraftwerksbetriebs im Falle einer Redispatch-Inanspruchnahme anteilig vergütet werden. Das Gericht begründet dies mit dem einprägsamen Bild des Redispatches als „Leitungsersatz“, der als Notfallmaßnahme den Netzausbau kompensiere, der bislang nicht ausreichend erfolgt ist. Dem zum Netzausbau verpflichteten Netzbetreiber würden aber selbstverständlich seine fixen (Betriebs- und Kapital-)Kosten nach erfolgten Netzausbau erstattet. Nichts anderes könne daher für Redispatch-Maßnahmen gelten. (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.04.2015, Az. VI-3 Kart 313/12 (V)).

Hinter dieser Argumentation steht der aus Art. 12 (Berufsfreiheit) und Art. 14 (Eigentumsgarantie) Grundgesetz (GG) folgende verfassungsrechtliche Grundsatz, dass die Indienstnahme Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, nur legitim ist, wenn der Betroffene für den Ausfall seiner Erwerbsmöglichkeit und den Eingriff in sein Eigentum entschädigt wird. Dies umfasst insbesondere auch die Erstattung der fixen Kosten seiner Tätigkeit.

Diesen Anforderungen wird (der neue) § 13a EnWG jedoch nicht gerecht:

  • 13 Abs. 4 EnWG legt ausdrücklich fest, dass die Betriebsbereitschaftsauslagen nicht erstattet werden, obwohl sie fixe Kosten des Kraftwerksbetreibers sind.
  • Die Formel zur Berechnung des anteiligen Werteverbrauchs (Kapitalkosten) in § 13a Abs. 3 S. 2 EnWG führt dazu, dass die zukünftige Redispatch-Vergütung erheblich unter den tatsächlichen Kosten der Kraftwerksbetreiber liegt. Grund hierfür ist, dass zur Ermittlung des anteiligen Werteverbrauchs auf die bei der Investitionsentscheidung betriebswirtschaftlich geplanten Betriebsstunden abgestellt wird. Die Investitionsentscheidung der jüngsten am Markt tätigen Kraftwerke liegt ca. zehn Jahre in der Vergangenheit. Allein seit 2011 ist der Großhandelsmarktstrompreis jedoch unter anderem auf Grund der massiven staatlichen Förderung zum Ausbau der Erneuerbaren Energien um ca. 50 Prozent gefallen. Die Folge ist, dass die aktuellen Betriebsstunden drastisch unter jenen liegen, die bei der Investitionsentscheidung geplant wurden. In der Berechnung des anteiligen Werteverbrauchs werden durch die Neuregelung somit Kraftwerkseinsatzzeiten unterstellt, die erheblich über den tatsächlichen unter aktuellen Marktbedingungen liegen. Damit werden zugleich Kraftwerke, für die zu unterschiedlichen Zeiten die Investitionsentscheidungen getroffen wurden, unterschiedlich vergütet. Das weckt Zweifel im Hinblick auf die Vereinbarung mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG).

Die Neuregelung gilt rückwirkend

§ 13a Abs. 5 EnWG regelt schließlich, dass die Neuregelung grundsätzlich rückwirkend für alle Redispatch-Maßnahmen seit dem 1. Januar 2013 gilt, sofern der Übertragungsnetzbetreiber nicht bereits Redispatch-Vergütungen gezahlt hat. Das verfassungsrechtlich begründete Verbot der echten Rückwirkung verbietet aber den Erlass zeitlich rückwirkender Gesetze, wenn nachträglich und zu Lasten der Betroffenen in abgewickelte Sachverhalte eingegriffen wird. Die in der Vergangenheit liegenden Redispatch-Maßnahmen sind abgeschlossen. Die bestehende Regelung des § 13 Abs. 1a) EnWG ist als Regelung zur Vergütung von Redispatch-Maßnahmen auslegungsfähig. Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in § 13a Abs. 5 EnWG geregelten Rückwirkung. Zudem ist kein Grund dafür ersichtlich, die tatsächlichen Zahlungen der Übertragungsnetzbetreiber als Anknüpfungspunkt für die Ausnahme von der Rückwirkung festzulegen.

Ausblick und Rechtsschutzmöglichkeiten für Kraftwerksbetreiber

  • Die Bundesnetzagentur wird unter Berücksichtigung der Vorgaben aus § 13a EnWG in einem Festlegungsverfahren konkretisierende Festlegungen zur Redispatch-Vergütung beschließen. Der entsprechende Festlegungsbeschluss ist jedoch nicht innerhalb der nächsten zwei Jahre zu erwarten.
  • Netzbetreiber werden die Vorgaben der Neuregelung bei der Vergütung zukünftiger und vor allem vergangener Redispatch-Maßnahmen zu Grunde legen.

Für Kraftwerksbetreiber ergeben sich vor diesem Hintergrund folgende Möglichkeiten gegen die vorgesehene Redispatch-Vergütung vorzugehen:

  • Kraftwerksbetreiber können zunächst den jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber zivilgerichtlich auf Zahlung einer angemessenen Vergütung in Anspruch nehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für Nachforderungen für Redispatch-Maßnahmen im Jahr 2013 grundsätzlich die Verjährung Ende des Jahres 2016 droht. Hegt das das zur Entscheidung berufene Instanzengericht Zweifel daran, ob die in § 13a EnWG getroffenen Regelungen zur Redispatch-Vergütung einschließlich der Rückwirkung zum 1. Januar 2013 verfassungskonform ist, legt es diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor (sogenannte Richtervorlage). Das Bundesverfassungsgericht entscheidet dann im Rahmen einer sogenannten konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG über die Verfassungskonformität.
  • Sobald die Bundesnetzagentur eine konkretisierende Festlegung zur Redispatch-Vergütung beschließt, können Kraftwerksbetreiber auch gegen den Festlegungsbeschluss gerichtlich vorgehen.

(21. Juli 2016)