Update: BSG-Urteil zur Erbringung von Hauptleistungen durch Vertragsärzte

Am 17. November 2015 hatte das Bundessozialgericht (BSG) über die Abrechenbarkeit von stationären Hauptbehandlungsleistungen, die die Klinik durch einen honorarärztlich tätigen Vertragsarzt erbrachte, zu entscheiden (B 1 KR 12/15 R). Mit diesem Update fassen wir die wesentlichen Gründe des Urteils zusammen, die jetzt vorliegen.

Der Sachverhalt

Die Klägerin ist Trägerin eines Plankrankenhauses. Die Klinik behandelte im Jahre 2006 einen bei der beklagten Krankenkasse versicherten Patienten wegen eines Bandscheibenschadens. Die Operationsleistung erbrachte die Klinik durch einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Neurochirurgen auf Basis eines Honorararztvertrages. Die Krankenkasse verweigerte die Vergütung mit der Begründung, die Hauptleistung hätte die Klinik nicht durch einen niedergelassenen Vertragsarzt erbringen dürfen, der nicht zugleich Angestellter der Klinik ist.

Die Entscheidung

Das BSG lehnte den Vergütungsanspruch des Klinikträgers ab, da die Klinik im Jahre 2006 die Hauptleistung nicht durch einen Vertragsarzt hätte erbringen dürfen. Das BSG stützt sich auf folgende Erwägungen:

Der Vergütungsanspruch setze voraus, dass die krankenhausorganisatorischen Anforderungen erfüllt werden. Dazu gehöre gem. § 107 Abs. 1 Nr. 3 SGB V, dass die Leistung durch „jederzeit verfügbares ärztliches Personal“ erbracht wird. Organisationsrechtlich seien auch vertragsärztliche Pflichten zu berücksichtigen. Stationäre Versorgung einerseits und ambulante Versorgung andererseits stünden insoweit rechtlich nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr sei das GKV-System als Gesamtkomplex zu betrachten. § 20 Abs. 2 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) in der im Jahr 2006 gültigen Fassung habe Vertragsärzten eine Nebentätigkeit jeglicher Art in Krankenhäusern untersagt. Hintergrund sei der Grundsatz der Beitragsstabilität. Zu diesem Zweck unterlägen Vertragsärzte der Budgetierung. Eine „Umgehung dieser im Vertragsarztrecht geregelten Budgets“ durch eine Nebentätigkeit in Krankenhäusern sei zu vermeiden. Jedenfalls sei hierfür eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich. Eine solche Regelung stelle § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) nicht dar. Danach gehörten zu den allgemeinen Krankenhausleistungen auch Leistungen Dritter auf Veranlassung der Klinik. Leistungen Dritter in diesem Sinne könnten allerdings nicht Hauptbehandlungsleistungen sein, sondern lediglich Leistungen mit „ergänzender oder unterstützender Funktion“.

Bedeutung des Urteils für die Leistungserbringung ab 2007

Das Urteil des BSG bezieht sich ausdrücklich nur auf die Rechtslage im Jahr 2006. Es lässt aber Rückschlüsse auf die Rechtslage ab 2007 zu. Das BSG zählt verschiedene seither in Kraft getretene Regelungen auf, die die Tätigkeit von Vertragsärzten in Krankenhäusern erlauben:

  • So gelte seit 1. Januar 2007 § 20 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV, wonach die „Tätigkeit in oder die Zusammenarbeit mit einem zugelassenen Krankenhaus nach § 108 SGB V“ […] mit der Tätigkeit des Vertragsarztes vereinbart sei. Das BSG hält dazu fest: „Ärzte können seitdem als Vertragsärzte und daneben auch als angestellte Ärzte in Krankenhäusern arbeiten.“
  • Seit 1. Januar 2007 sehe § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V auch „Teilzulassungen“ als Vertragsarzt vor, die dem Vertragsarzt die Tätigkeit im Krankenhaus ermögliche.
  • Schließlich sieht das BSG in der seit 1. Januar 2013 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KHEntgG, der die Erbringung von Krankenhausleistungen ausdrücklich „auch durch nicht fest angestellte Ärzte“ erlaubt, eine „weitere Abkehr von der 2006 geltenden Rechtslage“ . Diese Neuregelung sei allerdings nicht rückwirkend anwendbar.

Keine Entscheidung zum Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KHEntgG

Das BSG musste sich allerdings nicht abschließend zur aktuellen Rechtslage positionieren, weil ein „alter Fall“ zu beurteilen war. Es ist daher offen, wie das BSG die Formulierung „nicht fest angestellte Ärzte“ auslegen wird.

Das LSG Baden-Württemberg vertritt hierzu eine sehr restriktive Auffassung. Das LSG meint, der Wortlaut des neuen § 2 Abs. 3 KHEntgG lasse nicht erkennen, dass „nicht fest angestellte“ Ärzte auch überhaupt nicht angestellte, also freiberuflich tätige Ärzte sein können. Der Terminus erfasse nur Ärzte, deren Tätigkeit befristete Arbeitsverträge zugrunde liegen. Diese Auffassung halten wir für nicht überzeugend.

Richtig ist zwar, dass der Begriff „fest angestellt“ juristisch nicht eindeutig besetzt ist. Soweit ersichtlich findet er – außer in § 2 KHEntgG – in keinem Gesetz Verwendung. Umgangssprachlich wird die „Festanstellung“ der freien Mitarbeit“ gegenübergestellt. Das Begriffsverständnis des LSG, nach der „nicht Festangestellte“ nur solche Arbeitnehmer sein können, die unter das Teilzeit und Befristungsgesetz fallen, findet im Gesetz keine Grundlage.

Um sichere Aussagen zur Reichweite der Neuregelung in § 2 KHEntgG zu treffen, wird man die weitere Rechtsprechung des BSG abwarten müssen.

Zusammenfassung

Aus dem BSG-Urteil lässt sich im Wesentlichen Folgendes ableiten:

  • Bis 2006 war es Vertragsärzten untersagt, in Krankenhäusern Hauptleistungen zu erbringen. Wir teilen die tragenden Überlegungen des BSG hierzu nicht; allerdings dürfte die praktische Relevanz aufgrund der vierjährigen Verjährungsfrist eher gering sein.
  • Seit 2007 durften Vertragsärzte in Nebentätigkeit als angestellte Ärzte Hauptleistungen im Rahmen der stationären Behandlung erbringen.
  • Nach der überwiegenden Meinung im medizinrechtlichen Schrifttum dürfen (jedenfalls) seit dem 1. Januar 2013 Hauptleistungen im Krankenhaus von Honorarärzten, d.h. auf freiberuflicher Basis, erbracht werden. Krankenkassen müssen diese Leistungen auch vergüten. Dies gilt für Vertrags- wie Privatärzte. Ein eindeutiges Judikat des BSG steht insoweit jedoch noch aus.